Blick – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Blick – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 MIT EINER KATZE NACH PARIS von Angelika Glitz | Kinderbuch 2017 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-mit-einer-katze-nach-paris-2017/ http://www.blogvombleiben.de/buch-mit-einer-katze-nach-paris-2017/#respond Sun, 05 Aug 2018 07:00:00 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4478 Ein kleiner Mäuserich wird von einer Miezedame nach Paris verschleppt. Damit die Katze bloß nicht hungrig…

Der Beitrag MIT EINER KATZE NACH PARIS von Angelika Glitz | Kinderbuch 2017 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Ein kleiner Mäuserich wird von einer Miezedame nach Paris verschleppt. Damit die Katze bloß nicht hungrig wird, gilt es ihr das Maul mit Leckereien zu stopfen. Doch irgendwie scheint ihr Hunger nach dieser süßen Maus nicht abzuklingen. Über das Bilderbuch Mit einer Katze nach Paris von Angelika Glitz und Illustratorin Joëlle Tourlonias.

Was sich liebt, das frisst sich

Meine Eltern haben seit Kurzem Katzenbabys. Für mich ein triftiger Grund, sie mal wieder zu besuchen. Gedacht, geschehen, geflasht. Diese kleinen flauschigen Knutschkugeln hätte ich fressen können. Ein sonderbares, obsessives Gefühl, das eine gewisse Katzendame dazu verleitet, ihr Objekt der Begierde (in diesem Fall eine Maus) nach Paris zu entführen.

Bloggerin Sonia Lensing mit dem Kinderbuch Mit einer Katze nach Paris

Die Liebe ist niemals satt

Zum Inhalt: »Baguette kaufen geht pupsieinfach«, denkt der kleine Mäuserich Ronald. Doch dazu kommt er erst gar nicht. Denn die Dame Miezekatze hat andere Pläne mit dem Mäusezahn. Um sie von ihrem Hunger nach Mauseschmaus abzulenken, kauft Ronald ihr eine Ladung saftiger Sauerkirschen. Das müsste den Katzenmagen erstmal stopfen.

Doch zu früh gefreut. Miezekatze Rosalie verspürt einen unbändigen Löwenhunger nach Delikatessen und süßer Mäuseliebe. Ehe sich Ronald versieht und seine Schwestern alarmieren kann, entführt sie den Kleinen in die Stadt der Liebe, Paris. Kein glücklicher Zustand für Ronald. Doch als sich ihm eine Möglichkeit bietet, der hungrigen Katze zu entkommen, entscheidet er sich anders und überrascht damit nicht nur seine Schwestern. Über Ronalds Reise zwischen Bangen und Hoffen und dem Auskosten der Liebe.

Zur Wirkung des Buchs

Ohne Konflikt kein Drama, kein spannendes Storytelling, kein Spaß. Und Kinder lieben, ja brauchen Spaß. Syd Fields Konflikt-Regel, die wir uns im Fachseminar Drehbuchschreiben für Kinder- und Jugendfilme hinter die Ohren schreiben durften, befolgt auch Angelika Glitz in ihrem neuen Bilderbuch Mit einer Katze nach Paris. Denn was könnte die Luft mehr zum Brutzeln bringen, als die Figuren Katz und Maus, das Traumpaar für Gegensätze. Tom und Jerry ist nicht ohne Grund die meist-ausgezeichnete Trickfilmserie weltweit. Somit gelingt es der Autorin, bereits durch das Buchcover die Kinder neugierig aufs Lesen zu machen. Der erste Schritt zur Leseförderung.

Geschwisterliebe

Ob Geschwister oder dominante Freund*innen, jedes Kind kommt einmal in die Situation, sich behaupten zu müssen. Hätte ich als Kind nicht so einen lieben und verständnisvollen Bruder gehabt, hätte ich jetzt vermutlich auch ein dickeres Fell. (Dafür haben wir jetzt einen Psychologen in der Familie – mit Elefantenhaut.) Dass sich Ronald in Mit einer Katze nach Paris gegenüber seinen älteren Mäuse-Schwestern beweisen will, indem er sich ohne dämliche Warn-Tröte zum Bäcker aufmacht, passt zur kindlichen Lebenswelt. Jüngere Geschwister möchten ernst genommen werden, nicht unter den Scheffel gestellt. So bietet die Eröffnungsszene Identifikationspotential für all jene Kinder, die mit (älteren) Geschwistern aufwachsen.

So geht kindgerechtes Storytelling

Neben dieser lebensnahen Einleitung punktet das Kinderbuch Mit einer Katze nach Paris durch schnelles und kindgerechtes Storytelling. Obwohl das Werk in der Autor*innen-Zeitschrift Federwelt (August 2018) als »Bilderbuch mit viel Text« beschrieben wird, schreibt Angelika Glitz nicht um den heißen Brei herum, ohne langweiliges Blah oder schwierige Wortakrobatik. Stattdessen inszeniert sie den ehrfürchtigen Auftritt der Katzendame direkt auf den Anfangsseiten und treibt beide Figuren zur Aktion an. Ronald muss handeln, sonst könnte Rosalie noch auf die Idee kommen, ihn womöglich zu verspeisen.

Drum lässt die Autorin die beiden Fellwesen in Mit einer Katze nach Paris gemeinsam Kirschen essen, eine Spritztour machen und Paris mit seiner Mona Lisa, dem Eiffelturm und Käse erkunden. Und zwischen den Zeilen hämmert das kleine Mäuseherz, denn Rosalie hat Ronald immer noch zum Fressen gern. So spielen die Emotionen in dem Kinderbuch zwischen Fürchten und Freude ebenfalls das Katz- und Mausspiel. Ein Storytelling und einfacher Sprachstil, bei dem Kinder ihre Lesefreude haben.

Zur Visualität von Mit einer Katze nach Paris

Die Illustrationen von Joëlle Tourlonias sind für mich wahre Buchöffner. Der Blick aufs Cover und ihr Name haben mich in der Bücherei dazu gebracht, noch ein 9. Kinderbuch auf den schon schweren Stapel zu legen. Und habe ich es bereut? Pustekuchen. Joëlle Tourlonias überzeugt auf ganzer Buntstiftlinie. Etwas Anderes hätte ich auch nicht erwartet. Ihr bekannter, niedlicher und sanfter Zeichenstil ist für Kinderherzen wie geschaffen. Und wenn man genau hinsieht, entzückt sie mit solch einer Präzision wie etwa die feinen Katzenhaare, dass sich das Können dieser Künstlerin zweifellos nicht auf Kinderbücher beschränken lässt.

Auch der Stilmix zwischen liebreizenden Tierzeichnungen und detailreichen Architekturen lässt Groß und Klein staunen. Das Einzige, das den Glanz der Panoramabilder etwas schmälert, ist die Text-Bild-Integration. Nach meinem ästhetischen Empfinden wäre ein visuell harmonischerer Text-Bild-Übergang in Form eines verspielteren Schriftsatzes wünschenswert gewesen. Aber das ist sicher eine Geschmacksfrage und wird als Extrawurst verbucht.

Fazit zu Mit einer Katze nach Paris

Mit ihrem neuesten Kinderbuch hat Angelika Glitz eine unterhaltsame und spannende Liebesgeschichte zwischen Katz und Maus erschaffen, die den Kindern kindgemäß nahelegt, Vorurteile über Bord zu werfen und erst einmal mit jemanden Kirschen zu essen. Mit wunderbaren Illustrationen von Joëlle Tourlonias erzählt die Autorin von der Angst vor dem Fremden, die besser klein und klug wie eine Maus sein, und die Chance auf Freundschaft und Liebe offenhalten sollte. Für so eine runde Kindergeschichte, die sich auch gut zum Vorlesen eignet, vergebe ich 9 Sterne.

TitelMit einer Katze nach Paris
Erscheinungsjahr2017
Autor*in, Illustrator*inAngelika Glitz (Autorin)
Joëlle Tourlonias (Illustratorin)
VerlagS. Fischer Verlag
Umfang32 Seiten
Altersempfehlungab 4 Jahren
ThemaFreundschaft, Liebe, andere Länder

Der Beitrag MIT EINER KATZE NACH PARIS von Angelika Glitz | Kinderbuch 2017 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/buch-mit-einer-katze-nach-paris-2017/feed/ 0 4478
THEOGONIE von Hesiod, Musenfreund & Frauenfeind | Griechische Mythologie http://www.blogvombleiben.de/buch-hesiod-theogonie/ http://www.blogvombleiben.de/buch-hesiod-theogonie/#respond Sat, 04 Aug 2018 07:00:12 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4626 Eine Schöpfungsgeschichte ohne Adam und Eva, dafür mit 50-köpfigen Riesen, die einander ihre 50 Köpfe einschlagen?…

Der Beitrag THEOGONIE von Hesiod, Musenfreund & Frauenfeind | Griechische Mythologie erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Eine Schöpfungsgeschichte ohne Adam und Eva, dafür mit 50-köpfigen Riesen, die einander ihre 50 Köpfe einschlagen? Wenn Hesiod von der Entstehung der Welt erzählt – lange bevor die Bibel geschrieben wurde – dann geht’s zur Sache. Die Theogonie wimmelt vor Göttern, die einander lieben, betrügen, bekriegen, und wilden Fabelwesen, die wie aus einem tierischen Baukasten zusammengesteckt daherfliegen. Manches wirkt geradezu abstrus, anderes kommt uns doch allzu bekannt vor. Ein Blick auf eines der ersten Werke dessen, was wir »Weltliteratur« nennen.

Bericht des Bauern-Dichters

Ein Ausschnitt des Gemäldes The Birth of Venus, dazu ein Buchcover und der Text: Die Theogonie von Hesiod
The Birth of Venus (ca. 1879) von William-Adolphe Bouguereau (hier im Ausschnitt zu sehen) zeigt eine Szene aus der Theogonie von Hesiod. Venus, die Göttin der Liebe, heißt in Griechenland Aphrodite.

Totale: Theogonie im Zusammenhang

Historischer Kontext

Am Anfang der Weltliteratur stehen – von einem europäischen Standpunkt aus gesehen – zwei Namen, die schon zu Platons Zeiten berühmt waren. Die Rede ist von Hesiod und Homer, zwei Dichter, die vor ungefähr 2700 Jahren lebten. Sie waren diejenigen, die den Griech*innen die Herkunft der zahlreichen Götter lehrten, diesen Namen gaben und ihre Funktionen und Erscheinungen beschrieben. So fasste die Errungenschaft der beiden Dichter bereits Herodot (2, 53) zusammen, Urvater aller Geschichtsschreiber*innen, im 5. Jahrhundert vor Christus (dem Sohn des einzigen Gottes, an den gemäß der heute am weitesten verbreiteten Religion noch zu glauben ist). Ein paar Jahrzehnte nach dem Historiker Herodot urteilte der Heerführer und spätere Herrscher Alexander der Große: Homer sei ein Dichter für Könige gewesen, Hesiod hingegen einer für Bauern. Dinge wie Ehre, Eleganz und Schönheit haben bei Letzterem nicht allzu hohen Stellenwert.

Persönlicher Kontext

Als Sohn eines Bäckers fühle ich mich da eher zu dem Bauern-Dichter hingezogen. Dessen bekannteste Schriften – die Theogonie und Werke und Tage – sind auch viel kürzer, als Homers wuchtige Epen, die Ilias und die Odyssee. Hesiods Schöpfungsgeschichte und sein Lehrgedicht lassen sich in ein paar Mußestunden lesen. Aus diesem schändlich pragmatischen Grund habe ich mich an Hesiod herangetraut. Als Student*in der Geschichte und Philosophie kommt man an diesem frühesten aller Dichter sowieso nicht wirklich vorbei.

Und als römisch-katholisch erzogener Mensch ist es auch mal erfrischend, eine andere Schöpfungsgeschichte als die Genesis der Bibel zu lesen. In Hesiods Version der Weltentstehung, so viel sei versprochen, da gibt’s mehr Action und die krasseren Held*innen. Die Theogonie ist wie ein antikes Avengers-Prequel. Aber: Die Frauenfeindlichkeit, die das Christentum später über Jahrhunderte tradiert hat, die findet sich ebenso bei Hesiod.

Hinweis: Die Theogonie in deutscher Übersetzung und voller Länge findet sich online unter anderem unter www.gottwein.de 

Close-up: Theogonie im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Werkes

Es war einmal, am grünen Hang eines Berges in Griechenland, da lag ein junger Mann im Gras. Um ihn herum weideten die Schafe, die er zu hüten hatte. Das Gebirge hieß und heißt noch heute Helikon. Dort begegneten dem dösenden Hirten die Töchter des Zeus, dem obersten der olympischen Götter und Göttinnen. Diese Töchter waren empört über die Faulheit des Mannes, der da zwischen seinen Schafen lag:

[26] Hirtenpack ihr, Draußenlieger und Schandkerle, nichts als Bäuche, vielen Trug verstehen wir zu sagen, als wäre es Wahrheit, doch können wir, wenn wir es wollen, auch Wahrheit verkünden. 1

Im Auftrag der Musen

Mit eben dieser Mission schicken sie ihn los: Die Wahrheit soll der Mann verkünden! Sein Name ist, natürlich, Hesiod – und jene Töchter, das waren die Musen. Sie brachen den Zweig eines Lorbeerbaums ab, übergaben ihn dem Mann als Stab, und hauchten Hesiod noch göttlichen Sang ein. Damit war er gewappnet, um von der Entstehung der Götter zu berichten. Apropos, woher kamen eigentlich die Musen?

Mit eben dieser Mission schicken sie ihn los: Die Wahrheit soll der Mann verkünden! Sein Name ist, natürlich, Hesiod – und jene Töchter, das waren die Musen. Sie brachen den Zweig eines Lorbeerbaums ab, übergaben ihn dem Mann als Stab, und hauchten Hesiod noch göttlichen Sang ein. Damit war er gewappnet, um von der Entstehung der Götter zu berichten. Apropos, woher kamen eigentlich die Musen?

[53] Diese gebar in Pierien, dem Kronossohn [das ist Zeus] und Vater der Musen in Liebe vereint, Mnemosyne [die Göttin des Gedächtnisses], die an den Hängen des Eleuther waltet; sie schenken Vergessen der Übel und Trost in Sorgen. Neun Nächte nämlich einte sich ihr der Rater Zeus und bestieg fern von den Göttern ihr heiliges Lager; als aber die Zeit kam […], gebar sie neun Mädchen von gleicher Art, deren Herz in der Brust am Gesang hängt und deren Sinn frei von Kummer ist […] 2 

9 Nächte miteinander verbracht, 9 Mädchen gezeugt. Diese bestechende Logik ist laut dem Altphilologen Otto Schönberger in Mythen nicht unüblich: Die Zahl der Kinder entspricht häufig der Zahl der miteinander verbrachten Nächte. Mir persönlich gefällt die Idee, dass die Göttin des Gedächtnisses die Musen hervorbringt, die Schutzgöttinnen der Künste. Denn was will Kunst schon groß anderes, als im Gedächtnis zu bleiben?

