Schauspielerin – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 http://www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32,32 Schauspielerin – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 COCO CHANEL – DER BEGINN EINER LEIDENSCHAFT | Film 2009 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-coco-chanel-2009/ http://www.blogvombleiben.de/film-coco-chanel-2009/#respond Tue, 31 Jul 2018 07:00:15 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4530 Ein Biopic über Coco Chanel von ihrem Einzug ins Waisenhaus bis zu ihrem Einzug in die…

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Ein Biopic über Coco Chanel von ihrem Einzug ins Waisenhaus bis zu ihrem Einzug in die Modewelt, wobei man über beiderlei Hintergründe ähnlich wenig erfährt: Das ist Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft. Während die Kindheit und Jugend der größten Modeschöpferin des 20. Jahrhunderts in einem Dunkeln liegen, dass Coco selbst nicht aufhellen wollte, ist vieles über ihre ersten Karriere-Schritte in Paris bekannt. Da kommt es nur auf den Fokus an.

Die fabelfreie Welt der Rebellin

Hinweis: Aktuelle Streamingangebote zu Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft finden sich bei JustWatch.

Audrey Tautou als Coco Chanel | Bild: Warner Bros. France

Totale: Coco im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Manche Leben sind zu groß für die Leinwand, oder vielmehr: für eine herkömmliche Filmlänge. Selten bietet es sich da an, solche Leben in ihrer Gesamtheit einzufangen, von der Kindheit bis zum Tod. Mit Amadeus (1984) über Wolfgang Amadeus Mozart ist es dem Regisseur Miloš Forman gelungen. Doch der exzentrische Komponist wurde auch nur 35 Jahre alt. Und der Director’s Cut dieser Filmbiografie dauert knapp dreieinhalb Stunden. Coco Chanel hingegen ist 87 Jahre alt gewesen, als sie 1971 altersschwach im Hotel Ritz starb, wo sie die letzten drei Jahrzehnte gewohnt hatte. Da verwundert es nicht, wenn sich ein weniger als zwei Stunden langer Film nur auf einen Lebensabschnitt seiner Heldin konzentriert. In diesem Fall also: der Beginn einer Leidenschaft.

Im selben Jahr wie Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft von Anne Fontaine erschien Jan Kounens Film Coco Chanel & Igor Stravinsky. Letzterer setzt inhaltlich ungefähr dort an, wo Ersterer aufhört. Trotzdem handelt es sich dabei nicht um ein Sequel, sondern die eigenständige Adaption des gleichnamigen Romans von Chris Greenhalgh. Ich selbst habe den zweiten Film (mit Schauspieler Mads Mikkelsen als Stravinsky) noch nicht gesehen und überlasse mal der Bloggerin Andressa Lourenço (Miss Owl) eine kurze Stellungnahme:

Die beiden Filme ergänzen einander und erschaffen auf diese Weise erfolgreich ein Porträt von Chanel als Figur, die Generationen inspiriert hat – innerhalb und außerhalb der Mode. Nicht nur aufgrund ihres kritischen Blicks, sondern durch ihre Persönlichkeit: vieldeutig, ironisch, erfinderisch, ruhelos und stur. | Hier geht es zu Lourenços ausführlichem Vergleich der Filme (englisch)

Persönlicher Kontext

Sonia hat sich ein Buch zugelegt, Good Night Stories for Rebel Girls: 100 außergewöhnliche Frauen. Als es mit der Post kam und wir durch die kunstvollen Illustrationen blätterten, die jede Kurz-Biografie darin begleiten, blieben wir an Coco hängen: »Es war einmal ein Mädchen, das lebte in einem Kloster in Zentralfrankreich, umgeben von schwarzweiß gekleideten Nonnen…« – und gegenüber vom Text eine schwarzweiße, abstrakte Illustration von Karolin Schnoor, die eine elegante Coco zeigt, knallrote Lippen, mit ihrer Perlenkette spielend.

Kurzum: Die Doppelseite hat uns neugierig auf die Modeschöpferin gemacht. Und aus dieser spontanen Laune heraus haben wir uns noch am selben Abend den Film angeschaut.

Fokus: Coco im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Die Filmbiografie über Gabrielle Chanel (so zunächst ihr Name) beginnt 1893 mit einem Schwenk von der Puppe in den Händen eines Mädchen auf das Gesicht desselben. Es liegt mit seiner schlafenden Schwester auf der Ladefläche einer Kutsche, die sich einem großen, grauen Bau nähert. Durch die Holzlatten seitlich der Kutsche betrachtet das Mädchen, was für die nächsten Jahre sein Zuhause werden soll.

Die Kamera nimmt Gabrielles Point of View ein. Die Vorspanntitel werden schlicht aber kunstvoll zwischen den Holzlatten der Kutsche eingeblendet und weggewischt. Dazu ein zarter Piano-Score, ohne ein gesprochenes Wort. Auch nicht, als das Mädchen dem Kutscher einen letzten Blick zuwirft. Ein rauchender Mann, der sich nicht nochmal zu ihr umdreht. Das Mädchen wird von schwarzweiß gekleideten Nonnen in das Gebäude geführt.

Nach nur zwei sehr kurzen Szenen im Waisenhaus, die Gabrielle als melancholisches Kind zeigen, springt der Film 15 Jahre weiter. Nach Moulins in der Auvergne, 1908, wo sie im Grand Café mit ihrer Schwester als Sängerin arbeitet. Hier wird Gabrielle erstmals von der Schauspielerin Audrey Tautou gespielt. Sie bekommt den Spitznamen »Coco« und lernt Étienne Balsan kennen, einen Industriellensohn, der Cocos Eintrittskarte in die Welt der Schönen und Reichen ist.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Um einen Fuß in die Tür zu dieser Welt zu bekommen, bedarf es einiger Eigeninitiative seitens Coco. Und Beharrlichkeit, um in dieser Welt auch zu bleiben und mehr zu sein, als schmückendes Beiwerk.

Die Aufnahme in eine Biografie-Sammlung voller Rebellin erscheint sehr passend, wenn man diesen Film sieht: Audrey Tautou spielt Coco in geradezu bruchlos rebellischer Attitüde, sei es in ihren Umgangsformen, ihren Worten oder eben ihrer Mode. Letztere ist zwar immerzu präsent, an Cocos Körper und später auch an denen ihrer ersten Kundinnen, und auch Cocos Sinn fürs Modische begleitet subtil die Filmhandlung. Doch diese legt den Fokus doch deutlich auf Cocos Verhältnis zu den Männern. Zunächst ist da besagter Balsan, später noch dessen Freund Arthur »Boy« Capel.

Insbesondere Letzterer ermöglichte es Coco, mit ihrer Mode eine Geschäftstätigkeit zu starten und ein Atelier in Paris zu eröffnen. Wie sich das genau vollzieht, diese ersten Karriere-Schritte als Geschäftsfrau, das kommt in dem Film Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft für mein Empfinden zu kurz. Überhaupt ist Cocos »Leidenschaft« kaum zu spüren. Sie strebt konstant nach Unabhängigkeit, aber das hätte wohl auch auf anderem Wege geschehen können. Dass Coco für die Mode brannte, das stellt dieser Film jedenfalls nicht dar. Ich weiß zu wenig über die echte Coco Chanel und ihre Art, um beurteilen zu können, ob Audrey Tautous reserviertes Spiel die Persönlichkeit gut trifft.

So läuft’s eben nicht

Man kann diesen Aspekt des Biopics auch anders sehen, etwa durch die Augen des filmkundigen Roger Ebert:

Sie hatte einen visionären Sinn für die Mode, ja, aber wir bekommen das Gefühl, das davon nicht ihr Erfolg abhing. Sie arbeitete viel, behandelte Menschen auf realistische Weise, führte harte Verhandlungen und sah Mode als Job, nicht als Karriere oder Berufung. Dies zu unterstreichen, macht den Film umso fesselnder. Wir haben genug Filme über Heldinnen gesehen, die getragen wurden vom Schwung ihres gesegneten Schicksals. Das ist nicht, wie es läuft. |  Filmkritiker Roger Ebert (aus dem Englischen übersetzt)

Dramaturgisch ist der Film eher flach geraten, unaufgeregt, kann man wohlwollend sagen. Er fühlt sich wie eine überlange Downton-Abbey-Folge an – aber: eine gute Folge. Vor allem Balsan (grandios gespielt von Benoît Poelvoorde) und Cocos Freundschaft zu diesem Mann bekommen in vielen, schönen Szenen eine bemerkenswerte Tiefe.

Der Trailer zum Film

Schon während des Films, spät in der zweiten Hälfte, kam mit der Gedanke, wie man daraus wohl einen spannenden Trailer zusammen geschnitten hat? Danach habe ich mir den Trailer angesehen, nicht überrascht, dass größere Wendungen der Geschichte darin vorweggenommen werden. Zum Einstieg in den Trailer hat man sogar die letzte Einstellung des Films (!) gewählt. Das ist insofern ein Unding, als doch manch Zuschauer*in (schließe ich mal von mir auf andere) die Bilder aus dem Trailer wie Ankerpunkte im Hinterkopf hat, beim Betrachten des Filmes. Wenn dann eine der markantesten Aufnahmen bis zum Schluss auf sich warten lässt, verpufft dessen Wirkung in dem enttäuschten Aha-Effekt: schau an, da ist es ja… Ende.

Dunkle Seiten

Der Film zeigt Gabrielle Chanels Weg aus der Armut in die High Society, von der jungen Hut-Macherin zu ihrer ersten Catwalk-Show. Doch er schreckt davor zurück, die dunkle Episode ihres Lebens zu zeigen – ihre Affäre mit einem Nazi-Offizier im Pariser Ritz während der Besatzungszeit. Ebenso verfehlt der Film einen Einblick ins Chanels Versuch, die Gesetze gegen jüdisches Geschäftswesen zu nutzen, um der Wertheimer-Familie die Kontrolle über deren Parfüm-Herstellung zu entreißen. | Ben Leach (The Telegraph)

Einen mit 7 Minuten super-kurzweiligen Überblick von Coco Chanels Weg zur Stilikone inklusive dunklerer Seiten bietet dieses Video, durch das die Schauspielerin und Vloggerin Nilam Farooq führt:

Fazit zu Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft

Die Filmbiografie über die frühen Jahre der Modeschöpferin Coco Chanel ist ein wenig unbefriedigend. Zumindest mit der Erwartungshaltung, den Beginn einer Leidenschaft zu sehen. Denn Leidenschaft im Sinne einer ergreifenden Emotion, einer großen Begeisterung für etwas, das sprüht Audrey Tatou als Coco Chanel nicht aus. Doch vermutlich ist sie damit näher an der Wirklichkeit, als die Zuschauer*innen es gerne hätten. Was dieser Film bietet, ist ein hochwertig inszeniertes Biopic über eine rebellische Frau, die sich den Umgangsformen ihrer Zeit wirkungsvoll widersetzt. Kulissen, Kostüme und Schauspiel, all das ist erstklassig und machen Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft unterm Strich zu einem guten Film.


Weitere Filmkritiken:

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30 MUSIKVIDEOS mit berühmten Hollywood-Schauspieler*innen http://www.blogvombleiben.de/musikvideos-hollywood-schauspielerinnen/ http://www.blogvombleiben.de/musikvideos-hollywood-schauspielerinnen/#respond Thu, 26 Jul 2018 07:00:19 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4230 Musikvideos gibt’s wie Sand am Meer, eine wunderbare Kunstform, in denen sich nicht selten bemerkenswerte Ideen…

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Musikvideos gibt’s wie Sand am Meer, eine wunderbare Kunstform, in denen sich nicht selten bemerkenswerte Ideen entfalten. Oder auch nur die simple Idee, einen Hollywood-Schauspielerin zu engagieren. Bestenfalls bieten Musikvideos beides. Hier mal eine Auswahl, in denen sich die lieben Leser*innen selbst einen Überblick verschaffen können. Welche Musikvideos setzen nur auf den Starfaktor und welche bieten auch in anderer Hinsicht ganz großes Kino?

Von A wie Garfield bis Z wie Deschanel

Tom Hanks, Saoirse Ronan und Andrew Garfield, Schauspieler*innen aus Musikvideos

Zum Auftakt, ein besonders starkes Stück:

Arcade Fire – We Exist (2014) mit Andrew Garfield (Boy A). | Unter der Regie von David Wilson (auch bekannt für das Video zu Passion Pit – Take a Walk) schlüpft der Schauspieler Andrew Garfield in die Rolle einer Transgender-Frau. Anfangs steht sie daheim vorm Spiegel, rasiert sich den Schädel und zieht sich an. Dann geht es in eine Bar, wo sie erst von Typen angepöbelt wird, bis die Awesomeness passiert. Teile dieses großartigen Musikvideos wurden beim Coachella-Konzert von Arcade Fire gedreht. Sehenswert! Hier geht es zum Video.

Kontroverse: Die Transgender-Musikerin Laura Jane Grace kritisierte das Musikvideo dafür, dass es Stereotypen reflektiere – und sagt, die Hauptrolle hätte eine Transgender-Schauspielerin spielen sollen, statt ein Cisgender-Mann. Der Songwriter Win Butler (nicht verwandt oder verschwägert mit der Gender-Studies-Fachfrau Judith Butler) verteidigte die Besetzung von Andrew Garfield mit den Worten »Für ein homosexuelles Kind in Jamaika ist es, meiner Meinung nach, verdammt kraftvoll, in eben dieser Rolle den Schauspieler zu sehen, der Spiderman gespielt hat.« Später lenkte Laura Jane Grace ein, dass sie ihre Meinung zum Video geändert habe.

With great power comes great great responsibility. | Spiderman

Sing, Forrest, Sing!

Carly Rae Jepsen – I Really Like You (2015) mit Tom Hanks (Forrest Gump) | Wer hatte bei der jungen fröhlichen Singstimme von Jepsen nicht immer eigentlich Tom Hanks vor Augen? Der Mann wird älter, aber bleibt ein Kind. Kann man nur feiern. Hier geht es zum Video.

Vampire Weekend – Giving Up The Gun (2010) mit Jake Gyllenhaal (Nightcrawler), Lil‘ Jon und RZA | Ein ziemlich witziges Tennis-Match mit einem extra-breiten Mr. Gyllenhaal. Hier geht es zum Video.

The Shoes – Time to Dance (2012) mit – schon wieder! – Jake Gyllenhaal (Donnie Darko) | Eine ziemlich düstere Mordserie mit einem extra-krassen Mr. Gyllenhaal. Vorsicht, nichts für schwache Nerven! Hier geht es zum Video.

Zirkus und Tanzlust

Aerosmith – Jaded (2000) mit Mila Kunis (Die wilden Siebziger). | In der Lobby des Los Angeles Theater, diesem extravaganten Bau im französischen Rokoko-Stil, tobt ein spektakulärer Zirkus mit irren Artist*innen. In ihrer Mitte: Die abgestumpfte, ausgepowerte (engl. jaded) Frau, verkörpert von Mila Kunis. Hier geht es zum Video.

Will Smith – Miami (1998) mit Eva Mendes (Hitch). | Wenn der Prince von Bel Air ein Musikvideo gemacht hätte… dann wohl diesen tanzlustig-kultigen, preisgekrönten Clip. Mit Schauspielerin Eva Mendes in einem kleinen Auftritt vor ihrem Durchbruch. Hier geht es zum Video.

Melissa Etheridge – I Want To Come Over (1995) mit Gwyneth Paltrow (Sieben, Contagion). | Die Golden-Globe- und Oscar-Preisträgerin ist nicht nur fleißig in Kinofilmen unterwegs. Wer sie als arg deprimierte Liebeskummer-Leidende sehen mag: Hier geht es zum Video.

The Lemonheads – It’s a Shame About Ray (1992) mit Johnny Depp (Angst und Schrecken in Las Vegas). | Es geht immer noch ein bisschen älter: Anfang der 90er Jahre spielte Johnny Depp in diesem lahmen Clip einen Typen, der wütend auf ein Foto ist. Hier geht es zum Video.

Der Fremde und die Retterin

Radiohead – Creep (1993) mit Johnny Depp und Charlotte Gainsbourg (Antichrist). | So viel schöner, als sein letzter Musikvideo-Auftritt. Und eigentlich, na ja, kein richtiger Musikvideo-Auftritt. Bei der Begegnung von Johnny Depp als geheimnisvoller Fremder und Charlotte Gainsbourg im Plattenladen handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Film Happy End mit Hindernissen von Yvan Attal. Hier geht es zum Video.

Brandon Flowers – Crossfire (2010) mit Charlize Theron (Mad Max: Fury Road). | Als hostage in bondage wird der amerikanische Sänger Brandon Flowers (Frontmann von The Killers) nicht einmal, nicht zweimal, sondern DREIMAL von Schauspielerin Charlize Theron aus den Händen von Ninjas befreit. Beim vierten Mal hat sie ihn den Ninjas überlassen. Schätz ich. Hier geht es zum Video.

Vor Breaking Bad und Brangelina

Korn – Thoughtless (2002) mit Aaron Paul (Breaking Bad) | Jesse Pinkman before he was cool? Hier spielt Aaron Paul noch einen Schüler, der von seinen Mitschülern übel misshandelt wird, bis ihn alles ankotzt – oder andersherum? Hier geht es zum Video.

The Rolling Stones – Anybody Seen My Baby? (1997) mit Angelina Jolie (Wanted) | Noch lange vor Brangelina und ihrer ersten Regie-Arbeit trat Angelina Jolie in einem der Musikvideos der Rolling Stones auf. Als Stripperin lässt sie mitten in der Performance ihre Perücke fallen und haut ab. Mit langem Mantel und kurzgeschorenen Haaren wandelt sie durch das New York der späteren 90er Jahre. Hier geht es zum Video.

The Rolling Stones – Doom And Gloom (2012) mit Noomi Rapace (The Girl With The Dragon Tattoo) | Nochmal die alten Herren mit einem abgedrehten Video, in dem sich eine Hollywood-Schauspielerin halbnackt im Müll räkelt, ein Kopf und eine Atombombe explodiert, Zombies rumröcheln und, und, und, also viel zu sehen. Hier geht es zum Video.

Da kann man ruhig mal klatschen – und lachen

Fatboy Slim – Weapon Of Choice (2006) mit Christopher Walken (Catch Me If You Can) | Hat jemand gerade »alte Herren« gesagt? Der gut gealterte Hollywood-Star Christopher Walken zeigt hier mal, was ne krasse Tanzperformance ist! Zum Video.

Islands – No You Don’t (2010) mit Michael Cera (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) | Genau der Richtige für den Job: Badass Michael Cera in einem Musikvideo, das den irren Humor dieses Ausnahme-Schauspielers gut treffen dürfte. Hier geht es zum Video.

Foo Fighters – Learn to Fly (1999) mit Jack Black und Kyle Gass (Tenacious D) | Gewinner der Grammy Awards im Jahr 2000 – und das zu Recht. Die Parodie zu dem an sich schon herrlich-absurden Airplane! (Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug) steckt voller Ideen und für meinen simplen Geschmack sehr witziger Szenen! Hier geht es zum Video.

Musikvideos mit Harry-Potter-Stars

One Night Only – Say You Don’t Want It (2010) mit Emma Watson (Vielleicht lieber Morgen) | 2 Jahre dran herum gefeilt, 2010 endlich herausgebracht: Das zweite Album der englischen Indie-Rockband One Night Only heißt genauso wie die Band selbst. Das Video zur Single Say You Don’t Want It wurde in New York City gedreht. Es handelt sich um eine Verneigung vor Susi und Strolch. Denn nur auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei da eine Jungs-Clique unterwegs, die auf Emma Watson als »leichtes Mädchen« treffen. Es sieht nicht nur komisch aus, wie sich Watson und Frontsänger George Craig beschnuppern und lecken. Am Ende macht alles einen Sinn, versprochen. Hier geht es zum Video.

Ed Sheeren – Lego House (2011) mit Rupert Grint (Harry Potter) | Yes, auch Rupert Grint hat sich in einem Musikvideo die Ehre gegeben (und damit also alle von Harrys Freunden, alle beide) – Grint spielt Sheeran, bis Sheeran selbst auftaucht, sehr witziges Ding! Hier geht es zum Video.

Um die Häuser mit Ed und mit Blunt im Bett

Ed Sheeran – Galway Girl (2017) mit Saoirse Ronan (Am Strand, Lady Bird) | Eine Nacht mit Ed Sheeran im irischen Galway um die Häuser ziehen – Saoirse Ronan spielt (in aller gegebenen Coolness) den vielleicht größten Traum vieler, vieler Fanboys und -girls… und Rupert. Hier geht es zum Video.

James Blunt – Goodbye My Lover (2005) mit Mischa Barton (Hope Lost, Painkillers) | Mr. James Blunt, bekannt für seine hohe Stimme und seine spitzzüngigen Tweets, hat sich mit Schauspielerin Mischa Barton im Bett geräkelt. Sehenswert? Naaa jaaa… ach… nö. Wer trotzdem lünkern möchte: Hier geht es zum Video.

Leidenschaft in schön und schmerzhaft

Justin Timberlake – What Goes Around… Comes Around (2007) mit Scarlett Johansson (Don Jon, Her) | Vor und hinter der Kamera starbesetzt, sehr cineastisch inszeniert und geschrieben von Nick Cassavetes (Regisseur von The Notebook). Unter der Regie von Musikvideo-Ikone Samuel Bayer üben sich Justin und Scarlett als leidenschaftliches Liebespaar. Guess what? Funktioniert. Bis zum krachenden Finale. Hier geht es zum Video.

Eminem – Love The Way You Lie ft. Rihanna (2010) mit Megan Fox (Transformers, Jennifer’s Body) | Apropos leidenschaftliches Liebespaar… nein, nicht Eminem und Rihanna. Hier geht’s um Model und Schauspielerin Megan Fox und deren leidenschaftliche Liebe zu einem Arschloch. Zum Video. (Wie beknackt ist bitte die Songzeile: Told you this is my faultLook me in the eyeball !?– was ein Rapper nicht alles für seinen Reim tut, nee, nee, das ist gar nicht gut.)