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Werkes

Doch es ist nicht die Dichtkunst, die mir im Gedächtnis bleibt. Mag daran liegen, dass ich (der ich damals im Griechisch-Unterricht eine Graupe war) Hesiod nicht im Original gelesen habe, Götter bewahret! Erst recht nicht im Gedächtnis bleibt mir, wer wen zeugte. Obwohl die Schöpfungsgeschichte der Theogonie da um einiges spannender ausfällt als in der Bibel – Hesiod unterschlägt auch nicht, dass am Zeugungsakt meist zwei beteiligt sind. Vergleich:

BIBEL, Matthäus 1,2: Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serah von Thamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte […] 

HESIOD, Theogonie 295: Noch ein unbezwingliches Scheusal gebar Keto, das weder sterblichen Menschen noch ewigen Göttern gleicht, in gewölbter Höhle, die wundersame, mutige Echidna, halb Mädchen mit lebhaften Augen und schönen Wangen, halb Untier, greuliche, riesige Schlange, schillernd und gierig nach Blut im Schoß der heiligen Erde. […] Mit Echidna, heißt es, vereinte sich liebend Typhaon, der furchtbare, ruchlose Frevler, mit dem lebhaft blickenden Mädchen, das von ihm empfing und mutige Kinder gebar. Zuerst gebar sie den Hund Orthos für Geryoneus […]

Na, welche Schöpfungsgeschichte geht mehr ab? Welche würde man eher im Kino sehen wollen? Die Antwort ist ganz klar: NEIN. Einfach nein. Denn Achtung!

Richtigstellung | Ein aufmerksamer Leser hat mich für diesen Vergleich von Schöpfungsgeschichten ob ihrer Coolness gescholten. Zu recht, muss ich kleinlaut beipflichten. Ich wurde der groben Vereinfachung überführt. Ein tückisches Mittel, um unkundige Leser*innen mit plakativen Pseudo-Beispielen ins eigene Lager zu ziehen. Dabei liegt hier wohlgemerkt keine Tücke im heimtückischen Sinne zugrunde: Ich bin schlicht selbst zu unkundig, als dass ich meine (allenfalls geahnte…) Vereinfachung in ihrem ganz Ausmaß bemerkt hätte.

Fakt ist, dass es nicht die eine biblische Schöpfungsgeschichte gibt. Ein kurzer Blick ins Stichwort-Verzeichnis von Bibelwissenschaft.de genügt, um sich der Breite des Schöpfungsthemas bewusst zu werden. Ein längerer Blick in den Artikel Schöpfung AT (von Annette Schellenberg) lässt staunen, wie sich das Thema hinsichtlich Terminologie, Auslegung und kulturellem Standpunkt in all seiner Vielschichtigkeit auffächert – was man bei der jahrhundertlangen Entstehungsgeschichte erwarten sollte. Jener aufmerksame Leser schrieb mir folgende Denkanstöße:

Das Judentum wurde sowohl von den Griechen als auch von den Römern als »Volk von Philosophen« bezeichnet, weil die – nennen wir es – »Volksbildung« recht hoch war. Fachsimpeln war scheinbar Bestandteil der Religionsausübung. Die Geschlechter-Listen (Abraham zeugte Isaak etc.) sind eigentlich gar nicht Teil der Schöpfung. Sie sind Resultat einer Redaktion (siehe Priesterschrift) in der verschiedene mündlich tradierte Erzählkreise in ein Gesamtwerk verpackt werden sollen. Diese langweiligen Verwandtschaftslisten sind also ein »Kit«, um verschiedene viel ältere Geschichten in eine Chronologie zu bringen.

Das Geile ist ja jetzt, dass dem alttestamentarischen Juden diese mesopotamischen, ägyptischen und später hellenistischen Theogonien bekannt waren. Sie waren Teil seines kulturellen Umfeldes. Die wirklich vielfältigen Schöpfungsvorstellungen in der Bibel gewinnen mit der Kenntnis anderer Mythen noch viel mehr an Aussagekraft. Es steckt viel mehr heroic epicness mit Monstern und Helden zwischen den Zeilen, als man heute auf den ersten Blick vermuten mag

Florian Sauret, Nachtwächter der Stadt Bocholt

In diesem Sinne, vielen Dank für das wertvolle Feedback und die vertiefenden Einblicke in ein doch sehr komplexes Thema! Und um auch die Komplexität der Griechischen Mythologe nochmal so übersichtlich und unterhaltsam wie möglich zu vermitteln, gibt’s hier ein wirklich großartig gemachtes Video von Maurus Amstutz, der die Theogonie als Animationsfilm adaptiert hat:

Weil der Mann das Feuer bändigte

Nun denn, wie gesagt, die ungeheuerliche Titanen-Parade aus der Theogonie von Hesiod ist es nicht, die mir in Erinnerung bleibt. Stattdessen prägt sich ins Gedächtnis, wie der antike Dichter schon inbrünstig gegen die Frau wettert. Sie kommt als Strafe des Zeus auf die Erde, dafür, dass der Mensch sich des Feuer bemächtigt hat:

[570] Sogleich schuf er den Menschen für das Feuer ein Unheil. Aus Erde nämlich formte der ruhmreiche Hinkfuß Hephaistos nach dem Plan des Kronossohnes das Bild einer züchtigen Jungfrau. […] Staunen hielt unsterbliche Götter und sterbliche Menschen gebannt, als sie die jähe List erblickten, unwiderstehlich für Menschen. Stammt doch von ihr das Geschlecht der Frauen und Weiber. 3

The Creation of Pandora (1913) von John D. Batten
The Creation of Pandora (1913) von John D. Batten

Die Frau als Strafe

Diese unwiderstehliche Jungfrau, die Zeus den Menschen zur Strafe schickte, war Pandora. Jene Pandora, von der sich auch die heute noch sprichwörtliche »Büchse der Pandora« ableitet. Allein, dass die »Büchse« einem Übersetzungsfehler oder Kunstgriff aus der Renaissance zurückgeht. Bei Hesiod schickte Zeus seine tückische Kreation noch mit einem Faß los, zu den Menschen.

[591] Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluß. […] Gerade so schuf der hochdonnernde Zeus zum Übel der sterblichen Männer die Frauen, die einig sind im Stiften von Schaden. Auch sandte er ein weiteres Übel zum Ausgleich des Vorteils: Wer die Ehe und schlimmes Schalten der Weiber flieht und nicht freien will, der kommt in ein mißliches Alter, weil es dem Greis an Pflege fehlt. 4

Hesiods Vorbilder

Soll heißen: Man könne weder mit noch ohne die Frauen gut leben. Denn obwohl sie ein beschwerliches Laster seien, bräuchte man sie doch zur Zeugung einer Nachkommenschaft, die den Vater im hohen Alter pflegen kann. Schönberger kommentiert es so: »Die Frau ist die Strafe. Hesiod war (aus Erfahrung?) ein Frauenfeind und will die schlimme, ja vernichtende Rolle der Frau im Leben der Menschen darstellen.«

Es spielt keine Rolle, welche Erfahrungen Hesiod mit einzelnen Frauen gemacht haben mag. Den allgemeinen Frauenhass jedenfalls, den hat der Dichter nicht erfunden. Ebenso wenig wie die meisten der Götter und Göttinnen und einige ihrer Abenteuer, die in der Theogonie geschildert werden. Auch wenn Hesiods Werk eines der ältesten ist, die uns erhalten geblieben sind, hat sich der Dichter im 8. Jahrhundert v. Chr. bereits von einem ganzen Kosmos an Ideen und Geschichten inspirieren lassen können. »Viele Vorbilder«, so bringt Otto Schönberger es auf den Punkt, »dürften uns unbekannt sein.«

Von der Dichtung zur Philosophie

Die Strahlkraft von Hesiods Werk lässt sich schon besser nachweisen. So schreibt man ihm einen Einfluss auf die vorsokratischen Philosophen zu. Indem Hesiod den mythischen Wesen seiner Erzählung die Bezeichnung oder Eigenschaften von Gegebenheiten der Wirklichkeit gab – so verkörpert die Göttin Gaia etwa die Erde – vollzieht Hesiod »einen Schritt von der epischen Dichtung zur Philosophie«, schreibt Schönberger und nennt Hesiod einen »Vorbote[n] spekulativen Denkens« in den »Schranken überlieferter Vorstellungen«.

Hesiod in diesem Vorboten-Sein eine besondere Leistung zuzuschreiben wäre indes, als würde man einen Frosch dafür loben, dass er als Wassertier schon Beine hat. Der Gedankengang von mythischen Wesen über Metaphysik und Erkenntnistheorie hin zur hochtechnologisierten, naturwissenschaftlichen Forschung vollzieht sich in ähnlich evolutionären, ihrem Gewicht unbewussten Einzelschritten, wie der Werdegang vom Meeresbewohner zum Menschenaffen.

Fazit zur Theogonie

Eine kurzweilige Lektüre von hohem, historischem Stellenwert, die gleichermaßen beeindruckend und beschämend ist. Darin steckt viel Wahres darüber, wie sich der Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten die Welt erklärt – zuweilen eben sehr erfindungsreich. Schon Platon kritisiert vieles von Hesiods Dichtung als »unwahre Erzählungen« (Politeia, Abschnitt 40a über Musische Bildung), die den jungen Leuten nicht unbedacht überliefert werden, »sondern am liebsten verschwiegen bleiben« sollten. Das geringschätzige Frauenbild hingegen, das Hesiod vermittelt, hatte Platon ebenso verinnerlicht, wie all die Generationen nach im, zum Teil bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts.

Apropos Platon: Hier geht’s zu Blogbeiträgen über Platons Ideenlehre und Platons Höhlengleichnis.

Der Beitrag THEOGONIE von Hesiod, Musenfreund & Frauenfeind | Griechische Mythologie erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/buch-hesiod-theogonie/feed/ 0 4626
Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/ http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/#respond Wed, 25 Jul 2018 07:00:35 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4288 Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia…

Der Beitrag Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Früher Nachmittag, ich bin gerade im Bad. Durch die Tür höre ich, dass Musik läuft. Sonia schaut ein Handyvideo. Sie sitzt auf dem Sofa. Draußen brütet die Hafenstadt Padstow unter der Sonne. Das Sprachwirrwarr der Tourist*innen und das Geschrei der Möwen dringen durchs offene Fenster herein, mit den Sonnenstrahlen. Ich setze mich zu Sonia, in den Schatten der Gardine. Das Video hat eine Freundin bei Facebook geteilt. Fünf Minuten, fast vorbei, Sonia scrollt nochmal auf Anfang. So derart im alltäglichen Zwischendurch begriffen, aus irgendwelchen Gedanken gerissen, entdecken wir das Musikvideo zu Birthplace von Novo Amor. Wie eine Flaschenpost im Meer der Massenmedien. Mit wichtiger Botschaft und doch hoffnungslos verloren im ganzen Müll, der das Netz anfüllt.

Im Rachen des Todes

»Hip Hop has always been political, yes, it’s the reason why this music connects« rappt Macklemore in seinem Song White Privilege II, in dem er reflektiert, wie man sich als weißer Mensch zu der Bewegung Black Lives Matter verhalten soll/kann. Rund 50 Jahre vor ihm hat der Künstler Norman Rockwell mit seinem Gemälde The Problem We All Live With (1964) ähnliche Gedanken angeregt, zum selben Problem, das nach wie vor besteht: Rassismus. Ein anderes Problem, das haben die Guerrilla Girls im Jahr 1989 adressiert. Auf einem ausdrucksstarken Poster fragen sie: Do women have to be naked to get into the Met. Museum? Unter dem Schriftzug ist der Sexismus einer Kunstwelt, in der Frauen lieber als Objekte denn Subjekte gesehen werden, in Zahlen belegt. Zahlen, die sich kaum verändert haben, in den Jahren, in denen dieses Poster in neuer Auflage verbreitet wurde, 2005 und 2012.

Kunst ist immer schon politisch gewesen, ja, aber hat sie jemals die Welt verbessert? 

Free Diver Michael Board und ein Manta Rochen im Meer, Standbild aus dem Musikvideo Birthplace von Novo Amor

Was kann Kunst schon ausrichten?

Und jetzt: Ein weiteres Problem. Beim Staunen über das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor spüre ich einen Stein im Magen. Kann es das Debakel, das darin so bildgewaltig in Szene gesetzt wird, zum Besseren wenden? Oder vielmehr zur Wende beitragen? Bevor wir über das Problem sprechen, und über das Musikvideo zu Birthplace, dieses politische Kunstwerk von atemberaubender Wirkung, hier ein kurzer Blick hinter die Kulissen. Denn die Entstehungsgeschichte ist, wie so oft, nicht minder beeindruckend als das Werk selbst. Da Song und Musikvideo den Titel Birthplace tragen, fangen wir passender Weise mal ganz vorne an. Denn den wenigsten wird einer der wichtigsten Protagonisten dieser Geschichte bis dato bekannt sein: Wer ist Novo Amor?

Novo Amor und die Natürlichkeit

Novo Amor ist der Künstlername eines Mannes, dessen birthplace man als Nicht-Waliser*in wohl kaum aussprechen kann. Llanidloes heißt sein Geburtsort – und der Mann mit bürgerlichem Namen: Ali John Meredith-Lacey. Als solcher ist er am 11. August 1991 zur Welt gekommen. Und als Novo Amor hat er 2012 – im Alter von 21 Jahren – erstmals eine Single mit 2 Tracks veröffentlicht: Drift. Seine erste EP mit 4 Tracks veröffentlichte er am 31. März 2014 mit dem norwegischen Label Brilliance Records. Woodgate, NY lautet der Titel der Platte, die von zahlreichen englischsprachigen Musikblogs besprochen und gefeiert wurde.

»Darin erklingt die sprießende Saat stilistischer Erfindungsgabe«, schreibt The 405 in fast ebenso erdiger, naturnaher Sprache, wie Novo Amor sie in seinen Songs verwendet. Er singt in Woodgate, NY von brennenden Betten und über die Ufer tretenden Seen, von exhumierter Liebe und gefrorenen Füßen. Mit den poetischen Lyrics und den erwartungsvollen Reviews, die großes Potential wittern, erreicht er bereits eine globale Hörerschaft.

Etymologie: Der Name Novo Amor leitet sich vom Lateinischen (novus amor) ab und bedeutet »Neue Liebe«. Nach eigenen Angaben durchlebte Ali Lacey im Jahr 2012 gerade eine Trennung, als er sich mit seinem Musikprojekt sozusagen einer neuen Liebe zuwendete.

Die Nähe zum Visuellen

Schon im Januar hatte Novo Amor eine künstlerische Zusammenarbeit mit dem englischen Produzenten und Songwriter Ed Tullett (1993 geboren) begonnen. Nach dem Erfolg von Woodgate, NY brachten die beiden Musiker am 23. Juni 2014 ihre erste gemeinsame Single heraus: Faux. Schon zu diesem Song drehte der Regisseur Josh Bennett (Storm & Shelter) ein Musikvideo, hier zu sehen. Ein weiteres, frühes Musikvideo gibt es zu From Gold, ebenfalls aus dem Jahr 2014, hier zu sehen. Mittlerweile finden sich auf YouTube zahlreiche, bemerkenswert unterschiedliche, oft stark naturverbundene Musikvideos zu Songs von Novo Amor. Dass dessen Musik eine filmische Interpretation geradezu anregt, ist kein Zufall.