Sekunden-Auftritt und Science Fiction

Ricky Martin – She Bangs (2000) mit Channing Tatum (The Hateful Eight), angeblich… | Man muss schon ziemlich genau hinschauen, in der Sekunde (ca. 01:30), in der ein Barkeeper im Hintergrund einen Cocktail-Shaker hochwirft. Nach semi-offiziellen Angaben handelt es sich bei diesem Background-Tänzer um den inzwischen berühmten, immer noch tanzenden Schauspieler Channing Tatum. Eingefleischte Fans erkennen ihn vielleicht an seinem Sixpack. Ansonsten: Ein sehr feuchter Macho-Traum, dieses Filmchen. Hier geht es zum Video.

Broken Bells – The Ghost Inside (2010) mit Christina Hendricks (Mad Men, Drive) | Science Fiction gefällig? Hatten wir bis jetzt noch nicht – bildgewaltig und ein klitzekleines bisschen trashig. Hier geht es zum Video.

…und auch wenn kein Mensch dieser Welt all die Musik aus dieser Liste mag – warum nicht ne Spotify-Playlist anlegen 🙂

U-Bahn-Liebe und der abgefuckte Alltag

Savage Garden – I Knew I Loved You (1999) mit Kirsten Dunst | Im Alter von 17 Jahren sitzt die Schauspielerin Kirsten Dunst in der New Yorker U-Bahn dem Sänger Darren Hayes (damals 27) gegenüber und wird von ihm als love interest besungen. Hier geht es zum Video.

The Offspring – She’s Got Issues (1998) mit Zooey Deschanel (New Girl, (500) Days Of Summer) | Sehr witzig, sehr weird und unglaublich 90er Jahre: Zooey Deschanel (18 Jahre alt und knallrothaarig) spielt in diesem Song eine vom Alltag abgefuckte Frau in einer Welt, die von Künstler Wayne White immer wieder ins comichafte Komische überzeichnet wird. Hier geht es zum Video. Hier geht es zum Making-of (als MTV-Episode! Oooh, so 90er!)

Musikvideos mit berühmten Regisseuren

Stone Temple Pilots – Sour Girl (1999) mit Sarah Michelle Gellar | Heute schon ein düsteres Video mit creepy Teletubby-Bunnies gesehen? Nö? Dann ab dafür! Mit der damals noch als Vampirjägerin aktiven Sarah Michelle Gellar vor der Kamera – und dem namhaften Regisseur David Slade (30 Days of Night, Hard Candy) hinter der Kamera. Hier geht es zum Video.

Paula Abdul – Forever Your Girl (1989) mit Elijah Wood (Der Herr der Ringe) | Kurz vor seinem ersten Kurzauftritt in einem Kinofilm (Zurück in die Zukunft II) spielte Elijah Wood im Alter von 8 Jahren einen melancholischen Anzugträger in diesem Musikvideo, das von Regisseur David Fincher inszeniert wurde. Hier geht es zum Video.

Und der Rest von Hollywood? Hier.

Als der kleine Elijah groß geworden war und seinen Ring weggebracht hatte, da trommelte er halb Hollywood noch für das wohl größte Star-Line-Up aller Musikvideos ever zusammen:

Beastie Boys – Make Some Noise (2011) mit Seth Rogen, Danny McBride und Elijah Wood (in den Rollen der Beastie Boys). | Bei diesem Song handelt es sich um den größten Hit der Beastie Boys seit Ch-Check It Out (2004). Bei dem Musikvideo wiederum handelt es sich um ein Sequel zu deren Musikvideo (You Gotta) Fight for Your Right (To Party!) (1986), das – mit #MeToo im Hinterkopf – nicht ganz so dolle gealtert ist. Aber, aber: Bandmitglied Adam Horovitz hat im Dezember 2017 Schlagzeilen gemacht, als er sich hinter die Vorwürfe von neun Frauen stellte, die seinen Vater – den Drehbuchautor Israel Horovitz – mit Vorwürfen von ungewollten Berührungen bis hin zu Vergewaltigung konfrontierten.

Im Musikvideo zu Make Some Noise indes gibt sich halb Hollywood in Cameos die Klinke in die Hand. Mit dabei sind unter anderem Amy Poehler, Steve BuscemiChloë Sevigny, Kirsten Dunst, David Cross und Orlando Bloom. Ebenso Will Ferrell, John C. Reilly und Jack Black (in den Rollen der älteren Beastie Boys aus der Zukunft). Klingt nach krassem Staraufgebot? Da geht noch was: Zum dem Musikvideo in Standardlänge gibt es eine Extended Edition, die unter dem Titel Fight for Your Right Revisited (Regie: Bandmitglied Adam Yauch aka MCA) veröffentlicht wurde. Darin tauchen unter anderem auch noch Susan Sarandon, Stanley Tucci und Robert Downey Jr. auf. Hier geht es zur langen Version des Videos.

Die Liebe zum Detail

YouTube-User mastersoftoday gibt noch ein bisschen Nerd-Knowledge mit einer Auswahl an Eastereggs im Video zur Hand. Details, die nur echten Fans der Beastie Boys und ihrer Musikvideos auffallen:

Der Typ in Minute 13:00 ist MCA’s Regie führendes Alter Ego Nathaniel Hornblower (der bei den MTV Video Music Awards 1994 die Bühne enterte – in genau diesem Outfit – und behauptete, er habe das Drehbuch zu StarWars verfasst), Jason Schwartzman cosplayt Van Gogh in Anlehnung an Hey Ladies (hier geht’s entsprechenden zu den Lyrics) und Orlando Bloom spielt Johnny Ryall aus dem Song Johnny Ryall (Lyrics).

Ein Jahr nach dem spektakulären Video-Release starb Adam Yauch im Alter von 47 Jahren an Krebs. Im Juni 2014 gab Bandmitglied Mike D bekannt, dass weder er noch Horovitz je wieder als Beastie Boys auftreten würden – aus Respekt vor Yauch.


Zugabe

Zuletzt, als kleines Schmankerl, Nr. 31 der Musikvideos mit berühmten Schauspieler*innen: Massive Attack, Young Fathers – Voodoo In My Blood mit Rosamund Pike (Gone Girl). Ein irres, übles Meisterwerk:

…und zu aller Letzt, Nr. 32 der Musikvideos (und Nr. 16 im Sigur Rós Mystery Film Experiment): Eine poetische Reise mit der fantastischen Schauspielerin Elle Fanning in Sigur Rós – Leaning Towards Solace feat. Dauðalogn and Varúð.

Weitere Musikvideos:

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GHOSTLAND, Horror von Pascal Laugier, Set-Unfall | Film 2018 | Kritik, Spoiler http://www.blogvombleiben.de/film-ghostland-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-ghostland-2018/#respond Mon, 09 Jul 2018 07:00:21 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4241 Er hat es wieder getan. Der Franzose Pascal Laugier lebt seit nunmehr 15 Jahren sein Faible…

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Er hat es wieder getan. Der Franzose Pascal Laugier lebt seit nunmehr 15 Jahren sein Faible für Horrorfilme in schöpferischer Funktion aus – als Drehbuchautor und Regisseur. Mit Ghostland findet er beinahe zu der Härte zurück, die ihn mit Martyrs (2008) bekannt gemacht hat. Überschattet wird Laugiers neuer Film allerdings von einem Unfall, der sich beim Dreh ereignete und Schauspielerin Taylor Hickson mit einer Narbe im Gesicht zurücklässt.

Vorfall im Geisterland

Deadline Hollywood spricht von der Ironie, dass das Kinoplakat zum Film Ghostland das Gesicht einer jungen Frau wie von Scherben zerschmettert zeigt. Die Anklageschrift spricht von mangelnden Industriestandards und wirft der Produktionsfirma vor, die Schauspielerin Taylor Hickson in eine absehbar gefährliche Situation gebracht hat. Regisseur Pascal Laugier wird indes in dieser Anklageschrift nicht erwähnt, obwohl er bei dem Unfall eine gewisse Rolle gespielt zu haben scheint. Mehr dazu im Absatz »Set-Unfall mit Taylor Hickson«.

Zum Inhalt: Eine Mutter und ihre zwei Töchter beziehen das Haus einer verstorbenen Verwandten. Doch schon in der ersten Nacht werden sie in dem düsteren Anwesen von üblen Gewaltverbrechern attackiert, die das Leben der Frauen grundlegend verändern.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler zu allen Filmen von Pascal Laugier, aber nur im Absatz »Misogynistischer Folter-Porno?«, bis dahin, schönes Lesen! Eine weitere Rezension zu Ghostland, mehr auf den Inhalt als auf den Kontext bezogen, habe ich für kinofilmwelt.de geschrieben.

Zwei Mädchen flüchten Hand in Hand in einen Wald, Standbild aus dem Film Ghostland | Bild: Mars Films

Totale: Ghostland im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Pascal Laugiers erster Film (Haus der Stimmen) handelte von einer jungen Frau, die sich in ein spukendes Waisenhaus zurückzieht, um in aller Heimlichkeit ihr Kind auf die Welt zu bringen. Laugiers zweiter Film (Martyrs) erzählte die Geschichte von zwei jungen Frauen, die im Rahmen eines Racheakts eine ganze Familie hinrichten, ehe sie selbst bluten müssen. Sein dritter Film (The Tall Man) handelte von einer jungen Frau in einer Stadt, in der Kinder von einem »großen Mann« entführt werden – ein sehr (eher: zu) wendungsreicher Wannabe-Polit-Thriller mit Horrorelementen.

Im vierten Film sind nun zwei Frauen (mal als Jugendliche, mal als Erwachsene, also vier Schauspielerinnen) der rohen Brutalität zweier Gewaltverbrecher ausgesetzt. Es verwundert nicht, dass Filmkritikerin Antje Wessels den Regisseur bei einem Interview im April 2018 also auf seine Wahl immerzu weiblicher Hauptfiguren angesprochen hat. Und er so:

Für mich sind Mädchen »das große Andere«. Sie sind alles, was ich niemals sein werde. Und ein paar Wochen auf einem Set zu verbringen und Schönheiten, ich meine, Gesichter zu filmen, die mich faszinieren – auch das ist für mich ein Grund, Filme zu machen. Vielleicht war ich in der Schule einer der von den Mädchen zurückgewiesenen Jungs – und ich mache Filme, um geübt darin zu werden, ihnen zu gefallen. Um ihnen zu zeigen, dass ich selbst ein liebenswerter Typ bin.

Pascal Laugier im YouTube-Interview mit Filmkritikerin Antje Wessels

Ich persönlich finde, der heute 46-jährige Pascal Laugier hat sich nicht das beste Genre ausgesucht, um den »girls« zu gefallen. Aber hey, wo die Liebe hinfällt… und dass seine Liebe dem Horror-Genre gilt, das hat der Mann ja nun auf vierfache, sehr unterschiedliche Weise in Spielfilmlänge unter Beweis gestellt. Dabei ist sein Œu­v­re von solch wechselhafter Qualität, dass ich dem Herrn Laugier aktuell keine Träne nachweinen täte, wenn er sich vom Regiestuhl wieder aufs heimische Sofa begäbe.

In einem Abgesang über den »Retro-Wahn des Gegenwartskinos« schreibt Georg Sesslen (DIE ZEIT, N° 31, 26. Juli 2018) anlässlich des Remake von Papillon über ein »System der Selbstreferenz«.