Ich schrieb den Song From Gold für einen Film, der von einem Freund von mir produziert wurde – und das Feedback war wirklich gut, also entschied ich, ein paar Tracks zu sammeln und als EP zu veröffentlichen. Filmmusik ist also quasi, wo meine Musik herkommt. Ich möchte Musik produzieren, die ein wirklich visuelles Element hat. Das fühlt sich für mich wie eine natürliche Evolution an. | Novo Amor im Interview mit Thomas Curry (The Line of Best Fit)

Mehr Plastik als Fische

Nun wollte Novo Amor, der inzwischen ein Album veröffentlicht und ein weiteres in Arbeit hat, ein weiteres Musikvideo entstehen lassen – zu seinem Song Birthplace. Dazu wendete er sich an die Niederländer Sil van der Woerd (Regisseur) und Jorik Dozy (VFX-Artist), mit denen er 2017 bereits das Musikvideo zu Terraform (in Kollaboration mit Ed Tullett) umgesetzt hatte. Sil und Jorik setzten sich hin, um inspiriert von Novo Amors Birthplace eine Idee für ein Musikvideo niederzuschreiben. Hier kommt jenes Problem ins Spiel, dass die beiden niederländischen Filmemacher zu dieser Zeit beschäftigte: Das Problem mit unserem Plastikmüll in den Meeren.

Lasst uns mit ein paar Fakten starten. Mehr als 8 Millionen Tonnen Plastik werden in den Ozean gekippt – jedes Jahr. 1,3 Millionen Plastiktaschen werden auf der ganzen Welt benutzt – jede einzelne Minute. Die United States allein benutzen mehr als 500 Millionen Strohhalme – jeden einzelnen Tag. Und im Jahr 2050 wird mehr Plastik im Meer schwimmen, als Fische. Für all das sind wir verantwortlich. Du. Ich. Alle von uns. Als wir dabei waren, uns Wege zu überlegen, ein öffentliches Bewusstsein für diese globale Krise zu schaffen, sprach uns Novo Amor an, für ein neues Musikvideo. | aus: The Story Of Birthplace

Unsere selbstgemachte Nemesis

Und so entstand eine symbolische Geschichte, über einen Mann, der auf einer perfekten Erde eintrifft und auf seine Nemesis stößt: unsere Vernachlässigung der Natur in Form von Meeresmüll.

Im Herzen unserer Idee stand unsere Vorstellung eines lebensgroßen Wales aus Müll – in Anlehnung an die biblische Geschichte von Jona und dem Wal, in der Jona vom Wal verschluckt wird und in dessen Bauch Reue empfindet und zu Gott betet. Es gibt zahlreiche Berichte über Tiere, die große Mengen Plastik schlucken und daran verenden – einschließlich Wale. Obwohl wir von einem Visual-Effects-Background kommen (also viel mit Computer-Effekten arbeiten), wollten wir, dass unser Wal echt ist, authentisch. | s.o.

Die Geburt des Wals

Die Herausforderung bestand also darin, einen lebensgroßen Wal aus Müll zu bauen, der im Ozean schwimmen sollte. Die Erscheinung dieses Wales wurde dem Buckelwal nachempfunden, der bis zu 60 Meter lang und 36 Tonnen schwer werden kann.

Wir brachten unser Design des Wals in ein kleines Dorf im wundervollen Dschungel von Bali an den Hängen des Agung (ein Vulkan auf Bali). Hier arbeiteten wir mit den Dorfbewohnern an etwas zusammen, dass sich zu einem Gemeinschaftsprojekt entwickeln würde. Rund 25 Männer haben ihre Handwerkskunst im Umgang mit Bambus beigetragen, um den Wal zum Leben zu erwecken. Doch ebenso, wie die überwältigende Schönheit des Dschungels, haben wir hier die ersten Spuren des Antagonisten unserer Geschichte. | s.o.

Bali: Müll auch zu Lande

Dem Müll, der überall in Bali zu finden ist – einem Urlaubsort, der vom Massentourismus und den Mülllawinen, die damit einhergehen, zu ersticken droht. 7 Gründe, nicht nach Bali zu reisen hat die Reisebloggerin Ute von Bravebird im April 2018 zusammengefasst.

Der Wal wurde zunächst in Form eines gewaltigen Skeletts aus Bambus gebaut. Dabei musste der Wal sogar die Location wechseln, weil er aus seinen ersten Werkstätten »herauswuchs«. Zusammengesetzt wurde das Skelett schließlich in der lokalen Stadthalle – wobei die Aktivitäten dort wie gewohnt weitergeführt wurden, Musikunterricht zum Beispiel. Wie die Fertigstellung des Wals vonstatten ging und er seinen Weg ins Meer fand, das dokumentiert dieses liebevoll erstellte Making-of zum Musikvideo in großartigen Bildern:

In aller Ruhe atemlos: Michael Board

Der Mann, der dem Wal aus Müll schließlich im Meer begegnet, ist der britische Rekord-Free-Diver Michael Board. Er beherrscht dieselbe Kunst, wie die Free Diverin Julie Gautier, deren Kurzfilm AMA (2018) wir hier vor kurzem vorgestellt haben: Das lange und tiefe Tauchen ohne Atemmaske. Michael Board bezeichnet 2018 als sein bis dato erfolgreichstes Jahr, was das Tauchen im Wettbewerb angeht. Sein tiefster Tauchgang ging 108 Meter hinab ins Meer, 216 Meter, wenn man den Rückweg mit einrechnet – und das mit nur einem Atemzug.

Das Musikvideo war eine Herausforderung, weil es nicht die Art von Free Diving ist, die ich normalerweise mache. Im Free Diving geht’s eigentlich immer um Entspannung. (…) Normalerweise trägt man einen Flossen und einen Anzug, der vor der Kälte schützt. | Michael Bord in The Story Of Birthplace

Blind im Angesicht des Wals

Stattdessen trägt er in dem Video nur eine Jeans und ein Shirt. Mangels Tauchbrille war Michael Board bei den Dreharbeiten zudem praktisch blind und konnte den Wal nur sehr schwammig wahrnehmen – und nicht, wir wie als Publikum, in seiner ganzen bizarren Pracht. Hier ist das Musikvideo zu dem Song Birthplace von Novo Amor:

Es mutet seltsam an: Der Wal aus Müll hat etwas sehr Schönes an sich. Ich frage mich, ob diese Ästhetisierung des Problems von dem Schaden ablenkt, den der Müll anrichtet. Doch von der subversiven Kraft mal abgesehen: Künstlerisch ist das Musikvideo Birthplace zu dem Song von Novo Amor in jedem Fall ein starkes Statement und ein beeindruckendes Projekt.

Die Lyrics zu Birthplace + deutsche Übersetzung

Die Lyrics zu dem Song hat Novo Amor selbst unter dem Musikvideo gepostet. Hier der Versuch einer angemessenen, deutschen Übersetzung der poetisch vagen Sprache im Songtext:

Be it at your best, it’s still our nest,
unknown a better place.
// Gib dein Bestes, es ist noch immer unser Nest,
da wir keinen besseren Ort kennen.

Narrow your breath, from every guess
I’ve drawn my birthplace.
// Schmäler deinen Atem, mit jeder Vermutung
habe ich meinen Geburtsort gezeichnet.

[Refrain] Oh, I don’t need a friend.
I won’t let it in again.
// Oh, ich brauche keinen Freund.
Ich werde es nicht wieder hineinlassen.

Vom Menschen in Bestform

Be at my best, 
I fall, obsessed in all its memory.
/ Ich gebe mein Bestes,
falle, besessen von all den Erinnerungen.

Dove out to our death, to be undressed,
a love, in birth and reverie.
// Ich tauchte hinaus zu unserem Tode, um entblößt zu werden,
eine Liebe, in Geburt und Tagträumerei.

[Refrain]

Here, at my best, it’s all at rest, 
‘cause I found a better place.
// Hier, in meiner Bestform, ist alles in Ruhe,
denn ich habe einen besseren Ort gefunden.


Weitere Links:

Der Beitrag Novo Amor, BIRTHPLACE und der Wal aus Müll | Musikvideo 2018 | Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/musikvideo-birthplace-novo-amor-2018/feed/ 0 4288
Land’s End, Porthcurno Beach und The Minack in Cornwall | Reise, Travel http://www.blogvombleiben.de/lands-end-porthcurno-beach-the-minack/ http://www.blogvombleiben.de/lands-end-porthcurno-beach-the-minack/#respond Mon, 23 Jul 2018 07:00:53 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4273 Wer nach Cornwall reist, wird auch Land’s End erleben wollen. Cornwall (eingedeutscht: Kornwall) ist diejenige Grafschaft,…

Der Beitrag Land’s End, Porthcurno Beach und The Minack in Cornwall | Reise, Travel erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Wer nach Cornwall reist, wird auch Land’s End erleben wollen. Cornwall (eingedeutscht: Kornwall) ist diejenige Grafschaft, die als südwestlichster Landteil von England den Zipfel der South West Peninsula umfasst. Zwischen dem Bristol- und dem Ärmelkanal. In der Nähe der darin gelegenen Stadt Penzance ragt eine Landzunge ins Meer, deren Spitze der westlichste Punkt der Hauptinsel Großbritanniens ist: Land’s End. Auch uns hat es auf unserer Cornwall-Reise dorthin verschlagen – der schönste Ausflug des gesamten Trips. Kleiner Reisebericht.

Zwischen Meerblickbrot und Freilichtbühne

Ausgangspunkt unseres Tagesausflugs am Montag, 16. Juli 2018 war die Hafenstadt Padstow im Norden Cornwalls. Dort durften wir ein kleines Apartment mitten im Städtchen für eine Woche unser Zuhause nennen. Von Padstow nach Penzance sind es mit dem Auto (wenn man langsam fährt, weil man nicht auf das Linksfahren und die Steigungen klarkommt) etwa anderthalb Stunden. Eine schöne Strecke, gesäumt von grünen Panoramen und hin und wieder einem Blick aufs Meer. Nahe Penzance ist das Land’s End dann schon überdeutlich ausgeschildert, so dass man sich getrost vom Navi lösen und den Schildern (oder in unserem Fall: einem Reisebus) folgen kann.

Bloggerin Sonia Lensing steht an der Küste von Land's End in Cornwall, Südengland

Erster Stop: Land’s End

Natürlich ist Land’s End touristisch erschlossen. Wo man an der Südwestspitze Portugals – Cabo de São Vicente – einen Leuchtturm besichtigen und »die letzte Bratwurst vor Amerika« futtern kann, erwartet die Reiselustigen im britischen Land’s End fast ein kleiner Freizeitpark. Schon die Durchfahrt zwischen zwei Mauern, vor denen »LAND’S« und »END« in großen, steinernen Buchstaben rechts und links der Straße stehen, erinnerte mich ein wenig an Jurassic Park. Gleich dahinter knüpfte uns ein überfreundlicher Brite 6 Pfund fürs Parken haben (»you can stay as long as you want«, na dann). Parkplätze sind reichlich vorhanden. Wir trafen in der Mittagszeit bei bestem Sonnenschein ein und hatten kein Problem, unseren VW Polo »paid and displayed« irgendwo abzustellen.

Hier geht’s zur offiziellen Website von Land’s End, samt Übernachtungs- und Erlebnismöglichkeiten für Gäste, die länger bleiben möchte – und für solche, die noch länger bleiben möchten: Jobangebote!

Dinos und domestizierte Kamele

In besagtem, einem Freizeitpark gleichendem Gebäudekomplex, gab es neben anderen Attraktionen für Familien mit Kindern tatsächlich ein 4D-Kino-Erlebnis zu dem aktuellen Dino-Sequel Jurassic World: Das gefallene Königreich. Sehr verlockend, und doch hielten wir uns in diesem (etwas überbevölkerten) Gebäudekomplex nur für unseren rituellen Mittagskaffee auf.

Den Lunch wollten wir hingegen direkt an den Kliffen genießen. Auf dem Fußweg dorthin kommt man an der Greeb Farm vorbei. Dabei handelt es sich um eine der Reklame nach 200 Jahre alte, kornische (also typisch-cornwallige) Farm, wie sie einst wohl oft an der dortigen Küste zu finden war. Ob solche Farmen schon damals neben Schafen auch Alpakas hielten, das weiß ich nicht. Jedenfalls begegneten uns dort, im Vorbeigehen, zwei dieser domestizierten Kamele aus (eigentlich) Übersee.

Butterbrot mit Blick aufs Meer

Hinter der Farm gelangt man schließlich an die Küste. Eine Absperrung zu den Klippen gibt es nicht wirklich. Insofern ist Vorsicht geboten: Da geht’s ziemlich tief hinab. »Dangerous Cliffs« liest man in roten Lettern auf einigen Steinen am Wegesrand.

Ein bemalter Stein warnt vor Dangerous Cliffs am Land's End

Bloggerin Sonia Lensing betrachtet die Klippen am Land's End

Die Aussicht auf das offene Meer war fantastisch. Beeindruckende Felsformationen ziehen sich entlang beider Richtungen, die man zu Fuß weiter erschließen kann. Dort haben wir uns einen abgelegenen Platz gesucht und unser Butterbrot gegessen. Die Möwen an der Küste sind längst nicht so frech, wie im Hafen von Padstow, wo mir eine dieser weißen Luft-Piratinnen mein Eis abgeknüpft hat, direkt aus der Hand (und genau da hört der Spaß nämlich auf!).

Vielmehr segelten die Möwen an Land End’s geradezu majestätisch neben den Felswänden her, wie sie es schon seit Jahrtausenden tun. Ich muss bei dem Anblick solch großer Vögel an der See immer an Flugsaurier denken (ja, Jurassic Park nimmt in meinem Kopf sehr viel Raum ein).

Eine Möwe fliegt entlang der Klippen

Nächster Stop: Porthcurno Beach

Am Nachmittag sind wir schließlich weiter zur Küstensiedlung Porthcurno gefahren – nur 10 Autominuten vom Land’s End entfernt. Schon tags zuvor hatten wir übers Internet Tickets für das Minack Theatre (oder einfach: The Minack) bestellt, die 20-Uhr-Vorstellung des Stücks Candide. Dazu waren wir satte vier Stunden zu früh vor Ort, aber in Porthcurno kriegt man diese Zeit bei gutem Wetter wunderbar um. (Bei schlechtem Wetter übrigens auch, etwa mit einem Besuch im unterirdischen Porthcurno Telegraph Museum – vorausgesetzt, man interessiert sich für Telegrafie und so ’n Zeugs.)

Bei unserer Ankunft in Porthcurno schien die Sonne, keine Wolke am Himmel, und schon am Parkplatz kamen uns Menschen in Badekluft entgegen. Yeah! Wo kamen diese Beachboys and -girls bloß her!?

Kleiner Exkurs zum Parken in Porthcurno: Man wird, wenn man in den Mini-Ort fährt, wie automatisch auf einen größeren Parkplatz gelotst. Von dem aus sind Strand, Museum und Beach Café fußläufig erreichbar. (Ebenso, etwas bergauf, das Minack Theatre. Das hat aber nochmal einen eigenen, großen, kostenlosen Parkplatz, wie wir etwas zu spät gelernt haben.) Die Kosten fürs Parken belaufen sich von 2 Pfund (für 2 Stunden) bis maximal rund 6 Pfund (für den ganzen Tag). Hier geht’s zum Euro-Pfund-Umrechner.