Die Filme beziehen sich nicht mehr auf eine Art von äußerer Wirklichkeit, sondern auf andere Filme und andere Ereignisse innerhalb der Popkultur. Das heißt natürlich nicht, dass sie sich nicht auf das Leben ihrer Konsumenten beziehen würden, dann das besteht ja in der Regel zur Hälfte aus Popkultur-Konsum.

Dabei habe ich (nach kurzer Empörung: Wie herablassend schreibt dieser Typ bitte über mein Leben!?) an Ghostland denken müssen. Wie viele Zeilen, Szenen, Kulissen, Ideen, ja ganze Versatzstücke dieses Films sind (bewusst oder unbewusst) nicht Referenzen an etwaige namhafte Vertreter*innen der Horror-Genres? Tobe Hooper und Rob Zombie als nur prominenteste Beispiele.

Noch vor dem ersten Bild serviert Ghostland bereits die erste Referenz in aller Deutlichkeit, eine, die sich durch den gesamten Film zieht. Der Streifen fängt mit einem Zitat an.

Close-up: Ghostland im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Zu Beginn des Films Ghostland sehen wir einen Schwarzweiß-Porträt des Schriftstellers Howard Phillips Lovecraft (1890-1937). Darunter – in Schreibmaschinen-Lettern getippt, erscheint die Zeile:

Freakin‘ awesome horror writer. The best. By far. | Elizabeth Keller

Wie aus der Zeit gefallen: Ein schwarz gekleideter Junge mit einem Hut rennt über einen Acker. Hin zu einer Straße, auf der gerade ein Wagen vorbeifährt. Mitten auf der Straße bleibt der Junge stehen und schaut dem Wagen nach. Aus dem Wagen, von der Rückbank aus, begegnet ein Mädchen (Taylor Hickson) seinem Blick. Ihre Schwester (Emilia Jones), auf dem Beifahrersitz, liest derweil eine selbst geschriebene Grusel-Geschichte vor. Anschließend wird sie von ihrer Mutter, am Steuer, für die Geschichte gefeiert und von ihrer Schwester beleidigt. Typisches Familiengezanke also, bis sich ein wild hupender Candy Truck von hinten nähert und den Wagen überholt.

Im Truck sieht man nur zwei dunkle Silhouetten, die den irritierten Frauen zuwinken. Spooky shit. Dann zieht der Wagen vorbei und der Titel erscheint: Incident in a Ghostland (der etwas längere, alternative Titel des Films)

An einer Tanke kauft die schriftstellerisch ambitionierte Tochter etwas zu knabbern. Draußen fährt jener Candy Truck vorbei, gruselig langsam, das Licht in der Tanke flackert, als hätte der Sicherungskasten Angst bekommen. Besagte Tochter wirft einen Blick auf die Titelseite einer Zeitung, die da rumliegt: »Familien-Killer schlagen zum fünften Mal zu!« (wenn man später erlebt, wie auffällig und unvorsichtig diese Killer unterwegs sind… dann muss man sich schon sehr wundern: Wie genau hat die Polizei denn bisher versucht, sie aufzuhalten?)

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

All die üblen Vorzeichen führen rascher als gedacht zur Konfrontation zwischen den Familien-Killern und der Familie. Dabei geht es brutal zur Sache. Die Gewalt-Eskalation zum Auftakt des Films ist derartig heftig in Szene gesetzt, dass sich schon hier die Spreu vom Weizen trennen wird: die Zuschauer*innen, die solche Filme lieber meiden, und diejenigen, die bleiben. Letztere bekommen einen Film zu sehen, der handwerklich sehr gut gemacht ist. Vieles, was an Pascal Laugiers vorausgegangenem Werk The Tall Man mies war (die Computer-Effekte, die unglaubwürdigen Twists, die politische Message) fallen weg. Stattdessen: Absolut solides Genre-Kino, dass zur Entspannung zwischen den Gewalt-Exzessen gekonnt Zeit- und Wirklichkeits-Ebenen wechselt. Samt Cameo-Auftritt von H. P. Lovecraft.

Die Kritik zum Film fällt sehr gemischt aus (siehe: englischer Wikipedia-Beitrag). Manch Filmrezensent*innen schlagen mit ihrem Lob ein bisschen über die Stränge. So schreibt Simon Abrams (The Village Voice):

[Ghostland] ist eine verstörende, effektvolle Kritik an misogynistischen Folter-Pornos. […] Der Film mag zuweilen daherkommen wir ein blutrünstiger Slasher-Klon, aber Laugiers gefolterte Mädchen erweisen sich immer wieder stärker als ihre brutal entstellten Körper.

Misogynistischer Folter-Porno? (Achtung, Spoiler!)

In Haus der Stimmen stirbt die junge Mutter mit ihrem Neugeborenen im Arm. Im Laufe von Martyrs schlitzt sich die eine Hauptfigur selbst auf, die andere wird gehäutet – und stirbt elendig. Am Ende von The Tall Man wird die weibliche Hauptfigur auf Lebenszeit weggesperrt, nachdem man ihr die Scherben aus dem Gesicht gepickt hat. In Ghostland, das stimmt, da überleben die beiden Mädchen die schier endlosen Gewalt-Attacken in den vorausgegangenen anderthalb Stunden.

Man kann nicht behaupten, ein Film sei nicht misogynistisch oder gar feministisch, nur weil die weiblichen Protagonistinnen am Ende irgendwie mit dem Leben davon kommen. Ghostland ist ein Folter-Porno, der Misogynisten gefallen wird. Ebenso, wie Der Soldat James Ryan kein Antikriegsfilm, sondern ein Kriegsfilm ist, der all denen gefällt, die Lust auf Kriegs-Action haben.

[Die Gewalt] dient als Mittel zum Zweck, um Zuschauer*innen daran zu erinnern, dass Traumata die menschliche Psyche schädigen können. Doch darüber hinaus scheint Ghostland nichts zu sagen zu haben. Der Mittel zum Zweck führt zu keinem tieferen Sinn oder einer größeren Idee, so dass die Unmenschlichkeit sich wirklich lohnt. Die Story ist zu hauchdünn, um zu rechtfertigen, was ihre Charaktere durchleben müssen. Dadurch wirkt die Gewalt als Ziel gesetzt und misogynistisch.

Day Ebaben (BloodyDisgusting), aus dem Englischen übersetzt

Das Kunstschaffen von Pascal Laugier

Pascal Laugier wurde am 16. Oktober 1971 geboren. Er begann seine Karriere als Assistent des Regisseurs und Filmproduzenten Christophe Gans (Silent Hill, Die Schöne und das Biest). So drehte Laugier zu dessen Pakt der Wölfe (2001) mit Vincent Cassel eine Making-of-Dokumentation (und er trat selbst in dem Film auf).

Später schrieb und inszenierte Pascal Laugier nach seinem Debüt Haus der Stimmen (2004) den Horror-Schocker Martyrs (2008), seit dem er dem New French Extremism zugeordnet wird. Das Gewalt-Spektakel brachte dem Regisseur einige Kontakte in Hollywood ein, wo er nach eigenen Aussagen, »drei oder vier verschiedene Projekte« unterzeichnete. Eines davon war ein Remake zu dem Horror-Klassiker Hellraiser (1987), von dem er jedoch wieder zurücktrat (oder zurückgetreten wurde). Hier ist Laugiers Sicht der Dinge:

Ich hatte das Gefühl, dass die Produzenten hinter dem neuen Hellraiser keinen wirklich seriösen Film machen wollten. Nun, für mich wäre ein neuer Hellraiser vor allem ein Film über die SadoMaso-Schwulen-Kultur, weil es von einem homosexuellen Begehren herrührt – und Hellraiser handelt von solchen Dingen. Ich wollte nicht die ursprüngliche Version von Clive Barker [Hellraiser-Schöpfer] betrügen.

Pascal Laugier im Interview mit Ambush Bug (AICN)

Die Produzenten hingegen seien eher an einem kommerziell erfolgreichen Remake für Teenager*innen als Zielgruppe interessiert gewesen. Statt eines Hellraiser-Remakes drehte Laugier stattdessen den Mystery-Thriller The Tall Man (2012). Im Jahr 2015 inszenierte außerdem er das Musikvideo zu City Of Love über gefallene (gruselig ausschauende) Engel und die Faszination für den menschlichen Körper. Die französische Popsängerin und Schauspielerin Mylène Farmer, die City Of Love sang, übernahm 6 Jahre nach Pascal Laugiers letztem Spielfilm die Rolle der Mutter in Ghostland. (Die lange Dauer zwischen seinen Projekten schreibt er Finanzierungsschwierigkeiten zu.)

Set-Unfall mit Taylor Hickson

Nun ist für einen Star für Mylène Farmer dieser Film nur eines von vielen Werken in einer langen Karriere. Für die meisten Cast- und Crew-Mitglieder*innen und Zuschauer*innen wird Ghostlandnur ein weiterer Horror-Film sein. Einer, der manchen mehr, manchen weniger gefällt, aber kaum das Zeug hat, lange von sich reden zu machen.

Allein für Schauspielerin Taylor Hickson stellt dieser Film eine Zäsur dar. Ein Schnitt, der ihr Leben in ein »Davor« und »Danach« unterteilt. Grund ist eine Szene, in der Hickson gegen eine Glastür hämmern sollte, härter, wie es der Regisseur Pascal Laugier wollte, so hart, bis das Glas brach und die junge Frau hindurch fiel. Dabei schlitzte eine Scherbe ihr Gesicht so sehr auf, dass Taylor Hickson mit 70 Stichen genäht werden musste. Die Narbe wird die Schauspielerin für den Rest ihres Lebens im Gesicht tragen. Zitat des Regisseurs:

Manchmal war ich der Bösewicht am Set. Die Crew verhielt sich sehr beschützend gegenüber den Schauspielerinnen und ich musste sie davon abhalten. Ich wollte, dass sich die Schauspielerinnen einsam und sozusagen miserabel fühlen – damit sie fähig waren, das darzustellen, was das Skript abverlangte. Also, yeah, hin und wieder fühlte ich mich wie der Bösewicht, aber die einzige Sache, woran ich dabei dachte, war der finale Film.

Pascal Laugier im Interview mit Darren Rae (Review Graveyard), 17. März 2009

Nie wieder mit Laugier

Dieses Zitat bezieht sich gar nicht auf Ghostland. Sondern auf Martyrs, dem anderen Gewalt-Schocker, den Laugier 10 Jahre zuvor gedreht hat. Als die Schauspielerinnen aus dem Film damals, Morjana Alaoui und Mylène Jampanoï, ein Interview gaben, kam dieser Gesprächsfetzen zustande (aus dem Englischen übersetzt):

Rob Carnevale (Indie London): Pascal scheint ein wirklicher netter, sanfter Typ zu sein… wie war er als Regisseur? MJ: Das ist nicht wahr… MA: Er hat eine sehr sanfte Seite und eine sehr gewaltsame Seite. Er hätte diesen Film nicht gemacht, wenn es diese gewaltsame Seite nicht gäbe. Und ich denke, dass er eine sehr gewaltsame Haltung gegenüber der Welt hat. RC: Würdet ihr wieder mit ihm arbeiten? MJ: Niemals! [Lacht.] MA: Ich ebenfalls nicht. MJ: Kann ich noch sagen, dass wir uns zwar darüber beschwert haben, aber das wir trotzdem eine exzellente Zeit dort hatten? Und auf professioneller Ebene, als Schauspielerinnen, haben wir viel über uns gelernt.

Fazit zu Ghostland

Horrorfilme sind heute, was öffentliche Hinrichtungen im Mittelalter waren: Ein Spektakel für Menschen, die von Gewalt fasziniert sieht (mich eingeschlossen). Und so wie Henker*innen damals sicher eine »gewaltsame Seite« hatten, haben sie heute Filmemacher*innen. Indem sie ihre Gewaltfantasien inszenieren und damit die Gewaltfantasien etlicher Anderer bedienen, schaffen sie ein Ventil für sadistischen Voyeurismus. Oder sie fördern ihn damit nur, so kann man es auch sehen. Ich persönliche gehöre eher der ersteren Meinung an. Doch mir graut es bei einem Regisseur, der sein filmisches Ergebnis höher wertet, als das Wohlbefinden aller Beteiligten.

Erst recht, wenn die Story derart dünn ist. Auch die Charaktere des Films bleiben substanzlos. Bloße Täter-/Opfer-Schablonen, wie man sie aus x-beliebigen Horrorfilmen kennt, die man sieht und wieder vergisst. Da warte ich doch lieber auf das nächste Werk des Meisters popkultureller Referenzen, zuweilen gar mit Wirklichkeitsbezug: Quentin Tarantino. Dessen nächster Streich soll vom mörderischen Treiben der Manson-Familie handeln.

Weitere Filmtipps:

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THE TALL MAN mit Jessica Biel | Film 2012 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-the-tall-man-2012/ http://www.blogvombleiben.de/film-the-tall-man-2012/#respond Tue, 03 Jul 2018 07:00:01 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4305 The Tall Man ist der dritte Streich von Regisseur Pascal Laugier, der zuletzt mit einem Budget…

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The Tall Man ist der dritte Streich von Regisseur Pascal Laugier, der zuletzt mit einem Budget von mutmaßlich 6,5 Millionen US-Dollar den Film Martyrs (2008) umgesetzt hat. Ein Schocker, der sich zum größten Teil in einem einzigen Haus abspielt und dermaßen aufs Maul ist, dass die Erwartungen an den Nachfolger unter Genre-Freund*innen hoch waren. Was haut uns dieser Typ wohl um die Ohren, wenn er sich mit dem knapp dreifachen Budget austoben darf?

Auf Schocker folgt Twister

Diese Budget-Spritze (mutmaßlich, mal wieder, solche Zahlen lassen sich schwerlich verifizieren: 18 Millionen US-Dollar) verdankt Pascal Laugier der Schauspielerin Jessica Biel (Eine himmlische Familie, Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre). Durch ihre Begeisterung für Martyrs und Zusage, in Laugiers neuem Projekt die Hauptrolle zu übernehmen, bekam er den finanziellen Support, den es brauchte. Für spektakuläre Drehorte, Kamera-Tricks und -Flüge und Auto-Stunts und Steven McHattie und, und, und…

Ich liebte Martyrs. Es war hart und brutal, ihn zu sehen, aber er war elegant – macht das Sinn? Ich war so beeindruckt von Pascals Schaffen, dass ich einfach mit ihm zusammenarbeiten musste. | Jessical Biel im Interview mit Ryan Turek (comingsoon.net)

Das Drehbuch hat Laugier, wie in seinem Erstlingswerk Haus der Stimmen (2004) und Martyrs wieder selbst verfasst. Also, worum geht’s in The Tall Man?

Zum Inhalt: In einer kanadischen Kleinstadt gehen Armut und Schrecken um. Nicht nur, dass nach Schließung der Bergbauminen die Männer ihre Arbeit verlieren – jetzt werden auch noch Kinder entführt! Eine ganze Reihe hat es schon erwischt. Angeblich wurden sie verschleppt von einer Gestalt, den man im Ort nur den »großen Mann« nennt…

Hinweis: Ab dem Abschnitt »Bleibender Eindruck« wird fleißig gespoilert, bis dahin, entspanntes Lesen! Aktuelle Streamingangebote gibt’s bei JustWatch.

Schauspielerin Jessica Biel rennt bei Nacht eine Straße entlang, Standbild aus dem Film The Tall Man

Totale: The Tall Man im Zusammenhang

Cineastischer Kontext

Ich wollte etwas völlig anderes machen, als in Martyrs. Das habe ich von Ruggero Deodate gelernt. […] Er hat mich eingeladen, in Rom, hat mir Pasta gemacht und sagte: »Pascal, du hast dasselbe Problem, das ich mit Cannibal Holocaust hatte. Dein Film ist so schockierend, dass die Leute noch in 20 Jahren nur über Martyrs reden werden. Mir ging es genauso, ich war halb glücklich, halb traurig darüber. Ich hab nach Cannibal Holocaust immerhin 15 andere Filme gemacht!« Mir war also die Falle, in die ich als Regisseur tappen konnte, sehr bewusst. | Filmemacher Pascal Laugier beim Film4 FrightFest-All Nighter in London, 27. Oktober 2012

Persönlicher Kontext

Ich kenne Cannibal Holocaust (1980, hierzulande auch bekannt als: Nackt und zerfleischt). Danach hatte ich erstmal nicht das Bedürfnis, noch weitere Filme von Ruggero Deodate zu sehen. Insofern weiß ich nicht, was dieser Regisseur nach seiner kontroversen Kannibalen-Pseudo-Doku noch so gemacht hat… ist er damals in eine Falle getappt, indem er versucht hat, sich selbst im selben Genre zu übertreffen? Und worin genau – Brutalität? Blutzoll? Oder hat er damals schon, wie Laugier jetzt, erstmal etwas völlig anderes gemacht? Und entgeht man damit der Falle? Oder kann man trotzdem eine große Enttäuschung abliefern?

[Enttäuschung in einem weniger persönlichen Sinne. Schon Martyrs hat mir zu wenig gefallen, als dass ich meine Erwartungshaltung an The Tall Man mit »Vorfreude« beschreiben würde. Stattdessen also bitte in einem filmkritisch-sachlichen Sinne verstehen, diese ENTTÄUSCHUNG!]

Close-up: The Tall Man im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Los geht’s mit einer Texttafel: »In den USA werden jedes Jahr 800.000 Kinder als vermisst gemeldet. Die meisten werden nach ein paar Tagen gefunden. 1000 Kinder verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.« Als Zuschauer*in rechne ich natürlich (nach Martyrs) mit einem derben Horrorfilm, keiner Doku. Auf mich persönlich wirkt es angesichts besagter Erwartungshaltung arg pietätlos, eine solche Statistik einzublenden. Hinter blanken Zahlen stehen schließlich echte Schicksale, aber naja… warum guck ich denn nicht gefälligst ne Doku, anstatt mich hier mit Horrorkino einzulullen?

Es beginnt als Thriller

Ein Kommissar kommt aus einer Höhle. Umgeben von Polizisten, die alles absperren sollen. Schnitt zu Detailaufnahmen vom Gesicht einer weinenden, zitternden Frau. Mit einer Pinzette werden ihr Scherben aus der blutenden Stirn entfernt. Der Kommissar kommt rein, schaut grimmig, sagt, man habe ihn nicht gefunden, die anderen Kinder auch nicht. Die Frau wirkt benommen… Schnitt zu einer Luftaufnahme über kanadische Wälder und die Kleinstadt Cold Rock, in der sich abspielen soll, was wie ein Thriller beginnt. Zu Stimmungsbildern aus der verwahrlosten Kleinstadt spricht ein Mädchen aus dem Off:

Unsere Stadt ist seit 6 Jahren tot. Zunächst dachten wir, die Schließung der Mine sei daran schuld. Am Verlust der Arbeitsplätze, an dem Fehlen von Geld, dem Fehlen von allem. Doch dann mussten wir etwas viel Schlimmerem die Schuld geben, denn es war etwas nach Cold Rock gekommen, etwas Böses, das unsere Stadt von innen heraus auffrass…

Sehgewohnheiten gefoltert

Knapp 10 Minuten von The Tall Man sind um, als der Vorspann eingeschoben wird. Einmal mehr: Kameraflüge über die Stadt und die Einblendung der Namen aller Beteiligten… An dieser Stelle hat mich dieser Film leider verloren. Die visuelle Art und Weise, wie die Vorspann-Schrift in die Filmaufnahmen eingebracht ist, bricht mit der bis dahin aufgebauten ernsten, düsteren Stimmung. Überhaupt bricht sie mit meinen Sehgewohnheiten, weil ich für gewöhnlich nicht gern Trash schaue – und der Vorspann schreit vom Look her so sehr nach TRASH!, dass man statt der Namen auch einer »Trash, Trash, Trash« hätte einblenden können.

Echt ey, als hätte da jemand gerade coole Tools bei After Effects entdeckt, die auf Teufel komm raus in den nächsten Film rein müssen… Gewiss, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber ich spreche ja auch nur von meinem Sinn für Ästhetik, der von diesem Vorspann gefoltert wurde.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Sprechen wir also, statt über Ästhetik (über die ich noch viel zu meckern hätte, Stichwort: alberne Schnitte, schlechte CGI), einfach über den Inhalt von The Tall Man. Manche User des Internets empören sich unter Negativkritiken zu dem Film, dass man diesen intelligenten Thriller doch nicht einfach mit Martyrs vergleichen dürfe, und überhaupt-

Stop! Was das »Intelligente« des Films angeht, möchte ich ihn dessen gerne berauben. Weil sich das »Intelligente« in meinem Schädel regelrecht beleidigt fühlte von dem, was es da zu verarbeiten bekam. (Und dazu brauche ich keinen Vergleich zu Martyrs!) Als »intelligent« wird noch am ehesten die Komposition der Story bezeichnet, mit ihren Twists and Turns, den 180-Grad-Wendungen, die bei den Zuschauer*innen für Verwirrung sorgen. Angenehme Verwirrung. Mindfuck-Filme halt, wie The Game (1997). Doch aufgepasst! Manche vermeintliche Mindfuck-Filme entlarven sich als »Fuck the mind!«-Mumpitz. Da wird die Logik der Story schon im Produktionsprozess so wenig hinterfragt, dass sich Zuschauer*innen fragen müssen: Bin ich der/die Erste, dem/der das dumm vorkommt?

Um die Leser*innen in die Diskussion miteinzubeziehen, hier mal die Story des Films The Tall Man in chronologischer Reihenfolge, ohne inszenatorische oder dramaturgische Tricks:

Die Story ohne die Twists

The Tall Man handelt von einem Ehepaar – er Arzt, sie Krankenschwester – das viel von der Welt gesehen hat. Afrika, arme Kinder. Das Paar entscheidet sich, etwas gegen die Kinderarmut zu tun. Aber nicht in Afrika, sondern in Kanada, da gibt’s ja auch arme Kinder. Etwas weniger arm, etwas besser behütet, aber sei’s drum. Das Paar will auf jeden Fall diesen Kindern helfen. Und zwar, indem sie die Kinder aus armen Familien klauen und an reiche Familien übergeben. Kid-Robbin‘ Hood.