Sprung ins Blaue

Von einem Strand in Porthcurno hatten wir zuvor gar nichts gehört, gelesen, gesehen, somit auch keine Badesachen mitgebracht. Zu dumm, dachten wir, als wir über bewaldete Wege in die Bucht von Porthcurno schlenderten und diesen großartigen Strand vor uns sahen. Heller, feiner Stand, strahlend blaues Wasser, ein bisschen Wellengang und nur wenige Menschen. Das alles vor traumhafter Kulisse, eingerahmt in grün umsäumte Klippen, dazwischen wie gemalt der Horizont: Wow!

Panorama-Bild vom Porthcurno Beach

Und mal ehrlich, wer braucht schon Badesachen? Wir haben uns kurzerhand in Unterwäsche ins Wasser gestürzt und das kalte Nass genossen. (Mit rund 16 Grad nicht sooo kalt wie erwartet. Überhaupt haben wir an diesem sonnigen Juli-Tag am Strand kaum glauben können, in Groß-Britannien zu sein. Erinnerte zuweilen eher ans Mittelmeer.)

Am Ende des Tages sind wir, getrocknet (sowie etwas verbrannt) von der Sonne und mit Meersalz in den Haaren hoch zum Minack gelatscht. Oben haben wir am Holzhäuschen unsere hinterlegten Tickets abgeholt. Nach wie vor zu früh, konnten wir auch dort einmal mehr die Klippen erkunden und tolle Aussichten genießen – plus leckeres Essen! Denn anders als andere, geregeltere Theaterbesucher*innen hatten wir kein Picknick mitgebracht. (Es gibt neben dem Parkplatz einen Garten mit Holztischen und -bänken. Auf denen kann man sich auch prima mit eigenem Proviant ausbreiten.) Unser Abendessen haben wir an dem Stand von Katie’s Cornish Hot Pots geholt: ne ordentliche Portion veganer Kichererbsen-Eintopf mit Reis und Tortilla-Brot im Takeaway-Pappkarton, perfekt!

100 Jahre Bernstein

Zum krönenden Abschluss dann die Aufführung im Freilichttheater. Das Stück unserer Wahl: Candide oder der Optimismus, von (ursprünglich) dem großen Philosophen Voltaire. Der Komponist Leonard Bernstein hat’s in den 50er und nochmal in den 70er Jahren zu einem Musical adaptiert. Und weil dieser gute Mann diesen Sommer 100 Jahre alt geworden wäre, wurde ihm zu Ehren eben dieses Bühnenstück zum Besten gegeben.

David und Sonia Lensing im Minack Theatre, Cornwall

Bühne des Minack Theatre, Cornwall

Naturgewaltige Kulisse

Das Minack Theatre befindet sich an einem Felshang. Aufgebaut und über Jahrzehnte gepflegt wurde es von der Britin Rowena Cade. Das ist die Schwester der visionären, feministischen Schriftstellerin Katharine Burdekin (Nacht der braunen Schatten). Die Tribünen dieses Ausnahme-Theaters sind in die Klippen eingearbeitet und der Blick der Zuschauer*innen geht, über die Bühne hinaus, aufs freie Meer. Samt der Wolkenformationen, die darüber von Wind und Wetter in Szene gesetzt werden. Eine krasse Kulisse, vor der man tatsächlich vermutlich jedes noch so miese Musical irgendwie dramatisch finden muss. Stattdessen aber erweckten das Ensemble, begleitet von einem Live-Orchester, die Geschichte um den optimistischen Herrn Candide und seiner nicht ganz optimalen Reise um die Welt auf beeindruckende Art und Weise zum Leben. Doch davon ein andermal mehr.

Steine bilden das Wort END an Land's End in Cornwall, England

Weitere Reiseberichte:

Der Beitrag Land’s End, Porthcurno Beach und The Minack in Cornwall | Reise, Travel erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/lands-end-porthcurno-beach-the-minack/feed/ 0 4273
GHOSTLAND, Horror von Pascal Laugier, Set-Unfall | Film 2018 | Kritik, Spoiler http://www.blogvombleiben.de/film-ghostland-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-ghostland-2018/#respond Mon, 09 Jul 2018 07:00:21 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4241 Er hat es wieder getan. Der Franzose Pascal Laugier lebt seit nunmehr 15 Jahren sein Faible…

Der Beitrag GHOSTLAND, Horror von Pascal Laugier, Set-Unfall | Film 2018 | Kritik, Spoiler erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Er hat es wieder getan. Der Franzose Pascal Laugier lebt seit nunmehr 15 Jahren sein Faible für Horrorfilme in schöpferischer Funktion aus – als Drehbuchautor und Regisseur. Mit Ghostland findet er beinahe zu der Härte zurück, die ihn mit Martyrs (2008) bekannt gemacht hat. Überschattet wird Laugiers neuer Film allerdings von einem Unfall, der sich beim Dreh ereignete und Schauspielerin Taylor Hickson mit einer Narbe im Gesicht zurücklässt.

Vorfall im Geisterland

Deadline Hollywood spricht von der Ironie, dass das Kinoplakat zum Film Ghostland das Gesicht einer jungen Frau wie von Scherben zerschmettert zeigt. Die Anklageschrift spricht von mangelnden Industriestandards und wirft der Produktionsfirma vor, die Schauspielerin Taylor Hickson in eine absehbar gefährliche Situation gebracht hat. Regisseur Pascal Laugier wird indes in dieser Anklageschrift nicht erwähnt, obwohl er bei dem Unfall eine gewisse Rolle gespielt zu haben scheint. Mehr dazu im Absatz »Set-Unfall mit Taylor Hickson«.

Zum Inhalt: Eine Mutter und ihre zwei Töchter beziehen das Haus einer verstorbenen Verwandten. Doch schon in der ersten Nacht werden sie in dem düsteren Anwesen von üblen Gewaltverbrechern attackiert, die das Leben der Frauen grundlegend verändern.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler zu allen Filmen von Pascal Laugier, aber nur im Absatz »Misogynistischer Folter-Porno?«, bis dahin, schönes Lesen! Eine weitere Rezension zu Ghostland, mehr auf den Inhalt als auf den Kontext bezogen, habe ich für kinofilmwelt.de geschrieben.

Zwei Mädchen flüchten Hand in Hand in einen Wald, Standbild aus dem Film Ghostland | Bild: Mars Films

Totale: Ghostland im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Pascal Laugiers erster Film (Haus der Stimmen) handelte von einer jungen Frau, die sich in ein spukendes Waisenhaus zurückzieht, um in aller Heimlichkeit ihr Kind auf die Welt zu bringen. Laugiers zweiter Film (Martyrs) erzählte die Geschichte von zwei jungen Frauen, die im Rahmen eines Racheakts eine ganze Familie hinrichten, ehe sie selbst bluten müssen. Sein dritter Film (The Tall Man) handelte von einer jungen Frau in einer Stadt, in der Kinder von einem »großen Mann« entführt werden – ein sehr (eher: zu) wendungsreicher Wannabe-Polit-Thriller mit Horrorelementen.

Im vierten Film sind nun zwei Frauen (mal als Jugendliche, mal als Erwachsene, also vier Schauspielerinnen) der rohen Brutalität zweier Gewaltverbrecher ausgesetzt. Es verwundert nicht, dass Filmkritikerin Antje Wessels den Regisseur bei einem Interview im April 2018 also auf seine Wahl immerzu weiblicher Hauptfiguren angesprochen hat. Und er so:

Für mich sind Mädchen »das große Andere«. Sie sind alles, was ich niemals sein werde. Und ein paar Wochen auf einem Set zu verbringen und Schönheiten, ich meine, Gesichter zu filmen, die mich faszinieren – auch das ist für mich ein Grund, Filme zu machen. Vielleicht war ich in der Schule einer der von den Mädchen zurückgewiesenen Jungs – und ich mache Filme, um geübt darin zu werden, ihnen zu gefallen. Um ihnen zu zeigen, dass ich selbst ein liebenswerter Typ bin.

Pascal Laugier im YouTube-Interview mit Filmkritikerin Antje Wessels

Ich persönlich finde, der heute 46-jährige Pascal Laugier hat sich nicht das beste Genre ausgesucht, um den »girls« zu gefallen. Aber hey, wo die Liebe hinfällt… und dass seine Liebe dem Horror-Genre gilt, das hat der Mann ja nun auf vierfache, sehr unterschiedliche Weise in Spielfilmlänge unter Beweis gestellt. Dabei ist sein Œu­v­re von solch wechselhafter Qualität, dass ich dem Herrn Laugier aktuell keine Träne nachweinen täte, wenn er sich vom Regiestuhl wieder aufs heimische Sofa begäbe.

In einem Abgesang über den »Retro-Wahn des Gegenwartskinos« schreibt Georg Sesslen (DIE ZEIT, N° 31, 26. Juli 2018) anlässlich des Remake von Papillon über ein »System der Selbstreferenz«.

Die Filme beziehen sich nicht mehr auf eine Art von äußerer Wirklichkeit, sondern auf andere Filme und andere Ereignisse innerhalb der Popkultur. Das heißt natürlich nicht, dass sie sich nicht auf das Leben ihrer Konsumenten beziehen würden, dann das besteht ja in der Regel zur Hälfte aus Popkultur-Konsum.

Dabei habe ich (nach kurzer Empörung: Wie herablassend schreibt dieser Typ bitte über mein Leben!?) an Ghostland denken müssen. Wie viele Zeilen, Szenen, Kulissen, Ideen, ja ganze Versatzstücke dieses Films sind (bewusst oder unbewusst) nicht Referenzen an etwaige namhafte Vertreter*innen der Horror-Genres? Tobe Hooper und Rob Zombie als nur prominenteste Beispiele.

Noch vor dem ersten Bild serviert Ghostland bereits die erste Referenz in aller Deutlichkeit, eine, die sich durch den gesamten Film zieht. Der Streifen fängt mit einem Zitat an.

Close-up: Ghostland im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Zu Beginn des Films Ghostland sehen wir einen Schwarzweiß-Porträt des Schriftstellers Howard Phillips Lovecraft (1890-1937). Darunter – in Schreibmaschinen-Lettern getippt, erscheint die Zeile:

Freakin‘ awesome horror writer. The best. By far. | Elizabeth Keller

Wie aus der Zeit gefallen: Ein schwarz gekleideter Junge mit einem Hut rennt über einen Acker. Hin zu einer Straße, auf der gerade ein Wagen vorbeifährt. Mitten auf der Straße bleibt der Junge stehen und schaut dem Wagen nach. Aus dem Wagen, von der Rückbank aus, begegnet ein Mädchen (Taylor Hickson) seinem Blick. Ihre Schwester (Emilia Jones), auf dem Beifahrersitz, liest derweil eine selbst geschriebene Grusel-Geschichte vor. Anschließend wird sie von ihrer Mutter, am Steuer, für die Geschichte gefeiert und von ihrer Schwester beleidigt. Typisches Familiengezanke also, bis sich ein wild hupender Candy Truck von hinten nähert und den Wagen überholt.

Im Truck sieht man nur zwei dunkle Silhouetten, die den irritierten Frauen zuwinken. Spooky shit. Dann zieht der Wagen vorbei und der Titel erscheint: Incident in a Ghostland (der etwas längere, alternative Titel des Films)

An einer Tanke kauft die schriftstellerisch ambitionierte Tochter etwas zu knabbern. Draußen fährt jener Candy Truck vorbei, gruselig langsam, das Licht in der Tanke flackert, als hätte der Sicherungskasten Angst bekommen. Besagte Tochter wirft einen Blick auf die Titelseite einer Zeitung, die da rumliegt: »Familien-Killer schlagen zum fünften Mal zu!« (wenn man später erlebt, wie auffällig und unvorsichtig diese Killer unterwegs sind… dann muss man sich schon sehr wundern: Wie genau hat die Polizei denn bisher versucht, sie aufzuhalten?)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

All die üblen Vorzeichen führen rascher als gedacht zur Konfrontation zwischen den Familien-Killern und der Familie. Dabei geht es brutal zur Sache. Die Gewalt-Eskalation zum Auftakt des Films ist derartig heftig in Szene gesetzt, dass sich schon hier die Spreu vom Weizen trennen wird: die Zuschauer*innen, die solche Filme lieber meiden, und diejenigen, die bleiben. Letztere bekommen einen Film zu sehen, der handwerklich sehr gut gemacht ist. Vieles, was an Pascal Laugiers vorausgegangenem Werk The Tall Man mies war (die Computer-Effekte, die unglaubwürdigen Twists, die politische Message) fallen weg. Stattdessen: Absolut solides Genre-Kino, dass zur Entspannung zwischen den Gewalt-Exzessen gekonnt Zeit- und Wirklichkeits-Ebenen wechselt. Samt Cameo-Auftritt von H. P. Lovecraft.

Die Kritik zum Film fällt sehr gemischt aus (siehe: englischer Wikipedia-Beitrag). Manch Filmrezensent*innen schlagen mit ihrem Lob ein bisschen über die Stränge. So schreibt Simon Abrams (The Village Voice):

[Ghostland] ist eine verstörende, effektvolle Kritik an misogynistischen Folter-Pornos. […] Der Film mag zuweilen daherkommen wir ein blutrünstiger Slasher-Klon, aber Laugiers gefolterte Mädchen erweisen sich immer wieder stärker als ihre brutal entstellten Körper.

Misogynistischer Folter-Porno? (Achtung, Spoiler!)

In Haus der Stimmen stirbt die junge Mutter mit ihrem Neugeborenen im Arm. Im Laufe von Martyrs schlitzt sich die eine Hauptfigur selbst auf, die andere wird gehäutet – und stirbt elendig. Am Ende von The Tall Man wird die weibliche Hauptfigur auf Lebenszeit weggesperrt, nachdem man ihr die Scherben aus dem Gesicht gepickt hat. In Ghostland, das stimmt, da überleben die beiden Mädchen die schier endlosen Gewalt-Attacken in den vorausgegangenen anderthalb Stunden.

Man kann nicht behaupten, ein Film sei nicht misogynistisch oder gar feministisch, nur weil die weiblichen Protagonistinnen am Ende irgendwie mit dem Leben davon kommen. Ghostland ist ein Folter-Porno, der Misogynisten gefallen wird. Ebenso, wie Der Soldat James Ryan kein Antikriegsfilm, sondern ein Kriegsfilm ist, der all denen gefällt, die Lust auf Kriegs-Action haben.

[Die Gewalt] dient als Mittel zum Zweck, um Zuschauer*innen daran zu erinnern, dass Traumata die menschliche Psyche schädigen können. Doch darüber hinaus scheint Ghostland nichts zu sagen zu haben. Der Mittel zum Zweck führt zu keinem tieferen Sinn oder einer größeren Idee, so dass die Unmenschlichkeit sich wirklich lohnt. Die Story ist zu hauchdünn, um zu rechtfertigen, was ihre Charaktere durchleben müssen. Dadurch wirkt die Gewalt als Ziel gesetzt und misogynistisch.

Day Ebaben (BloodyDisgusting), aus dem Englischen übersetzt

Das Kunstschaffen von Pascal Laugier

Pascal Laugier wurde am 16. Oktober 1971 geboren. Er begann seine Karriere als Assistent des Regisseurs und Filmproduzenten Christophe Gans (Silent Hill, Die Schöne und das Biest). So drehte Laugier zu dessen Pakt der Wölfe (2001) mit Vincent Cassel eine Making-of-Dokumentation (und er trat selbst in dem Film auf).