Das ist die Prämisse des Films: Ein Paar will Kindern helfen, indem es sie auf eigene Faust aus armen Familie entfernt und in reiche Familie gibt. Das ist intelligent? Mir fallen spontan ein paar andere Ideen ein, wie ein Arzt und eine Krankenschwester armen Kindern helfen könnten. Diese spezielle Idee würde ich dabei, auf einer Intelligenzskala, eher unter »extrem dumm« einordnen, direkt unter: Arme Kinder mit Drogen versorgen, damit sie sich damit einen Kundenstamm aufbauen und finanzielle Unabhängigkeit erlangen können. Ach, lächerlicher Vorschlag?

Wie hättest du es getan?

Kommen wir zur Umsetzung der Prämisse: Um den Plan zu verwirklichen, bezieht das Ehepaar ein Haus über einem Minenstollen. In einem Städtchen, in dem augenscheinlich jede*r jede*n kennt. Dann fängt das Paar an, Kinder zu kidnappen. In dieser kleinen Stadt, in der sie wohnen, Kinder von Familien, die sie kennen. Alle paar Wochen entführen sie ein armes Kind und halten es in ihrem Haus (unter für das Kind angenehmsten Umständen) gefangen, bis sie es durch das Tunnelsystem aus der Stadt schleusen und an reiche Menschen verschenken.

Denn Geld wollen der Arzt und die Krankenschwester damit nicht verdienen. Ihr Motiv ist schlicht, das sie gute Menschen sind (und dass die Frau keine Kinder kriegen kann, das wird nebenbei auch erwähnt). Der Mann hält sich während dieses ganzen Treibens übrigens versteckt und gilt als verstorben, damit die Frau als Witwe ihr Dasein fristen kann, was irgendwie von Vorteil zu sein scheint, für ihre Strategie…

Eltern reich, alles gut

Am Ende zeigt sich, dass sie nicht nur alle Kinder aus ein- und demselben Städtchen entführen, sondern zuweilen auch in dieselbe Stadt vermitteln. So dass sich die Kinder dort begegnen. Kinder, die übrigens durchaus schon so alt sind, dass man von einem Erinnerungsvermögen sprechen kann. WTF!? Wie kann dieses Ehepaar nicht längst aufgeflogen sein?

Zu aller aller Letzt wird dann noch – mit einem dramatischen Bruch durch die vierte Wand – die moralische Frage aufgeworfen, ob die Kinder in ihren neuen, reichen Familien denn wirklich glücklicher sind? Oder nicht? Oder doch?

Um Hitchcocks Willen!

Was soll man denn als Wahrscheinlichkeitskrämer zu so einer Geschichte sagen? Ja, gut, danke, kauf ich dir ab!? Wie schon bei Martyrs lässt sich natürlich jede noch so dumme Aktion in einem Film entschuldigen, indem man die Protagonisten als irre abtut. Das Paar handelt zwar irgendwie rational und einigermaßen organisiert. Aber wenn schon die Prämisse derart idiotisch und deren Umsetzung so kompliziert wie möglich daher kommt, dann doch wohl, weil die Story im Dienste eines Filmes steht, der unbedingt Haken schlagen möchte.

Mein liebster Aufreger in The Tall Man ist übrigens die Szene, in der sich die Frau – als Kidnapperin entlarvt – mit einem entführten Kind in ihr Haus begibt. Ein großes Haus mit großes Fenstern und so. Ihr folgt ein Mob, der sich quasi aus der halben Stadt zusammensetzt. Sehr wütende Menschen, wütend darüber, dass die Kinder aus ihren Familien entführt wurden, Schicksal ungewiss. Leben sie noch? Oder nicht? Doch diese wütenden Menschen bilden den wohl harmlosesten Mob der Filmgeschichte. Stundenlang hält er sich vor dem Haus auf und brüllt rum. Ohne die Tür aufzubrechen oder wenigstens ein Fenster einzuschmeißen – obwohl ein Kind aus ihrer Gemeinschaft in dem Haus gefangen halten wird!

Der zahmste Mob aller Zeiten

Wir sehen den Mob nicht, stattdessen vollzieht der Herr Regisseur in dieser Szene einen schönen kleinen Trick, in dem die Kamera einmal von der Protagonistin, die auf dem Bett sitzt, einmal langsam durch den Raum schenkt, während die Zeit vergeht und Tag zu Nacht wird. Aber der wilde, wütende, tobende Mob, der ist immer noch da. Das sehen wir, als die Frau bei Tageslicht abgeführt wird und sich im Polizeiauto sogar ducken muss, weil die Scheiben des Polizei-Autos SOFORT eingeworfen werden.

Es wäre vermutlich unfreiwillig komisch gewesen, den tobenden Mob in den nächtlichen Stunden vor dem Haus zu zeigen. Ein Haufen richtig wütender Menschen, die einfach nur ihre Fäuste recken und Flüche rufen! Dass sie nicht ins Haus eindringen dürfen, um das Kind vielleicht noch zu retten, das steht halt so im Drehbuch. Und ans Drehbuch hält man sich, ob es Unsinn ist, oder nicht…

Mein zweitliebster Aufreger ist der Zirkelschluss, den der Film vollzieht. Wie oben zitiert, begründet die Off-Stimme die Verzweiflung in Cold Rock nicht nur mit der Schließung der Mine. Sondern damit, dass etwas Böses gekommen sei, um die Kinder zu klauen. Aber »das Böse« (das kid-robbin‘ hoodsche Ehepaar) ist ja gekommen, um die Kinder aus ihrer verzweifelten Lage zu holen. Die Lage aber ist ja verzweifelt, weil die Kinderräuber gekommen sind… also… mir wird schwindelig – und ich drohe, mich viel zu lange mit einem Film aufzuhalten, der mich schon jetzt zu viel Lebenszeit gekostet hat.

Fazit zu The Tall Man

Ja, hat mich wohl nicht so gerockt.


Bessere Filme:
  • Good Will Hunting (1997) über einen Professor, der einem armen jungen Mann in ein besseres Umfeld helfen möchte, indem er mit ihm Mathe paukt
  • Captain Fantastic (2016) über einen Papa, der seine Kinder vor der geistigen Armut da draußen retten möchte, indem er sie im Wald großzieht
  • Cargo (2018) über einen Mann, der zwei Kinder vor Zombies retten will, während er sich selbst in einen Zombie verwandelt, was aber okay ist, weil er sie ja huckepack nehmen kann und… ach nee, der war ja genauso bescheuert wie The Tall Man

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MARTYRS mit Morjana Alaoui + New French Extremism | Film 2008 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/ http://www.blogvombleiben.de/film-martyrs-2008/#respond Sat, 23 Jun 2018 07:00:22 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4295 Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine…

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Wie so viele brutale Dinge kennen wir Märtyrer*innen vor allem aus der Bibel. Mit »wir« meine ich natürlich die römisch-katholisch erzogene Leserschaft, die wie ich im Kommunion-Unterricht immer dann wach wurde, wenn es gerade um Mord und Totschlag ging – was ja, bei aller Nächstenliebe, durchaus geregelt der Fall war, Gott sei Dank. Dieselbe seltsame Gewalt-Faszination, die mich damals in Glaubensfragen bei der Stange gehalten hat, mischt sich inzwischen in Film-Geschmacksfragen. Und damit kommen wir zu Pascal Laugiers Paradebeispiel für den neuen Extremismus im französischen Kino: Martyrs mit den Schauspielerinnen Mylène Jampanoï und Morjana Alaoui.

Mit dem Hammer gen Abgrund

Inhalt: Eine junge Frau, die als Mädchen lange Zeit gefangen gehalten und gefoltert wurde (gespielt von Mylène Jampanoï), macht sich Jahre später auf, um ihre Peiniger zu töten. Begleitet wird sie dabei von grauenvollen Halluzinationen und einer Freundin (Morjana Alaoui), die ahnungslos in ihren schlimmsten Alptraum tappt.

Hinweis: Dieser Text enthält Spoiler, also Details zu den gezeigten Gewaltexzessen. Wer auf solch ultrabrutalen Filme steht, den oder die wird das kaum stören. Höchstens neugierig machen, nicht wahr? Unter »Bleibender Eindruck« wird die Auflösung des Films kritisch besprochen. Aktuelle Streaming-Angebote gibt es bei JustWatch.

Eine ältere Dame mit Brille und Turban schaut ernst drein. Standbild aus dem Film Martyrs. | Bild: Wild Bunch Distribution

Mit seinem Spiefilmdebüt Haus der Stimmen (2004) – mit Model und Schauspielerin Virginie Ledoyen in der Hauptrolle – servierte der Regisseur Pascal Laugier einen etwas abgeschmackten Horror-Eintopf aus altbekannten Zutaten. 4 Jahre später lässt er nun sein nächstes Werk folgen, und wieder: ein Horror. Warum denn, Herr Regisseur?

Ich habe das Genre immer gemocht. Insbesondere in den 70er Jahren hat es einige sehr einzigartige Werke hervorgebracht, von Filmemacher*innen, die das Genre nutzten, um sehr persönliche Dinge auszudrücken – ebenso, wie eine bestimmte Vorstellung von der Welt. Wir sehen John Carpenter heute als einen Auteur, im europäischsten Sinne des Wortes (Filmschaffende als geistige Urheber*innen und zentrale Gestaltende eines filmischen Kunstwerks). Ich wollte in aller Bescheidenheit mit diesem Geist in Verbindung treten und einen Film machen, der – obwohl er alle Codes und Archetypen des Genres verwendet – so unerwartet wie möglich ist.

Pascal Laugier im Interview mit Virginie Sélavy (Electric Sheep), aus dem Englischen

Totale: Martyrs im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

In der Literaturwelt heißt es, das zweite Buch sei für Autor*innen das schwierigste Projekt. Wie es in der Filmwelt heißt, weiß ich nicht. Bloß, dass Quentin Tarantino sich nach seinem Debütfilm Reservoir Dogs (1992) mit dem Kult-Kracher Pulp Fiction (1994) in den Kino-Olymp schoss. Und dass Baz Luhrmann nach seinem Debüt Strictly Ballroom (1992) im Nachfolger William Shakespeares Romeo + Julia (1996) seinen ausgeflippten Inszenierungsstil salonfähig machte. Und dass James Cameron nach seinem (ungewöhnlichen) Debüt Piranha 2 – Fliegende Killer (1981) mit Terminator (1984) Filmgeschichte schrieb. Und dass Sofia Coppola nach ihrem Debüt The Virgin Suicides (1999) den Instant-Klassiker Lost in Translation (2003) ablieferte.

In der Filmwelt setzt das zweite Projekt zuweilen ungeahnte Potentiale frei. Die jungen Filmschaffenden stecken noch voller unverbrauchter Ideen und Schöpfungskraft und haben durch ein gelungenes Debüt meist mehr Budget zur Hand, um größere Visionen zu verwirklichen – oder dunklere. Pascal Laugier nutzte sein zweites Werk, um sich mit Anlauf in die Welle des New French Extremism zu stürzen.

Was ist der New French Extremism?

Dieses Label brachte der Filmkritiker James Quandt ins Gespräch, für einige französische Filme des 21. Jahrhunderts, die in Sachen Brutalität respektive Härte die Grenzen verschieben. Dazu werden etwa High Tension (2003) von Alexandre Aja oder Frontier(s) (2007) von Xavier Gens gezählt. Martyrs gilt als mustergültiges Beispiel für den New French Extremism, obwohl Regisseur Pascal Laugier ihn gar nicht so extrem sieht [und der Film etwa im Vergleich zu besagtem Frontier(s) auch weniger blutig ist].