Später schrieb und inszenierte Pascal Laugier nach seinem Debüt Haus der Stimmen (2004) den Horror-Schocker Martyrs (2008), seit dem er dem New French Extremism zugeordnet wird. Das Gewalt-Spektakel brachte dem Regisseur einige Kontakte in Hollywood ein, wo er nach eigenen Aussagen, »drei oder vier verschiedene Projekte« unterzeichnete. Eines davon war ein Remake zu dem Horror-Klassiker Hellraiser (1987), von dem er jedoch wieder zurücktrat (oder zurückgetreten wurde). Hier ist Laugiers Sicht der Dinge:

Ich hatte das Gefühl, dass die Produzenten hinter dem neuen Hellraiser keinen wirklich seriösen Film machen wollten. Nun, für mich wäre ein neuer Hellraiser vor allem ein Film über die SadoMaso-Schwulen-Kultur, weil es von einem homosexuellen Begehren herrührt – und Hellraiser handelt von solchen Dingen. Ich wollte nicht die ursprüngliche Version von Clive Barker [Hellraiser-Schöpfer] betrügen.

Pascal Laugier im Interview mit Ambush Bug (AICN)

Die Produzenten hingegen seien eher an einem kommerziell erfolgreichen Remake für Teenager*innen als Zielgruppe interessiert gewesen. Statt eines Hellraiser-Remakes drehte Laugier stattdessen den Mystery-Thriller The Tall Man (2012). Im Jahr 2015 inszenierte außerdem er das Musikvideo zu City Of Love über gefallene (gruselig ausschauende) Engel und die Faszination für den menschlichen Körper. Die französische Popsängerin und Schauspielerin Mylène Farmer, die City Of Love sang, übernahm 6 Jahre nach Pascal Laugiers letztem Spielfilm die Rolle der Mutter in Ghostland. (Die lange Dauer zwischen seinen Projekten schreibt er Finanzierungsschwierigkeiten zu.)

Set-Unfall mit Taylor Hickson

Nun ist für einen Star für Mylène Farmer dieser Film nur eines von vielen Werken in einer langen Karriere. Für die meisten Cast- und Crew-Mitglieder*innen und Zuschauer*innen wird Ghostlandnur ein weiterer Horror-Film sein. Einer, der manchen mehr, manchen weniger gefällt, aber kaum das Zeug hat, lange von sich reden zu machen.

Allein für Schauspielerin Taylor Hickson stellt dieser Film eine Zäsur dar. Ein Schnitt, der ihr Leben in ein »Davor« und »Danach« unterteilt. Grund ist eine Szene, in der Hickson gegen eine Glastür hämmern sollte, härter, wie es der Regisseur Pascal Laugier wollte, so hart, bis das Glas brach und die junge Frau hindurch fiel. Dabei schlitzte eine Scherbe ihr Gesicht so sehr auf, dass Taylor Hickson mit 70 Stichen genäht werden musste. Die Narbe wird die Schauspielerin für den Rest ihres Lebens im Gesicht tragen. Zitat des Regisseurs:

Manchmal war ich der Bösewicht am Set. Die Crew verhielt sich sehr beschützend gegenüber den Schauspielerinnen und ich musste sie davon abhalten. Ich wollte, dass sich die Schauspielerinnen einsam und sozusagen miserabel fühlen – damit sie fähig waren, das darzustellen, was das Skript abverlangte. Also, yeah, hin und wieder fühlte ich mich wie der Bösewicht, aber die einzige Sache, woran ich dabei dachte, war der finale Film.

Pascal Laugier im Interview mit Darren Rae (Review Graveyard), 17. März 2009

Nie wieder mit Laugier

Dieses Zitat bezieht sich gar nicht auf Ghostland. Sondern auf Martyrs, dem anderen Gewalt-Schocker, den Laugier 10 Jahre zuvor gedreht hat. Als die Schauspielerinnen aus dem Film damals, Morjana Alaoui und Mylène Jampanoï, ein Interview gaben, kam dieser Gesprächsfetzen zustande (aus dem Englischen übersetzt):

Rob Carnevale (Indie London): Pascal scheint ein wirklicher netter, sanfter Typ zu sein… wie war er als Regisseur? MJ: Das ist nicht wahr… MA: Er hat eine sehr sanfte Seite und eine sehr gewaltsame Seite. Er hätte diesen Film nicht gemacht, wenn es diese gewaltsame Seite nicht gäbe. Und ich denke, dass er eine sehr gewaltsame Haltung gegenüber der Welt hat. RC: Würdet ihr wieder mit ihm arbeiten? MJ: Niemals! [Lacht.] MA: Ich ebenfalls nicht. MJ: Kann ich noch sagen, dass wir uns zwar darüber beschwert haben, aber das wir trotzdem eine exzellente Zeit dort hatten? Und auf professioneller Ebene, als Schauspielerinnen, haben wir viel über uns gelernt.

Fazit zu Ghostland

Horrorfilme sind heute, was öffentliche Hinrichtungen im Mittelalter waren: Ein Spektakel für Menschen, die von Gewalt fasziniert sieht (mich eingeschlossen). Und so wie Henker*innen damals sicher eine »gewaltsame Seite« hatten, haben sie heute Filmemacher*innen. Indem sie ihre Gewaltfantasien inszenieren und damit die Gewaltfantasien etlicher Anderer bedienen, schaffen sie ein Ventil für sadistischen Voyeurismus. Oder sie fördern ihn damit nur, so kann man es auch sehen. Ich persönliche gehöre eher der ersteren Meinung an. Doch mir graut es bei einem Regisseur, der sein filmisches Ergebnis höher wertet, als das Wohlbefinden aller Beteiligten.

Erst recht, wenn die Story derart dünn ist. Auch die Charaktere des Films bleiben substanzlos. Bloße Täter-/Opfer-Schablonen, wie man sie aus x-beliebigen Horrorfilmen kennt, die man sieht und wieder vergisst. Da warte ich doch lieber auf das nächste Werk des Meisters popkultureller Referenzen, zuweilen gar mit Wirklichkeitsbezug: Quentin Tarantino. Dessen nächster Streich soll vom mörderischen Treiben der Manson-Familie handeln.

Weitere Filmtipps:

Der Beitrag GHOSTLAND, Horror von Pascal Laugier, Set-Unfall | Film 2018 | Kritik, Spoiler erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/film-ghostland-2018/feed/ 0 4241
Wie ein Staffelfinale, nur echter | Gedanken zur Hochzeit http://www.blogvombleiben.de/wie-ein-staffelfinale-gedanken-zur-hochzeit/ http://www.blogvombleiben.de/wie-ein-staffelfinale-gedanken-zur-hochzeit/#respond Sat, 07 Jul 2018 17:00:09 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4246 Seit September vergangenen Jahres wussten wir, dass dieser Tag kommen würde. In den vergangenen Monaten hatten…

Der Beitrag Wie ein Staffelfinale, nur echter | Gedanken zur Hochzeit erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Seit September vergangenen Jahres wussten wir, dass dieser Tag kommen würde. In den vergangenen Monaten hatten wir mal lockere, mal wuselige Planungsphasen. Eher zufällig haben wir in eben dieser Zeit wieder einmal unsere Lieblings-Sitcom Friends (1994-2004) durchgeschaut. Darin geht es bekanntlich nicht selten um eben jenes Thema, das uns selbst bewegte. Und wäre unser Leben eine Serie, dann war am vergangenen Wochenende wohl Staffelfinale – mit Hochzeit! Wir möchten allen Beteiligten ganz herzlich danken!

Hochzeit? Check.

Sonia und David Lensing bei der Hochzeit

David: Bei der Serie Friends ist es ja so, dass Hochzeit als Thema zuweilen auf eine Weise behandelt wird, die man als durchaus abschreckend empfinden kann. Je nach dem, wann man sich mit wem gerade am ehesten identifiziert. Ich persönlich kriege Monicas Wedding-Ordner nie aus dem Kopf. Dieses monumentale Sammelwerk für die Planung sämtlicher Aspekte rund um »den schönsten Tag«. Ein armdicker Packen Unterlagen, mit dem man eine ganze Hochzeitsgesellschaft hätte totschlagen können. Wenn in meinen Alpträume Requisiten aus Friends auftauchten, dann nicht etwa Phoebes Gladys-Gemälde – sondern dieses Ding.

Ein winziges bisschen hatte ich ja die Befürchtung, dass auch Sonia vor der Hochzeit so einen Ordner hervorziehen würde. Tadaaa! Brautzilla! Aber allzu ernst hab ich diese Sorge nie genommen. Sonst hätt‘ ich sie ja nicht gefragt.

Sonia: Ahnte ich etwas, als wir aufs Tretboot stiegen und die Schlucht von Gorges de Verdon entlang paddelten? Ein klein wenig schon. Lag da etwas Seltenes in seinem Blick? Erst auf das türkisfarbene Wasser gerichtet (sucht er wieder Fische?), dann in meine Augen. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich. So lang hat er mich noch nie angeguckt (wie ein Fisch halt 😜). »Ja, ich bin nur ein wenig nervös, weil ich denke, dass ich dich jetzt etwas fragen möchte.« Ab da ahnte und irrte und ahnte ich wieder. Erst ein Griff in die Kameratasche – ok, Sonia, er will nur den Akku wechseln – doch dann: »Sonia Małgorzata Kansy…« –  tja, ein Dreivierteljahr später, da trag ich diesen Namen nun nicht mehr. Denn ich hab »Ja« gesagt.

Das größte Geschenk

Und heute möchte ich »Danke« sagen. Danke an unsere Familien, die uns mit kreativer Energie und Organisationstalent tatkräftig unterstützt haben. An meine Brautjungfern und Freundinnen, die mir beim Brautkleid, den Schuhen und den letzten Minuten vor dem Einzug mit Rat und Tat, Fingerspitzengefühl und Piccolöchen zur Seite standen. An meinen Trauzeugen und großen kleinen Bruder, dessen Stimme für Gänsehaut sorgte (danke für die Rede!) und jedes Bein bewegte (danke für den Auftritt mit deiner Band!!!). Danke an alle Freunde und Verwandte, die diesen Tag so wunderschön harmonisch gemacht haben. Und danke natürlich an Jesse, unseren tollen Zeremonienmeister!

Last but not least: Danke ans Universum. An was auch immer da draußen uns so viel Glück beschert hat. Wir konnten diesen Tag gemeinsam mit all unseren Lieben in guter Gesundheit feiern – das war das größte Geschenk. Denn Bräute lasst es euch sagen: Egal, welche Deko, Blumen, Schnick und Schnack und Pinterest-Zeugs euch auf Trab halten, am Ende ist all das nicht wichtig. Dass man zusammen aufs gemeinsame Wohl anstoßen kann, das stellt alles andere einfach in den Schatten.

Die Blogger Sonia und David Lensing mit dem Schauspieler Jesse Albert.

David: Mir war wichtig, dass wir eine freie Trauung feiern – und Sonias Traum war’s, draußen zu heiraten. Drum haben wir unsere Wünsche zusammengelegt und unsere Hochzeit als freie Trauung unter freiem Himmel gefeiert. Dass uns bei diesem Fest ein Trauredner begleitet hat, der uns auch noch persönlich kennt, dass war für mich die Kirsche auf der Sahnetorte. Sagt man das so? Na, Jesse Albert jedenfalls, mein Lieblingsschauspieler und zauberhafter Drehpausenclown, war eben diese Kirsche. Ich selbst kenne Jesse seit Frohzusein (2012), einem Kurzfilm übers Fremdgehen. Sonia hat ihn dann bei Wo wir weinen (2013) kennengelernt, einem Kurzfilm über Kriegstraumata. Fünf Jahre später haben wir uns nun endlich mal zu einem fröhlicheren Anlass zusammengefunden.

Jenes Höhere Wesen

Auch wenn ich im Gegensatz zu Sonia immer eher denke: letztendlich sind wir dem Universum doch egal… – dieses eine Mal muss ich meiner lieben Schicksalsschwärmerin doch beipflichten. Dass dieser Tag so hell und leicht und schön werden würde, dass hat zwischendurch nicht immer so ausgehen. In diesem Sinne ein dickes Danke an Jenes Höhere Wesen!

PS: Danke auch an alle Leser*innen, die unseren Blog vom Bleiben verfolgen! Wir wissen noch nicht genau, wohin diese Reise wohl geht, aber wir freuen uns sooo sehr, dass ihr sie begleitet 🙂

Euer schreiblustiges Paar,
Frau & Herr vom Bleiben


Zuletzt ein paar romantische Filmtipps:

Der Beitrag Wie ein Staffelfinale, nur echter | Gedanken zur Hochzeit erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/wie-ein-staffelfinale-gedanken-zur-hochzeit/feed/ 0 4246
AM STRAND über Sex in den Sixties | Buch 2007, Film 2018 | Kritik, Vergleich http://www.blogvombleiben.de/buch-film-am-strand-vergleich/ http://www.blogvombleiben.de/buch-film-am-strand-vergleich/#respond Fri, 06 Jul 2018 06:00:34 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4153 Vor über 10 Jahren erschien die Novelle Am Strand. Im Juni 2018 nun lief der gleichnamige Film…

Der Beitrag AM STRAND über Sex in den Sixties | Buch 2007, Film 2018 | Kritik, Vergleich erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Vor über 10 Jahren erschien die Novelle Am Strand. Im Juni 2018 nun lief der gleichnamige Film in den deutschen Kinos an, mit Saoirse Ronan (Abbitte, Lady Bird) und Billy Howle (Dunkirk) in den Hauptrollen. Bei dem Kinoerlebnis handelt es sich, wohlgemerkt, nicht um eine Verfilmung der Novelle – sondern der Drehbuch-Adaption davon. Das Umschreiben vom einen ins andere Format nahm der Schriftsteller Ian McEwan höchstpersönlich vor, denn: »Ich wollte nicht, dass irgendwer anders es vergeigt.« Klare Ansage. Hat’s geholfen?

Rammbock vor den Stadtmauern

Die Novelle lebt von prägnanten Sprachbildern und dem gelungenen Wahrnehmungswechsel, dem Sprung von seiner in ihre Gedankenwelt und zurück. Ein Großteil der Handlung dreht sich um eine bestimmte Szene, in der weniger gehandelt als gegrübelt und gezweifelt und gefürchtet wird. Wie setzt man so etwas als Film um? »Ich habe keine Problem damit, Änderungen einzubauen, die cineastisch interessant sind«, sagt Ian McEwan im Interview mit Andrew Collins (RadioTimes). Doch bevor wir einen Blick auf die Änderungen werfen, worum geht’s überhaupt?

Inhalt: Florence und Edward haben geheiratet. Alles lief gut soweit. Erst als die frisch Vermählten im Hotel am Chesil Beach ihre Hochzeitssuite betreten, schnürt sich ihnen je die Kehle zu… der erste Satz der Novelle beschreibt es so: Sie waren jung, gebildet und in ihrer Hochzeitsnacht beide noch unerfahren, auch lebten sie in einer Zeit, in der Gespräch über sexuelle Probleme unmöglich waren. Am Strand spielt in Südengland, 1962.

Hinweis: Liebe Leser*innen, im folgenden Text werden einige Szenen aus Buch und Film besprochen, ohne jedoch wichtige Wendungen und etwaige Geheimnisse der Figuren preiszugeben. Allein der Absatz »Gedanken zum Ende« enthält, na ja, Gedanken zum Ende, inklusive Spoiler.