Ich schwöre, dass es nie meine Motivation war, im Publikum Abscheu hervorzurufen. Wenn Kritiker*innen den Film als Gemetzel bezeichnen, als Zurschaustellung von Eingeweiden und als Gore, dann macht mich das traurig. Ich sehe meinen Film als eher zurückhaltendes Werk, ehrlich gesagt. Und ich würde mein Publikum damit gerne berühren, sie eintauchen lassen in einen Zustand tiefgreifender Melancholie, wie ich ihn erlebte, während der Dreharbeiten – denn ich denke, dass Martyrs in Wirklichkeit ein Melodram ist. Hart, gewalttätig, sehr verstörend, aber ebenso ein Melodram.

Pascal Laugier im Interview (s.o.)

Tatsächlich ist Martyrs also nicht so explizit, wie er angesichts der darin enthaltenen Gewalthandlungen hätte ausfallen können. Aber was heißt das schon, in einem Werk, in dem geschlitzt, geschossen und gehäutet und mit Rasierklinge, Schrotflinte und Vorschlaghammer getötet wird? Ist immer noch brutal, das Ding.

Persönlicher Zusammenhang

Ach, das waren noch Zeiten… Videoabend in Köln: Am 14. November 2011 sah ich mit einem Kumpel, betrunken und zu später Stunde, nach dem Kurzfilm Vanilleduft und Blutgeschmack (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendfilmpreis – mit der Stimme von Larissa Rieß, inzwischen bekannt aus Neo Magazin Royale) und 30 Minuten oder weniger (enttäuschender Nachfolger von Zombieland-Regisseur Ruben Fleischer) zum ersten Mal den Film Martyrs. Jener Kumpel hatte ihn mitgebracht, ein »krasser Film« sei das.

Ich erinnere mich noch, dass wir uns über einige Logiklücken lustig machten und ich gen Ende dachte: Was für ein dumpfer Torture Porn ist das denn!? Besagter Kumpel war fasziniert vom Finale und der Pointe. Ich fand das ganze Ding nicht so dolle und war mir sicher, Martyrs »einmal und nie wieder« gesehen zu haben.

Einmal und nie wieder und noch einmal

Stattdessen aber, um über den neuen Film Ghostland (2018) von Pascal Laugier besser schreiben zu können, zog ich mir 7 Jahre später dessen extremsten Film tatsächlich nochmal rein… aus Gründen der Vollständigkeit oder was weiß ich. Und sogar das amerikanische Remake davon. Aus Gründen, die ich rückblickend so gar nicht mehr nachvollziehen kann.

Jedenfalls musste ich überrascht feststellen, wie vieles mein Hirn von all dem fleißigen Filmkonsum vergangener Jahre doch wieder vergessen hat (was vielleicht am Captain-Morgan-Konsum während damaliger Videoabende lag, Rätsel über Rätsel, die wohl nie beantwortet werden…)

Den Prolog von Martyrs zum Beispiel, den hatte ich komplett vergessen…

Close-up: Martyrs im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Der Film beginnt mit einem Mädchen, das verstört, verdreckt, mit kurzgeschorenen Haaren und in blutbesudelter Unterwäsche von einem Industriegelände flieht. Sie rennt und schreit und Schnitt. Es folgt ein Vorspann im Super-8-Look, dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Jahr 1971, in dem jenes Mädchen von der Polizei gefunden und in einem Waisenhaus untergebracht wird. Die Tatort-Begehung der Polizei erbringt keine Hinweise und das verstörte Mädchen mit dem Namen Lucie schweigt. Nur zu einem anderen Mädchen im Waisenhaus, Anna, baut sie Vertrauen auf. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum, in dem Lucie nachts die traumatischen Erfahrungen in Form einer Grauengestalt heimsuchen…

Aber na ja, gääähn. Dieser komplette Prolog ist (obwohl technisch und visuell toll gemacht) dermaßen mit Horrorfilm-Klischees gespickt, das mein Hirn ihn wohl unter »ferner liefen« versenkt und vergessen hatte.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Der eigentliche Horror – mit einer Szene, die im Gedächtnis bleibt – beginnt nach 8 Minuten oder eher: »15 Jahre später«, so die Einblendung nach dem Titel. Wir sehen eine Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Tochter, Sohn (letzterer gespielt von Xavier Dolan, der später als gefeierter Jungregisseur reichlich berühmt werden sollte). In der Küche wird einander liebevoll geneckt.

Das Beste an einer Familie – man ist nie allein!
Das Schlechteste – man ist nie allein.

Alter Kalenderspruch

Das alltäglich-zänkisch-harmonische Beisammensein wird jäh unterbrochen, als es an der Tür klingelt. Der Vater öffnet und muss als Erster dran glauben. Wenige Minuten später ist die gesamte Familie tot. Dermaßen kalt und konsequent hingerichtet, dass etwaige Langweile ob des abgelutschten Prologs futsch ist und selbst gestandene Horror-Begeisterte gebannt vorm Bildschirm sitzen.

Der Film wird das Haus, das soeben Schauplatz eines Blutbads geworden ist, nur noch für ein paar gekonnt eingeflochtene, kurze Rückblenden verlassen. Ansonsten spielt sich die weitere Handlung eben dort ab, wo die scheinbar so harmlose Familie wohnte: Die erste Hälfte des Films ist im Erdgeschoss angesiedelt, die zweite Hälfte im Keller. Die letzte halbe Stunde ist dominiert von einem »Martyrium«, so muss man’s wohl verstehen. Das heißt: minutenlange, dumpfe Folter ohne Aussicht auf Entkommen (heißt auch: ohne Spannung). Die Hauptfigur soll im Handlungsverlauf eine Entwicklung durchmachen, so schreibt es die Erzähltheorie vor. In Martyrs besteht diese Entwicklung darin, dass die junge Frau (Morjana Alaoui) mental und körperlich gebrochen wird. Sie dient als bloßes, wort- und willenloses Objekt einer gewaltversessenen Sekte und mehr nicht.

Mädchen schlagen

In der ersten Hälfte steht diese Frau noch im Dienste ihrer Geliebten, die wiederum eine von ihren Dämonen Getriebene ist. Kurzum: Die Hauptfiguren von Pascal Laugiers Martyrs lassen sich schwerlich als Subjekte mit freiem Willen bezeichnen. Da liegt es nahe, mal einen feministischen Blick auf den Film zu werfen. Dazu die Filmbloggerin Ariel Schudson:

Was ich gesehen habe, war ein Regisseur, der sich daran aufgegeilt hat, Mädchen zu schlagen – weil er das in einem Film machen darf. Das ist… na ja, Kunst-  und Meinungsfreiheit und so, aber meine freie Meinung lautet, dass es ein armer Gebrauch dessen ist. Zumal es ein guter Film hätte werden können.

Das Konzept war verblüffend. Der erste Akt war intensiv, gut gemacht, dramaturgisch ausgefeilt und das Timing war wundervoll. Ich hab den Fucker genossen. Aber sorry. Ich denke nicht, dass das Märtyrer-Konzept dadurch vermittelt wird, dass meine Augäpfel geprügelt werden mit Bildern von ihrem zerbrechenden Körper.

Das nächste Mal, wenn jemand zu mir sagt, Martyrs sei ein verstörender Film, dann werde ich kontern müssen mit: Bitte verwechsele verstörend nicht mit abstoßend. Es ist ein schmaler Grat, und wenn der Film nur die Kontrolle über sich behalten hätte, nicht versucht hätte, einen Kotau vor den Folter-Pornografen dieser Welt zu machen, dann hätte er ein echt Meisterwerk werden können. Darüber, was man mit Gewalt, der Gedankenwelt und den Ideen von Religiosität und Schmerz machen kann.

Ariel Schudson, in: Martyrs & Misogyny: Simply Disturbing, or Disturbingly Simple? (aus dem Englischen)

Der magische Schnitt und anderer Bullshit

Noch kurz was zur inneren Logik: Diese Luke, die in den Keller führt, mit einer Leiter… vom Szenenbild her ne schöne Sache, für die Handlung ein bisschen – schwierig? Es gibt die Szene, in der Anna eine Frau aus dem Keller befreit. Letztere ist in einem fürchterlichen Zustand, abgehungert, schwach, und hat eine Metallvorrichtung an den Schädel genagelt (!) bekommen, die sie blind macht. Anna geleitet diese arme Frau, die kaum gehen und schlecht sehen kann, also durch den Keller und – Schnitt! – durchs Obergeschoss. Wie hat sie die Frau denn die Leiter hoch durch die Luke gekriegt?

Andere Szene: Anna wird im Obergeschoss von den Bösewichten an den Haaren gepackt, weggezerrt und – Schnitt! – durch den Keller weitergezerrt. Ob sie Anna an der Luke kurz losgelassen haben, damit sie selbst hinabsteigen kann? Oder haben sie Anna an den Haaren herabgelassen? Aber okay, das sind technische Details, die man ignorieren kann.

Am Ende aber versammelt sich eine Runde älterer Damen und Herren, die ihre Märtyrerin feiern wollen. Man hat Anna also so lange gefoltert und ihr schließlich die Haut abgezogen, dass sie – kurz vor ihrem Ableben – Visionen hat, die nicht von dieser Welt sind. Ich zitiere einen Vorsprecher der Sekte, der sich an die Versammelten richtet (übersetzt aus dem Englischen):

Erklärung? Zweifelsohne fragwürdig

[…] Zwischen 12:15 und 2:30 Uhr sah Anna ins Jenseits und die dahinter liegende Welt. Sie haben mich richtig gehört. Ihr ekstatischer Zustand dauerte 2 Stunden und 15 Minuten. Das war keine Nahtoderfahrung. Es gibt keinen Zweifel daran, dass ihr Märtyrertum authentisch war. Um 2:30 Uhr verließ sie den Zustand…

Stop, stop, stop, mit so einem flauschigen Nebensatz kommt ihr nicht davon! Es gab »keinen Zweifel« an den Aussagen dieser euch feindlich gesinnten, wenn überhaupt noch bei Sinnen seienden, endlos gefolterten, im Schmerzdelirium wabernden Zeugin? Warum denn nicht? Was hat sie so glaubwürdig gemacht? Abgesehen davon, dass ihr Irren sicher nur gehört habt, was ihr hören wolltet… ach, ich fürchte, mit dieser lahmen Ausrede kann man jede noch so verkorkste Story rechtfertigen: Die Protagonisten sind halt irre.

Dasselbe Argument kann Pascal Laugier aus zu seinem nächsten, noch hanebücheneren Film auftischen: Es sind halt alle irre. Ein ähnlich dämliches Argument kann Laugier anwenden, wenn die »Warum ausgerechnet Gewalt gegen Frauen?«-Frage fällt: Eine ältere Dame, das Oberhaupt der Sekte, erklärt feierlich, dass ihre langjährigen Studien ergeben hätten, dass junge Frauen für ein Martyrium am besten geeignet seien. Warum? Darum. Isso. Erklärung Ende.

Ja, ok. Find ich doof. Aber…

Das Remake: Martyrs (2015)

…es geht immer noch ein bisschen doofer. Dazu verlasse man sich einfach auf die Amerikaner und ihren Hang zu unnötigen Remakes. Ein solches gibt es natürlich auch zur Martyrs, unter demselben Titel, aus dem Jahr 2015.