Billy Howle überreicht Saoirse Ronan eine Blume, Standbild aus dem Film Am Strand

Totale: Am Strand im Zusammenhang

Historischer Kontext

Am 1. Januar 1900 trat der sogenannte Kranzgeld-Paragraph in Kraft. Er besagte, dass eine »unbescholtene Verlobte« (eine Jungfrau), wenn sie aufgrund eines Eheversprechens »die Beiwohnung gestattet« (erstmals Sex hat) im Nachhinein eine finanzielle Entschädigung für den ideellen Schaden an ihrer Person verlangen konnte, sollte der Mann das Verlöbnis nach dem Sex noch lösen. Denn mit der ersten Liebesnacht hatte die Frau als Braut an Wert verloren, für zukünftige Anwärter.

Anfang der 60er Jahre wurde »vorehelicher Sex« schon lockerer gesehen. Man hatte bereits Kondome im Gepäck und von sowas wie der »Pille« gab es selbst in der Provinz schon Gerüchte. Dass Geschlechtsverkehr kein Hexenwerk ist, vor der Ehe, das weiß auch Florence, die weibliche Hauptfigur des 1962 in England spielenden Am Strand (im Buch »kräftig gebaut«, im Film Saoirse Ronan). Doch die junge Frau will den Moment der Beiwohnung so lange wie möglich hinauszögern. Sie sitzt schon auf der Bettkante, da verrät der Roman:

Einige ihrer Freundinnen […] wären schon seit Stunden nackt im Bett und hätten die Ehe lang vor der Hochzeit lautstark und mit Freuden vollzogen. Wohlmeinend und großzügig, wie sie waren, glaubten sie, Florence habe genau dies ebenfalls längst getan. | Ian McEwan, Am Strand, S. 103 (hier geht’s zur Leseprobe)

Edward mit den Würgehängen

Doch die 22-jährige Florence ist nicht nur unerfahren. Ihre Not mit dem Sex ist anderer Natur. Im Buch wird diese Not schon früh beim Namen genannt und ausführlich beschrieben. Im Film gibt Florences Verhalten den Zuschauer*innen Rätsel auf. Edward indes mag wenig Erfahrung mit Mädchen haben. Der körperliche Akt, so an sich, seinerseits, der ist ihm wohlvertraut.

Wie die meisten jungen Männer seiner Zeit – aber auch aller anderen Zeiten, denen es an Toleranz oder sexueller Freizügigkeit mangelte – gab er sich immer wieder dem hin, was von fortschrittlicher Seite als »Selbstverwöhnung« bezeichnet worden war. Edward hatte sich gefreut, als er auf diesen Ausdruck stieß. | S. 28

Ich hab mal kurz ein Online-Wörterbuch für Jugendsprache konsultiert. Inzwischen sagt man »pellewemsen«, »nudelwürgen«, oder ganz fesch: »fappieren« (das hätte sogar der Engländer verstanden). Im Film indes erfahren wir nichts über die Masturbationsgewohnheiten unserer Hauptfiguren. Was okay ist.

Persönlicher Kontext

Wie das Leben so spielt: Sonia und ich gingen am Sonntag ins Apollo Kino in Aachen, mit einer Freundin. Letztere suchte den Film aus, Am Strand. Ich wusste nichts darüber, sah mir keinen Trailer an. Überrascht wurde ich dann von einem faszinierenden Filmpaar in einem Szenen-Arrangement, das aus jedem Winkel: Literaturverfilmuuung! schrie. Montag saß ich am Laptop und dachte: Puuuh, wie willste darüber schreiben? War tatsächlich ne Literaturverfilmung, basierend auf einer dünnen Novelle. Also klick, Novelle bestellt. Kam Dienstag an. Hab sie Mittwoch und Donnerstag gelesen. Jetzt sitze ich hier, am Freitagmorgen, und schreibe endlich über dieses Werk, das von einer völlig verkorksten Hochzeitsnacht handelt. Und morgen, am Samstag, da heiraten Sonia und ich. Die schönen kleinen Truman-Show-Momente des Lebens.

Close-up: Buch und Film im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Werks

Während das Buch damit beginnt, dass das Paar bereits am Tisch Platz nimmt und zu Abend isst, entführt uns der Film in seinen ersten Einstellungen an den Strand. Das fiktive Hotel aus dem Buch liegt direkt am Chesil Beach in Südengland, On Chesil Beach lautet der Originaltitel des literarischen und cineastischen Werks. Obwohl der Schriftsteller Ian McEwan gerade am Beginn und Ende seiner Geschichte signifikante Änderungen vorgenommen hat, bleibt er der gekonnt heraufbeschworenen Atmosphäre treu. Denn die ist ziemlich angepasst, zuweilen unangenehm. In die Stille hinein dringen die leisesten Geräusche wie Baustellenkrach.

[…] Edward und Florence waren Gefangene ihrer Zeit. Selbst unter vier Augen galten tausend unausgesprochene Regeln. Und gerade weil sie nun erwachsen waren, taten sie nichts so Kindischen wie von einem Mahl aufzustehen, das man mit viel Mühe eigens für sie angerichtet hatte. Schließlich war Abendessenszeit. | S. 26

Schon im Filmauftakt im Kino nahm ich das markante Sounddesign wahr, angefangen mit den Kieseln am Strand. Im Hotel knarzen die Dielen, klappert das Besteck… und siehe da: Schon in der literarischen Vorlage drängen sich immer wieder Geräusche in die Zeilen. Von Eichendielen, die »komisch knarrten« ist da die Rede, und Löffel, die »über Platten schaben«. Manche Details hat der Autor sorgfältig bewahrt und ins neue Format übertragen. Doch ausgerechnet die besten Bilder sind es, die sich nicht übertragen lassen. Bilder, die sich ins Hirn brennen. Bilder, in denen Bedeutungen mitschwingen, die sich später erst entschlüsseln. Florence Furcht etwa, ein »hilfloser Widerwille so heftig wie die Seekrankheit.«

Bleibender Eindruck | zur Wirkung von Buch und Film

Ein Danny Boyle (127 Hours) oder Jaco van Dormael (Mr. Nobody) hätte sich vielleicht um visuelle Entsprechungen für die Sprachbilder bemüht. Vielleicht auch (wobei es schon weniger seinem Stil entspräche) Sam Mendes, der zunächst als Regisseur im Gespräch war. Nicht jedoch der Debütant Dominic Cooke, der mit Am Strand seinen ersten Spielfilm inszeniert hat. Seine langjährige Erfahrung im Erzählen von Geschichten bezieht sich auf das Theater. Und so ist auch sein first feature film in Sachen Kamera und Schnitt, beides sehr konventionell, beinahe ein Bühnenstück. Das ist in Ordnung, etwas Eigenes, etwas Anderes. Es lohnt sich, zunächst den Film zu sehen und dann das Buch zu lesen, um diese Hochzeitsnacht noch einmal mit der Gedankenebene zu durchleben. Sie gibt den Figuren (trotz der hervorragenden Schauspieler) einen Mehrwert.

Florence spürte seine Berührung so deutlich, wie Wärme und den Druck seiner verschwitzten Hand auf ihrer Haut, daß sie sich den langen, gekrümmten Daumen im bläulichen Dämmer unter ihrem Kleid vorstellen, daß sie ihn sehen konnte, wie er da lag, geduldig wie ein Rammbock vor den Stadtmauern […]

Das Buch ist, im Übrigen, stellenweise so explizit bezüglich des Sexuellen, dass Ian McEwan Sorge, eine Verfilmung könne quasi-pornografisch geraten, nicht aus der Luft gegriffen ist. Überhaupt besteht die größte Kunst des Films Am Strand darin, dass die filmische Umsetzung der intimsten Szenen zwischen den beiden Verliebten nicht unfreiwillig komisch geraten sind.

Gedanken zum Ende

Mich persönlich hat tatsächlich die letzte Einstellung sehr gestört: Edward steht am Strand, abgewendet, Florence geht fort. Die Kamera fährt dabei den Hang hinab, immer auf die beiden Schauspieler gerichtet, zwischen denen die Distanz größer wird. Bis sie aus dem Bild ist und er allein am Strand steht. Die Kamera nun von so tief unterhalb des kiesigen Hangs zu ihm hinaufschauend, das wir vom Hintergrund nichts mehr sehen. Nur noch Himmel, Strand und der junge Mann am rechten Bildrand. Ein schönes Bild, eigentlich.

Doch auf dem Weg dorthin, auf der sanften Kamerafahrt während der bedeutsamen Trennung der beiden Protagonisten, schneidet die Kadrage, der Bildausschnitt den Schauspieler Billy Howle immer wieder am rechten Bildrand an. Vielleicht war es der Projektion im Kino geschuldet, dass das Bild dort unschön abgeschnitten schien. In einer letzten Einstellung ist so ein Detail, wem es ins Auge sticht, ein ziemlicher Abtörner. Zieht just dann raus aus der Handlung, wenn man am tiefsten drinstecken sollte.

Die Gewichtung von Szenen

Hinzu kommen die letzten Szenen des Films, der gen Ende von 1962 ins Jahr 1975 und dann ins Jahr 2007 springt. Im Gegensatz zu allen Rückblenden sind diese »Zukunftsblenden« mit Jahreszahlen versehen. Für mich, der ich nichts über Buch und Film wusste und ohne Zeitgefühl im Kino saß, ergab sich der Eindruck, jetzt folge der dritte Akt. Das konkrete Datieren der Szenen verleiht ihnen ein Gewicht, das sie schließlich nicht auf die Waage bringen. Zu kurz, zu ausschnitthaft bleiben sie. Angesichts des liebevoll gestalteten Drumherums – Make-up, Mode, Kulisse – hätte man getrost auf die Einblendung der Jahreszahlen verzichten können. Ich denke, dass hätte die Schlussszenen angemessener ins Gesamtwerk eingefügt.

Was es auch nicht gebraucht hätte, meinethalben, war das tränenreich pathetische Filmfinale. Es ist völlig anders als im Buch und wohl das, was Ian McEwan offenbar »cineastisch interessant« findet. Im Buch hingegen bleibt der Epilog extrem schlicht und viel kühler. Cooler. Florence und Edward sehen sich nach der Trennung am Strand einfach nie wieder. Eiskalt.

Randnotiz: Ein paar Wochen nach unserem Kinobesuch – im Juli 2018 – sind wir übrigens am Chesil Beach gewesen. Sonia und ich haben auf unserer Hochzeitsreise nach Cornwall einen kleinen Zwischenstopp eingelegt, um die Sonne einmal an dieser schönen Kieselbank untergehen zu sehen.

Bloggerin Sonia Lensing am Chesil Beach.

Kieselsteine am Chesil Beach

Fazit zu Am Strand

Während der Abspann lief, im Kinosaal, da war ich enttäuscht. Zu abrupt und zugleich ausschweifend erschien mir das Ende, ganz komisch. Ich hätte es mir anders oder einfach nur weggewünscht. Doch lässt man den Film sacken, enthält er viele starke Szenen, die sich im Gedächtnis wieder an die Oberfläche spielen. Nachdem ich mich nun eine Woche lang intensiv mit dem Werk beschäftigt habe, muss ich sagen:

Am Strand gewährt einen seltenen und relevanten Einblick in die Lebenswelten zweier Kinder einer anderen Zeit, von deren Sorgen und Ängsten trotzdem noch vieles in Köpfen unserer Zeit verborgen liegen mag. Ein Film der dafür sensibilisiert, dass Sex nie nur im Kontext einer mehr oder weniger sexuell freizügigen Gesellschaft lebt. Am Ende kommt es immer auf ein paar einfache Individueen und ihre ganz persönlichen Erfahrungen an.


Weitere Filmkritiken:

Der Beitrag AM STRAND über Sex in den Sixties | Buch 2007, Film 2018 | Kritik, Vergleich erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/buch-film-am-strand-vergleich/feed/ 0 4153
31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/ http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/#comments Tue, 26 Jun 2018 07:27:46 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3974 Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die…

Der Beitrag 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Wenn sich Jesus und kranke Sadisten das Rampenlicht teilen, dann lohnt sich der Blick auf die Bühne. Und auf die Leinwand, natürlich, auf der sich Rapperinnen anranzen und kleine Möchtegern-Astronauten zum Mond schießen wollen. Bunt ging’s zu beim 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim. 38 Filme an einem Wochenende voller Eindrücke und Begegnungen – hier ein Rückblick zur Sause rund um den Thega Filmpalast.

Auftakt zum 31. Bundes.Festival.Film.

Der Veranstaltungsort hätte nicht besser gewählt sein können. Damit ist erstmal Hildesheim selbst gemeint. Die Gastgeberstadt des 31. Bundes.Festival.Film punktet zwar nicht mit einer 1A-Lage (aus Richtung Aachen von der A2 runter, darf man noch ne knappe Stunde durch die Pampa gurken, geil), aber ist man einmal da, ist alles nah. Der Thega Filmpalast als Hauptschauplatz des Festivals liegt in Sichtweite zu dem Hotel, das alle Filmemacher*innen beherbergte – und fußläufig zu den Locations, in denen sich eine spannende Panel-Diskussion und eine gebührende Aftershow-Party abspielten, nach der Preisverleihung am Samstagabend. Doch der Reihe nach.

Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem lange nachwirkenden Kurzfilm Liebesstreifen, gezeigt auf dem Bundes.Festival.Film. | Bild: Liebesstreifen/Wendefilmkollektiv
Die Schauspieler Langston Uibel und Maja-Celiné Probst in dem Kurzfilm Liebesstreifen. | Bild: Wendefilmkollektiv

Hier geht’s zur Geschichte des Deutschen Jugendfilmpreises, der seit 1988 (unter wechselndem Namen) alljährlich auf dem Bundes.Festival.Film verliehen wird.

Hier geht’s zu einem Beitrag über die Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis und über die Gastgeberstadt.

Los ging’s am Freitagnachmittag mit einem ersten Filmblock, der inhaltlich schon bestens auf die Bandbreite des Bundes.Festival.Film einstimmte. In anderthalb Stunden gab es fünf kurze Filme zu sehen, je gefolgt von Gesprächen mit den kreativen Köpfen hinter den Projekten. Mit dabei: jung und alt, Jungen, Mädchen, Laien und Semi-Profis, Freunde, Familien und Filmnerds natürlich. Nach der Jurysitzung im März, bei der wir fünf Juror*innen noch ob mancher Hintergrund-Geschichten zu den eingereichten Filmen rätselten, war es großartig, die Gesichter zu gesichteten Werken kennenzulernen.

Filmblock 1: Unsichtbare Schüler und große Kunst

Ein Streich mit Folgen | Wenn Schüler*innen Unfug machen, kann das Ärger geben. Oder es kommt ein richtig cooler Film dabei rum. Highlight dieses heiteren Streifens ist der Auftritt eines verschollenen Schülers, der einst mit Chemikalien einen Streichen spielen wollte… | 8.47 Minuten, von Schüler*innen (14-15 Jahre) der Albert-Schweitzer-Schule in Denkendorf, Baden-Württemberg.

Vielleicht | Ein Videoslam aus der Generation Y, die für ihr Faible fürs »maybe« bekannt ist. Aber macht der Hang, die Entscheidung vor sich her zu schieben, das Leben wirklich leichter? | 2.49 Minuten, von Designerin und »GIF-Girl« Hanna Viellehner (hier ihr Online-Portfolio), zusammen mit Sophia Stöhr und Lena Schell (20-24 Jahre) aus Oberbergkirchen, Bayern.

Ricardo Porro – Der Salto Mortale | Das Porträt eines Mannes namens Ricardo Porro, der als junger Architekt in Kuba erst ein, zwei, drei Häuser entworfen hat. Dann gab Fidel Castro ihm den Auftrag, Kunstschulen für Havanna zu entwerfen. Das Mammutprojekt, das Porro als seinen »Salto Mortale« bezeichnet, schildert dieser Dokumentarfilm. | 19.38 Minuten, von Roberto Santana (61) aus Erfurt, Thüringen. Hier gibt’s weitere Infos + einen Filmausschnitt.

Dieter Rupp als melancholischer Träumer

Ein Mann, der vom Fliegen träumt | In Bildern, die an Federico Fellinis traumwandlerischen Szenen aus Achteinhalb (1963) erinnern, erzählt dieser wortkarge Kurzfilm von einem Mann, der einen Traum verfolgt. In der Hauptrolle: der Schauspieler Dieter Rupp (Frohzusein, Jenes innere Wesen). | 11.48 Minuten, von Pascal Rosengardt (19) aus Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Angst vor | Bei einem Spaziergang bleibt der Hund plötzlich stehen – oder sitzen, vielmehr. Und er bewegt sich nicht mehr vom Fleck, obwohl es um ihn und sein ratloses Herrchen herum langsam Nacht wird. | 4.13 Minuten, von Welf Reinhart (22) aus Kassel, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Mit seinen 61 Jahren war der Filmemacher Roberto Santana nicht für den Deutschen Jugendfilmpreis nominiert, sondern den Deutschen Generationenfilmpreis. Dieser wurde 1998 gegründet und richtet sich an Filmemacher*innen bis 25 Jahre, die sich inhaltlich mit dem Thema Alter(n) auseinandersetzen – sowie an Filmemacher*innen über 50 Jahre. Auch gemeinsame Projekte beider Altersklassen sind zugelassen und werden in der Preiskategorie »Generationenübergreifend« gewürdigt. Dazu gehörte etwa Angst vor des 22-jährigen Welf Reinhart.

Der Deutsche Generationenfilmpreis

Die Jury für den Deutschen Generationenfilmpreis setzte sich in diesem Jahr zusammen aus: Sarah Kuschel (Kulturwissenschaftlerin an der Uni Hildesheim), Phan Thieu Hoa Nguyen (Studentin der Kulturwissenschaft und ästhetischen Praxis, ebenfalls in Hildesheim), Ben Scharf (Drehbuchautor aus Berlin), Paul Scholten (ehemaliger Wettbewerbsteilnehmer aus Pforzheim) und Claudia Telschow (Bund Deutscher Film-Autoren, Filmfestival FILMthuer, aus Jena). Dieser Jury wohnte ich nicht bei, womit ich im Rahmen des diesjährigen Programms des Bundes.Festival.Film. einige starke Filme selbst erstmals zu sehen bekam.

Filmblock 2: Dem Vater so nah, der Heimat so fern

Hypothetic Crimestory | Im Look & Feel der BBC-Serie Sherlock Holmes wickelt dieser Kurzfilm ein Verbrechen von hinten auf. Dabei spielt er gekonnt mit Zeit- und Erzählebenen, so dass am Ende die Frage offen bleibt: Wessen Geschichte wurde hier eigentlich erzählt? | 5.40 Minuten, von Rasmus Dankert (15) aus Rheinbach, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Meerjungfrau frisch vom Baum | In farbenfrohen Scherenschnitt-Bildern geht es in diesem Märchen um das Schicksal einer Meerjungfrau, die von zwielichtigen Forschern entführt wird. Dabei werden alle menschlichen, tierischen und fantastischen Rollen von den Kindern (8-13 Jahre) gesprochen, die dieses Projekt umgesetzt haben | 5.24 Minuten, von der Feriengruppe Kind & Werk e.V. / angeleitet durch Sonja Wessel aus Weilheim, Bayern. Hier geht’s zur Website der Medienwirkstatt von Sonja Wessel.

Babam | Ein Filmemacher-Sohn porträtiert seinen Fischhändler-Vater und geht dabei so nah ran, wie möglich. Dieser bemerkenswert persönliche Dokumentarfilm hat es auch ins Programm 2018 der Werkstatt der Jungen Filmszene in Wiesbaden geschafft. | 29.31 Minuten, von Cemil Sorgun (25) aus Berlin. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Schönheit und Schrecken auf dem Bundes.Festival.Film.

Wie die Weltrettung zur Welt kam | In verrückten Episoden, die sich Culture Clash und damit einhergehende Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit zum Thema machen, lässt dieser Film eine albanisch-arabische Hochzeit entgleisen – und findet doch zu einem schönen Ende. | 15 Minuten, von dieWeltrettung.org (19-25 Jahre) aus Drochtersen-Hüll, Niedersachsen.

Detailverliebt | Ein Film in Blau und Gelb und voller schöner Einfälle. Es geht um zwei junge Menschen der digital-vernetzten Gegenwart, die sich im Real Life begegnen – mit amüsanten Folgen. | 12.50 Minuten, von Joschua Keßler (22) aus Darmstadt, Hessen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Zwischen den Fronten | Wie die Flucht aus Syrien vor die Küste Lybiens führt. Erzählt in beeindruckend durchdachten und animierten Bildern, die trotz ihrer Schönheit den Schrecken vermitteln. | 7.33 Minuten, von Nora Johanna Brockamp (22) aus Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Dieser Film ist bei Amazon verfügbar.

Moderiert wurde das Bundes.Festival.Film. übrigens, wie schon im vergangenen Jahr, von Filmemacherin Lena Liberta. Selbst gelernte Regisseurin, konnte sie den Filmemacher*innen auf der Bühne auf Augenhöhe begegnen und hat immer wieder ihren Blick für Details der Kameraarbeit oder Erzählweise miteinfließen lassen – ein echter Mehrwert für die Gespräche zwischen den Filmbeiträgen beim Bundes.Festival.Film.

Filmblock 3: Aufs Maul

Blaue Flecken | Hamburg in Schwarzweiß, zwei Rapperinnen unterwegs. Wir folgen Ella und Dahlia durch einen Tag mit Höhen und Tiefen, eingerahmt von den intimen Momenten der Ideenfindung. Ella ist es, die sich am blanken Blatt Papier abarbeitet und versucht, Zeilen von Bedeutung niederzuschreiben. Dahlia hingegen denkt eher ans Feiern – das kann auf Dauer nicht gut gehen, zwischen den beiden. | 16.38 Minuten, von Martin-Oliver Czaja (24) aus Bremen, aktiv auf Facebook und Vimeo | Hier gibt’s weitere Infos zum Film, sowie einen Teaser zu Blaue Flecken

Fair teilen. Fair kochen. Lokale Rebellen gegen Lebensmittelverschwendung | Ein liebevoll gemachtes Porträt der »Offenbacher Küche«. Dieses Projekt setzt sich für Alternativen gegen das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln ein. | 9.20 Minuten, von der Video-Gruppe 55+ im Mehrgenerationenhaus des KJK Sandgasse, Offenbach am Main. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Ein Thema, viele Herangehensweisen

Borderline | Eine technisch gesehen beeindruckende Plansequenz. Über 6 Minuten lang folgt die Kamera dem scheinbaren Waldspaziergang von ein paar Deutschen. Bloß, dass es kein Spaziergang ist… ein weiterer, anderer, streitbarer Film über Flüchtlinge in Europa. | 6.09 Minuten, von Pascal Fenkart (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier ein Filmauschnitt inklusive dem kontroversen Ende.

Tage des Meeres | Und wieder ein politischer Film zum Thema Flüchtling, und wieder ganz anders. Eine Collage aus kunstvoll arrangierten Bildern, Home-Video-Aufnahmen aus der Nachbarschaften und realen Mitschnitten aus Nachrichten, alles in grober Auflösung gehalten. Unscharf, so wie die Situation eben ist, bleibt dieser Experimentalfilm. Am Ende baden wir in demselben Wasser, in dem unsere Mitmenschen ertrinken. | 4.44 Minuten, von Jan & Eva Walentek (72, 69) aus Winnenden, Baden-Württemberg. Hier geht’s zu einem Interview mit Jan Walentek, der beim Bundes.Festival.Film. mit seinen Beiträgen ein Stammgast ist.

Liebesstreifen | Die einfühlsame Geschichte zweier Liebender, die sich nicht lieben können. Sie versuchen es, an einem idyllischen Sommertag im Grünen – doch irgendetwas Unaussprechliches steht zwischen ihnen. Für mich eines der Highlights des Bundes.Festival.Film., dieser so leise, so intime, so wunderschöne Film. | 12.31 Minuten, von Adrian Schwartz (23) aus Offenburg, Baden-Württemberg. Hier geht’s zur Facebook-Seite des Wendefilmkollektivs, dem Adrian Schwartz angehört.

Der Messias und die Motorrad-Gang

Das Abendmahl | Jesus als Anführer einer Motorrad-Gang mit einem Rudel wirklich eindrucksvoller Aposteln. Diese Neuverfilmung des Neuen Testaments hätt‘ ich mir auch drei Stunden lang angesehen. Grandios in Szene gesetzt, diese krassen Charaktertypen vor der Kamera! | 13.41 Minuten, von Harald & Steven Takke (22) aus Frankfurt am Main, Hessen. Hier geht’s zum YouTube-Kanal der TAKKE TWINS, zwei Typen, die man sich merken kann.

Sommerhaus | Zu guter Letzt noch ’n bissel Kunstblut und Sadismus. Schön als Abschluss des ersten Tages vom Bundes.Festival.Film., wenn alle Kiddis schon zurück im Hotel sind: Ein junger Mann im abgelegenen Sommerhaus, allein, bis ein Zweiter angekrochen kommt. Wortwörtlich. Der eine Mann gibt dem Ankömmling etwas zu trinken und einen Schlafplatz. Der andere Mann übernimmt als Gegenleistung ein paar Aufgaben rund ums Haus – ein Hin und Her, das ruckzuck ausartet. | 10.52 Minuten, von Niklas Kielmann (18) aus Kiel, Schleswig Holstein. Hier ist das Ding:

Zum zweiten Tag und der Preisverleihung des Bundes.Festival.Film. gibt es in Kürze mehr.

Der Beitrag 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 1 erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-1/feed/ 2 3974
THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/ http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/#respond Thu, 21 Jun 2018 06:00:10 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3900 Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf…

Der Beitrag THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf Partnerschaften übertragen: Singles wollen Bindung, Gebundene ihre Freiheit zurück, Befreite wieder Bindung und so weiter, Tinder-Trennungs-Mania. Aber worin liegt nun die wahre Erfüllung – in der Freiheit der Einzelgänger*innen oder der Geborgenheit einer Partnerschaft? Anderes Thema: Welches Tier wärst du gern? Lauter existenzielle Fragen sind das, um die sich der Film The Lobster (zu Deutsch: der Hummer) dreht.

Zusammen ist man weniger ein Schwein

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler hinsichtlich der Besprechung einzelner Szenen. Obwohl weder Ende noch wichtige Wendungen verraten werden: Es lohnt sich, diesen Film mit möglichst wenig Vorwissen zu sehen! Aktuelle legale Streamingangebote von The Lobster gibt’s bei JustWatch.

Hummer sind bemerkenswerte Wesen. Sie werden über 100 Jahre alt (wenn wir sie nicht bei lebendigem Leibe im Kochtopf zerbrühen) und sie haben blaues Blut (und zwar wirklich, nicht nur so dahergesagt, wie unsere ach so adligen Aristokraten). Außerdem sind Hummer ein Leben lang fruchtbar. Diese 3 Eigenschaften fallen dem Protagonisten David (gespielt von Colin Farrell) ein, als er im Hotel gefragt wird, in welches Tier er sich verwandeln lassen wolle. Denn das ist die Prämisse zu The Lobster: Singles werden in ein Hotel eingewiesen, in dem sie eine bestimmte Zahl an Tagen Zeit haben, eine*n Partner*in zu finden. Wenn dies nicht gelingt, werden die einsamen Seelen in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Was auch sonst?

Die Reaktion der Hotelmanagerin auf Davids Antwort lautet: Der Hummer sei eine exzellente Wahl! Ja, und The Lobster ist eine exzellente Wahl für einen ausgefallenen Liebesfilm mit Colin Farrell und Rachel Weisz als Paar, das sich nicht haben darf.

Schauspielerin Rachel Weisz im Film The Lobster

Totale: The Lobster im Zusammenhang

Thematischer Kontext

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson hat im Januar ein Selbsthilfe-Buch veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erscheint im Oktober unter dem Titel: 12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Im ersten Kapitel davon zieht Jordan Peterson ausgerechnet den Hummer heran, um zu demonstrieren, wie wir die fundamentalen Prinzipien der Natur ausnutzen können, um im Leben erfolgreich zu sein.

Lass dich vom siegreichen Hummer inspirieren, mit seinen 350 Millionen Jahren von angewandter Weisheit. Stehe aufrecht, nimm die Schulter zurück. | Jordan Peterson

Die Dominanz des Hummers

Das ist der Hummer in Angriffshaltung: Bei Kämpfen plustert er sich auf, um seine Gegner zu beeindrucken. Peterson zielt auf den Dominanz-Trieb von Hummern ab, von dem sich Menschen etwas abschauen sollten, um im Leben zu bestehen. Das kann man auch jetzt schon in einem deutschsprachigen Blogartikel über Petersons berüchtigstes Hummer-Faible nachlesen (siehe: 112-Peterson: Der Hummer in dir).

Es scheint, dass seine Diskussion von Hummern mehr über seine eigene Weltsicht aussagt, als über menschliches Verhalten. Aber er ist der Psychologe, nicht ich.

Die bizarre Vielfalt des Lebens

Das schrieb Anfang dieses Monats, am 4. Juni 2018, die Marine-Forscherin Bailey Steinworth in der Washington Post. Peterson erzähle seinen Leser*innen, sie sollten sich von einem Tier inspirieren lassen, das nicht fähig ist, mit seinen eigenen Artgenoss*innen zu interagieren – außer beim Sex.

Ich sage, das Leben ist so bizarr und wundervoll, dass man Inspiration überall finden kann.

Tatsächlich geht Steinworth dann auch auf eine Reihe von Meeresbewohner*innen ein, die gleichermaßen als Vorbild für uns Menschen dienen können. Wer weiß, wenn der fiktive David diesen Artikel gelesen hätte, vielleicht hätte er sich nicht mehr in einen Hummer verwandeln lassen wollen, sondern eine Seeschnecke oder Seegurke oder Qualle? Hätte der Film The Lobster dann The Jellyfish geheißen?

Warum der Hummer?

Wohl kaum. Denn bei all den tiefenpsychologischen Mutmaßungen, die man über den Protagonisten David und seine Wahl für den Hummer anstellen mag, ist die Erklärung – warum ausgerechnet ein Hummer!? – sehr einfach:

Es begann mit einer Story, die wir als ursprüngliches Treatment geschrieben hatten. Darin wird der Hauptcharakter in einen Hummer verwandelt und dann sieht man seine Ex-Frau mit ihrem neuen Lover eben einen Hummer essen. Also, darin liegt die eigentliche Bedeutung des Hummers, noch bevor wir das richtige Drehbuch schrieben. | Regisseur Yorgos Lanthimos im Gespräch mit Emma Myers (Brooklyn)

Kurzum: The Lobster heißt The Lobster, weil Hummer lecker sind. Und das, obwohl diese Wendung letztlich gar nicht mehr Teil des fertigen Films ist. Der Titel ist ein Relikt des kreativen Schaffensprozesses, so einfach. Da geht es nicht doppelbödig über Dominanz-Trieb und soziale Hierarchie. Die Dinge sind manchmal, wie sie sind, aus den dämlichsten Gründen. Das lohnt sich, bei dem Film The Lobster im Hinterkopf zu behalten, bevor man jede Geste und Regung, jeden Schnitt und Schabernack in dieser kunstvoll erzählten Geschichte mit Bedeutung aufladen möchte.

Persönlicher Kontext

Schon 2015 hat mir ein Kumpel den Film The Lobster ans Herz gelegt. Nun hat ein anderer Kumpel die DVD bei einem Filmabend aus dem Hut gezaubert. Beide kannten wir weder den Film noch den Regisseur, hatten nichts über The Lobster je gehört, außer eben, dass er »ziemlich außergewöhnlich sei«. Na denn, nichts wie rein mit der Scheibe!

Close-up: The Lobster im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Zu Beginn sehen wir eine Frau mit ihrem Auto durch den Regen fahren, auf einer Landstraße. Der Prolog zu The Lobster – vor dem eigentlichen Titel – ist ein One-Take, ein etwa 80-sekündige Szene ohne Schnitt, ohne Musik, ohne Worte. Was darin passiert und wie es zu deuten ist, das wird im Internet fröhlich diskutiert. Manche sehen in dem rätselhaften Prolog »the whole movie in a nutshell«. Yorgos Lanthimos selbst sagt, er mag es, einen Film so zu starten:

Du gibst den Ton an, ohne eine Erklärung zu liefern oder den Einstieg noch einmal aufzugreifen. Wenn der Film zu Ende ist, können die Zuschauer*innen selbst zum Anfang zurückkehren und ihn auf ihre Weise interpretieren.

Nach Einblendung des Titels folgt eine Over-Shoulder-Einstellung eines Mannes (Colin Farrell), auf der Couch sitzend. Zu seinen Füßen ein Hund. Der Mann spricht mit seiner Frau, die wir nicht zu sehen bekommen. Offenbar geht es um einen Anderen, den die Frau kennengelernt hat. Deshalb muss der Mann gehen. Er wird eskortiert, zu einem Wagen, dann deportiert, zu dem Hotel.

Homo oder hetero?

An der Rezeption wird der Mann gefragt, ob er homo- oder heterosexuell sei. Bisexualität gibt es in dieser Zukunftsvision ebenso wenig, wie halbe Schuhgrößen. Der Mann überlegt ein wenig hin und her, sein Blick schweift zur Seite, wir sehen nicht, wohin, hören von dort her nur Absatzschuhe über einen harten Boden stöckeln. Er müsse wohl »hetero« angeben, sagt der Mann, dessen letzter Blick laut Audiospur einer Frau galt. Dieses subtile, inszenatorische Detail ist besagtem Kumpel aufgefallen, mit dem ich den Film sah. An mir allein wäre es, fürchte ich, unbemerkt vorbeigegangen.

Schon ab der ersten Szene kommentiert eine Erzählerin aus dem Off gelegentlich das Geschehen. Ihre Stimme soll später ein Gesicht bekommen: das von Schauspielerin Rachel Weisz. Die Erzählerin, die zu handlungstreibenden Figur wird – dieser Kniff kam uns beim Filmabend so ungewöhnlich vor, dass wir eine Literaturverfilmung vermuteten. Es gibt ja Romanvorlagen, deren Umsetzung ein paar besondere Kniffe abverlangt. Doch so sehr sich The Lobster zuweilen so anfühlt – der Film ist keine Literaturverfilmung, sondern basiert auf einem Original-Drehbuch.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Neben Rachel Weisz enthält der Film zahlreiche weitere bemerkenswerte Frauenrollen. Allen voran Léa Seydoux als Anführerin der Einzelgänger*innen in den Wäldern. Sie hält sich einen »Partner« bloß zur Tarnung in der Stadt, in der Menschen nur als Paare auftreten dürfen. Das führt dazu, dass selbst die herzlosesten Zeitgenoss*innen sich verkuppeln lassen, etwa Angeliki Papoulia als (wir lernen sie tatsächlich nur unter diesem Namen kennen) »herzlose Frau«.

Was The Lobster im Vergleich zu anderen, von Männern angetriebenen Film gelingt, ist die Kreation eines Raumes für Frauen. Im Verlauf dieses Films gibt es etliche Szenen, Momente und Konversationen, die weibliche Stärke, Stabilität und Logik unterstreichen. […] In anderen Filmen nehmen Männer diesen Raum mit ihren eifrigen, enthusiastischen und sexuell aufgeladenen Persönlichkeiten ein. Doch The Lobster beschränkt die Männlichkeit und erlaubt Frauen, wütend, traurig, aggressiv, laut, forsch, sexuell, wild und generell »unfeminin« zu sein. | Samantha Ladwig (BUST) über den Film The Lobster (übersetzt aus dem Englischen)

Fun Fact zum Abschluss: Die französische Schauspielerin Ariane Labed, die als »Zimmermädchen« in einer ganzen Reihe starker Szenen von The Lobster auftritt, ist mit dem Regisseur des Films, Yorgos Lanthimos, verheiratet.

Fazit zu The Lobster

Gespickt mit absurd-komischen, tragischen und schockierenden Ideen und Szenen, weiß The Lobster über seine rund 2 Stunden Laufzeit sehr gut zu unterhalten, wenn man bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Welt einzulassen. Und egal ob Single oder in Partnerschaft, dieser Film stimmt nachdenklich über die sozialen Gefüge, in die wir uns wer weiß wie freiwillig oder forciert so begeben. Sehenswert, erlebenswert!


Weitere Filmkritiken:

Der Beitrag THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/feed/ 0 3900
AUF WIEDERSEHEN, PAPA über Trennung | Kinderbuch 1995 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-auf-wiedersehen-papa-1995/ http://www.blogvombleiben.de/buch-auf-wiedersehen-papa-1995/#respond Sat, 16 Jun 2018 11:58:45 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3910 Kein Abschiedskuss für Papa. Denn Tom ist wütend und gekränkt. Schon wieder wird er von ihm…

Der Beitrag AUF WIEDERSEHEN, PAPA über Trennung | Kinderbuch 1995 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
Kein Abschiedskuss für Papa. Denn Tom ist wütend und gekränkt. Schon wieder wird er von ihm verlassen. Dabei hat er doch gar nichts getan. Teddy weiß, wie Tom sich fühlt und erzählt ihm eine Geschichte. Über das Kinderbuch Auf Wiedersehen, Papa von Brigitte Weninger und Christian Maucler.

Tom und Teddy verarbeiten die Trennung

Die Puppen fallen lassen, in den Flur laufen, dem Vater um den Hals fallen, festkrallen. Dinge, die für meine Schulfreundin zum Ritual wurden, während ich das Spektakel aus dem Türrahmen beobachtete. Und das ganze Trara mit meinen 6 Jahren nicht so ganz verstand. Mein Vater war auch toll, klar. Aber gleich so auszurasten? Dass die Gefühlswelt von Trennungskindern eine andere ist, erzählt Brigitte Weninger einfühlsam in ihrem Buch Auf Wiedersehen, Papa.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Auf Wiedersehen, Papa

Zum Inhalt: Sehnsuchtsvoll. Das ist mein erster Eindruck vom Bilderbuch Auf Wiedersehen, Papa mit Blick auf den Titel und das Cover im Hochformat. In einer einzigen Illustration mit reduzierten Elementen gelingt es Christian Maucler, den Kern der Geschichte aufzuzeigen: Ein Junge im Schlafanzug sitzt mit angewinkelten Knien auf dem Boden, hält seinen Teddybären fest und blickt in die Ferne, zum Schatten seines Vaters. Uns kehrt er dabei die Schulter zu. Hinter ihm – wie im Spiegelbild – sitzt ein kleiner Bär, der ebenfalls mit seinem Kuscheltier seinem Papabären hinterherschaut. Deutlicher könnte ein Titelbild kaum mitteilen, dass das Thema der Kindergeschichte »Abschiednehmen« ist und gleichzeitig auf die Emotionalität der Story einstimmen. Wer dieses Buch in die Hand nimmt, sieht: Das ist kein Friede-Freude-Eierkuchen-Buch. Hier geht es um ernste Kindergefühle.

Ich fühle was, was du auch fühlst

Emotionen, die zwischen fröhlich, traurig, wütend und verletzt hin und her pendeln. Tom reagiert wie ein Kind reagiert, wenn es zwischen den Eltern hin und her gereicht wird. So hält seine Begeisterung für den Vater gerade an, bis dieser ihn wieder verlässt. Beim Abschied weicht Tom aus und verwehrt ihm einen Abschiedskuss. Den Schmerz, den Tom nachfolgend verspürt, lässt er verbal an seiner Mutter aus: »Lass mich in Ruhe!«, und verkriecht sich in seinem Bett.

Doch Tom ist nicht allein mit seiner Wut und Traurigkeit. Sein Teddybär erzählt ihm eine Geschichte, die Toms Familienleben auf fantasievolle Weise spiegelt. Eine Geschichte in der Geschichte, ein Déjà-vu mit gleichen Rollen und neuen Figuren. Denn Teddy hadert ebenfalls mit der Trennungssituation und vermisst Papabär schrecklich. Dass er immer wieder aufs Neue von seinem Vater verlassen wird, versteht Teddy nicht: »Aber ICH hatte doch keinen Streit mit Papa!« Alles sehr verwirrend für Teddy und Tom. Doch Mamabär findet die richtigen Worte, damit Teddy und Tom inneren Frieden mit ihren Vätern schließen können und sich beim Abschied auf ein Wiedersehen freuen können.

Bleibender Eindruck / Zur Wirkung des Buches:

Mit der Trennungsproblematik greift Brigitte Weninger ein sensibles Thema auf, das die zielgruppenrelevanten Kinder vor eine Herausforderung stellt. Wie mit allen heiklen Stoffen, ist das Risiko der Autorin, das Feingefühl zu verfehlen, entsprechend groß. Zumal das Buch laut Klappentext für Sprösslinge ab 3 Jahren empfohlen wird. Doch mit ihrem Debüt, das bereits 1995 erschien, beweist die Kinderbuchautorin und Pädagogin das richtige Maß an Empathie für die Zielgruppe. Das Buch ist nah an der Lebenswelt von Trennungs- und Scheidungskindern angesiedelt.

Hinweis: Ein weiteres Kinderbuch zum Thema Trennung vom Vater ist Die wichtige Dinge (2015) von Peter Carnavas.

In einfacher, kindgerechter Sprache, mit wenig Text und gleichermaßen klaren und feingezeichneten Illustrationen von Christian Maucler konzentriert sich die Handlung auf das Wesentliche, auf die Gefühlslage von Tom und Teddy, die sich von ihren Vätern abgewiesen und vernachlässigt fühlen. Ein Zustand, den Trennungskinder nachempfinden und sich mit beiden Figuren identifizieren können. Durch den Fokus auf die konfliktträchtige Vater-Sohn-Beziehung, die zwischen Freud und Leid hin und her schwankt, rückt die ernste, traurige Stimmung der Story in den Vordergrund. Aus diesem Grund empfiehlt sich das Buch auch bei älteren Kindern zum gemeinsamen Vorlesen mit den Eltern, um anschließend darüber zu sprechen.

Die ganzseitigen, teilweile collagenartigen und seitenüberlappenden Bilder unterstützen die melancholische Atmosphäre des Inhalts ideal, indem die feinen Striche und gedeckten Farben das zarte Kindsgemüt reflektieren. Der innere Konflikt des Kindes wird auf behutsame Weise gelöst, indem die Autorin Mamabär – stellvertretend für Toms Mutter – erklären lässt, was sich so schwer erklären lässt. Am Ende bleibt die eindringliche Botschaft an das Kind zur Elternliebe: »Dieses Liebhaben hört nie auf.«

Umstrittene Buchbewertungen

Um auf einige kritische Käuferstimmen (etwa bei Amazon) einzugehen: Keine Frage, der »Bösewicht« in dem Buch ist die Vaterfigur. Ob dies dem konservativen Rollenverhältnis geschuldet ist oder einfach der Geschichte, ist reine Spekulation. Emanzipierte Stimmen haben recht, die Mutterfigur hätte ebenfalls der Buhmann des Kindes sein können. In dieser Konsequenz müsste jede Geschichte auf das andere Gender übertragen werden. Für die Handlung und den Kern der Geschichte spielt es jedoch aus meiner Sicht keine Rolle, ob die Person mit dem Sorgerecht männlich oder weiblich ist. Für das Identifikationspotenzial des Kindes allerdings schon, so dass Kinder, die bei der Mutter wohnen, einen besseren Zugang zu dem Buch finden.

Was aber auch zählt, ist das Eingehen auf die innere Zerrissenheit des Kindes, welches sich von seinen Erziehungsberechtigten schmerzlich abgewiesen fühlt. Man kann die Trennung von Eltern verurteilen, wie einige Rezensenten, aber man kann ihr Vorkommen in unserer Gesellschaft nicht verleugnen. Für Kinder, die mit diesem Zustand umgehen müssen, ist es umso wichtiger, ihnen eine liebevolle Botschaft zu senden, die sie ein wenig tröstet.

Hinweis: Auf Wiedersehen, Papa wird auch in der Broschüre Kinderbücher zum Thema Trennung/Scheidung der Stadt Aachen vorgestellt (hier: Download als PDF).

Fazit zu Auf Wiedersehen, Papa

In wenigen, aber umso bedeutungsvolleren Worten und Bildern haben Brigitte Weninger und der französische Illustrator Christian Maucler mit Auf Wiedersehen, Papa ein einfühlsames Bilderbuch zum Trennungsthema kreiert. Mit Aufgreifen der Kinderperspektive bringt die Geschichte den betroffenen Kindern Verständnis und Mitgefühl entgegen und hilft, diese konfuse Situation ein wenig besser zu verstehen und mit friedlicherem Herzen »Auf Wiedersehen« zu sagen. Ein empfehlenswertes Werk zum Vorlesen für Kinder in Trennungsverhältnissen, ab 3 Jahren mit Appel an Anschlusskommunikation. Ich vergebe 8 von 10 Sternen für Auf Wiedersehen, Papa.


 

Titel Auf Wiedersehen, Papa
Erscheinungsjahr 2008 (erstmals 1995 erschienen)
Autor/Illustrator Brigitte Weninger (Autor), Christian Maucler (Illustrator)
Verlag minedition
Seiten 32 Seiten
Altersempfehlung Ab 3 Jahre

 

Der Beitrag AUF WIEDERSEHEN, PAPA über Trennung | Kinderbuch 1995 | Kritik erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

]]>
http://www.blogvombleiben.de/buch-auf-wiedersehen-papa-1995/feed/ 0 3910