Das Remake beginnt mit einem Mädchen, das von einem Industriegelände flieht. Weniger verstört und verdreckt als im Original und ohne kurzgeschorene Haare, weil, naja, ach, keine Ahnung, war wohl einfacher so. Schon während dieser Szene werden die Vorspann-Titel eingeblendet: »Directed by Kevin Goetz & Michael Goetz«. Mh, da hättet ihr euch ein »Goetz« doch schenken können, Jungs, dachte ich noch… aber siehe da: die Gebrüder Goetz hätten sich den ganzen Film schenken können. Das Remake ist in jeder Hinsicht billiger produziert, als das Original, zum Fremdschämen schlecht. Es sei denn, der Film versteht sich als Trash-Kunst à la The Asylum – aber selbst diese Filmproduktionsgesellschaft (verantwortlich für Titanic 2, Nazi Sky, Sharknado und ähnliche Perlen) würde das Martyrs-Remake vermutlich aufgrund »mangelnder Ambitionen« schelten.

Fazit zu Martyrs

Auf Festivals wurde Pascal Laugier beschimpft und gefeiert. Ich hätte vermutlich dazwischen gesessen und einfach nicht geklatscht. Der letzte Akt war mir zu stumpf, die Auflösung schlicht dämlich.

Horror sollte meiner Ansicht nach kein vereinendes Genre sein. Es muss teilen, schocken, Brüche hinterlassen in den Gewissheiten der Zuschauer*innen und ihrem Hang zu einer Art Konformismus. Horror ist grundsätzlich subversiv. Sonst sehe ich darin keinen Sinn.

Pascal Laugier

Subversiv im Sinne von aufrüttelnd, nehme ich an. Zerstörerisch, Konventionen aufbrechend, zu Streit anregend, aus dem Neues erwächst – ja! So sollte Horror sein! Allein, dass Laugiers vorheriger Film (Haus der Stimmen) zu gehaltlos und sein nachfolgender Film (The Tall Man) zu absurd ist, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Laugiers vierter und neuster Film (Ghostland) vereint die Brutalität aus Martyrs mit den Twists aus The Tall Man und funktioniert als solider Horrorfilm, seine aufwändigste und technisch beste Arbeit bis dato. Der letzte gesprochene Satz aus Ghostland scheint mir – »subversiv« hin oder her – den Antrieb von Pascal Laugier (der bisher all seine Drehbücher selbst schrieb) mehr auf den Punkt zu bringen:

I like to write storys.

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THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/ http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/#respond Thu, 21 Jun 2018 06:00:10 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3900 Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf…

Der Beitrag THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf Partnerschaften übertragen: Singles wollen Bindung, Gebundene ihre Freiheit zurück, Befreite wieder Bindung und so weiter, Tinder-Trennungs-Mania. Aber worin liegt nun die wahre Erfüllung – in der Freiheit der Einzelgänger*innen oder der Geborgenheit einer Partnerschaft? Anderes Thema: Welches Tier wärst du gern? Lauter existenzielle Fragen sind das, um die sich der Film The Lobster (zu Deutsch: der Hummer) dreht.

Zusammen ist man weniger ein Schwein

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler hinsichtlich der Besprechung einzelner Szenen. Obwohl weder Ende noch wichtige Wendungen verraten werden: Es lohnt sich, diesen Film mit möglichst wenig Vorwissen zu sehen! Aktuelle legale Streamingangebote von The Lobster gibt’s bei JustWatch.

Hummer sind bemerkenswerte Wesen. Sie werden über 100 Jahre alt (wenn wir sie nicht bei lebendigem Leibe im Kochtopf zerbrühen) und sie haben blaues Blut (und zwar wirklich, nicht nur so dahergesagt, wie unsere ach so adligen Aristokraten). Außerdem sind Hummer ein Leben lang fruchtbar. Diese 3 Eigenschaften fallen dem Protagonisten David (gespielt von Colin Farrell) ein, als er im Hotel gefragt wird, in welches Tier er sich verwandeln lassen wolle. Denn das ist die Prämisse zu The Lobster: Singles werden in ein Hotel eingewiesen, in dem sie eine bestimmte Zahl an Tagen Zeit haben, eine*n Partner*in zu finden. Wenn dies nicht gelingt, werden die einsamen Seelen in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Was auch sonst?

Die Reaktion der Hotelmanagerin auf Davids Antwort lautet: Der Hummer sei eine exzellente Wahl! Ja, und The Lobster ist eine exzellente Wahl für einen ausgefallenen Liebesfilm mit Colin Farrell und Rachel Weisz als Paar, das sich nicht haben darf.

Schauspielerin Rachel Weisz im Film The Lobster

Totale: The Lobster im Zusammenhang

Thematischer Kontext

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson hat im Januar ein Selbsthilfe-Buch veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erscheint im Oktober unter dem Titel: 12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Im ersten Kapitel davon zieht Jordan Peterson ausgerechnet den Hummer heran, um zu demonstrieren, wie wir die fundamentalen Prinzipien der Natur ausnutzen können, um im Leben erfolgreich zu sein.

Lass dich vom siegreichen Hummer inspirieren, mit seinen 350 Millionen Jahren von angewandter Weisheit. Stehe aufrecht, nimm die Schulter zurück. | Jordan Peterson

Die Dominanz des Hummers

Das ist der Hummer in Angriffshaltung: Bei Kämpfen plustert er sich auf, um seine Gegner zu beeindrucken. Peterson zielt auf den Dominanz-Trieb von Hummern ab, von dem sich Menschen etwas abschauen sollten, um im Leben zu bestehen. Das kann man auch jetzt schon in einem deutschsprachigen Blogartikel über Petersons berüchtigstes Hummer-Faible nachlesen (siehe: 112-Peterson: Der Hummer in dir).

Es scheint, dass seine Diskussion von Hummern mehr über seine eigene Weltsicht aussagt, als über menschliches Verhalten. Aber er ist der Psychologe, nicht ich.

Die bizarre Vielfalt des Lebens

Das schrieb Anfang dieses Monats, am 4. Juni 2018, die Marine-Forscherin Bailey Steinworth in der Washington Post. Peterson erzähle seinen Leser*innen, sie sollten sich von einem Tier inspirieren lassen, das nicht fähig ist, mit seinen eigenen Artgenoss*innen zu interagieren – außer beim Sex.

Ich sage, das Leben ist so bizarr und wundervoll, dass man Inspiration überall finden kann.

Tatsächlich geht Steinworth dann auch auf eine Reihe von Meeresbewohner*innen ein, die gleichermaßen als Vorbild für uns Menschen dienen können. Wer weiß, wenn der fiktive David diesen Artikel gelesen hätte, vielleicht hätte er sich nicht mehr in einen Hummer verwandeln lassen wollen, sondern eine Seeschnecke oder Seegurke oder Qualle? Hätte der Film The Lobster dann The Jellyfish geheißen?

Warum der Hummer?

Wohl kaum. Denn bei all den tiefenpsychologischen Mutmaßungen, die man über den Protagonisten David und seine Wahl für den Hummer anstellen mag, ist die Erklärung – warum ausgerechnet ein Hummer!? – sehr einfach:

Es begann mit einer Story, die wir als ursprüngliches Treatment geschrieben hatten. Darin wird der Hauptcharakter in einen Hummer verwandelt und dann sieht man seine Ex-Frau mit ihrem neuen Lover eben einen Hummer essen. Also, darin liegt die eigentliche Bedeutung des Hummers, noch bevor wir das richtige Drehbuch schrieben. | Regisseur Yorgos Lanthimos im Gespräch mit Emma Myers (Brooklyn)

Kurzum: The Lobster heißt The Lobster, weil Hummer lecker sind. Und das, obwohl diese Wendung letztlich gar nicht mehr Teil des fertigen Films ist. Der Titel ist ein Relikt des kreativen Schaffensprozesses, so einfach. Da geht es nicht doppelbödig über Dominanz-Trieb und soziale Hierarchie. Die Dinge sind manchmal, wie sie sind, aus den dämlichsten Gründen. Das lohnt sich, bei dem Film The Lobster im Hinterkopf zu behalten, bevor man jede Geste und Regung, jeden Schnitt und Schabernack in dieser kunstvoll erzählten Geschichte mit Bedeutung aufladen möchte.

Persönlicher Kontext

Schon 2015 hat mir ein Kumpel den Film The Lobster ans Herz gelegt. Nun hat ein anderer Kumpel die DVD bei einem Filmabend aus dem Hut gezaubert. Beide kannten wir weder den Film noch den Regisseur, hatten nichts über The Lobster je gehört, außer eben, dass er »ziemlich außergewöhnlich sei«. Na denn, nichts wie rein mit der Scheibe!

Close-up: The Lobster im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Zu Beginn sehen wir eine Frau mit ihrem Auto durch den Regen fahren, auf einer Landstraße. Der Prolog zu The Lobster – vor dem eigentlichen Titel – ist ein One-Take, ein etwa 80-sekündige Szene ohne Schnitt, ohne Musik, ohne Worte. Was darin passiert und wie es zu deuten ist, das wird im Internet fröhlich diskutiert. Manche sehen in dem rätselhaften Prolog »the whole movie in a nutshell«. Yorgos Lanthimos selbst sagt, er mag es, einen Film so zu starten:

Du gibst den Ton an, ohne eine Erklärung zu liefern oder den Einstieg noch einmal aufzugreifen. Wenn der Film zu Ende ist, können die Zuschauer*innen selbst zum Anfang zurückkehren und ihn auf ihre Weise interpretieren.

Nach Einblendung des Titels folgt eine Over-Shoulder-Einstellung eines Mannes (Colin Farrell), auf der Couch sitzend. Zu seinen Füßen ein Hund. Der Mann spricht mit seiner Frau, die wir nicht zu sehen bekommen. Offenbar geht es um einen Anderen, den die Frau kennengelernt hat. Deshalb muss der Mann gehen. Er wird eskortiert, zu einem Wagen, dann deportiert, zu dem Hotel.

Homo oder hetero?

An der Rezeption wird der Mann gefragt, ob er homo- oder heterosexuell sei. Bisexualität gibt es in dieser Zukunftsvision ebenso wenig, wie halbe Schuhgrößen. Der Mann überlegt ein wenig hin und her, sein Blick schweift zur Seite, wir sehen nicht, wohin, hören von dort her nur Absatzschuhe über einen harten Boden stöckeln. Er müsse wohl »hetero« angeben, sagt der Mann, dessen letzter Blick laut Audiospur einer Frau galt. Dieses subtile, inszenatorische Detail ist besagtem Kumpel aufgefallen, mit dem ich den Film sah. An mir allein wäre es, fürchte ich, unbemerkt vorbeigegangen.

Schon ab der ersten Szene kommentiert eine Erzählerin aus dem Off gelegentlich das Geschehen. Ihre Stimme soll später ein Gesicht bekommen: das von Schauspielerin Rachel Weisz. Die Erzählerin, die zu handlungstreibenden Figur wird – dieser Kniff kam uns beim Filmabend so ungewöhnlich vor, dass wir eine Literaturverfilmung vermuteten. Es gibt ja Romanvorlagen, deren Umsetzung ein paar besondere Kniffe abverlangt. Doch so sehr sich The Lobster zuweilen so anfühlt – der Film ist keine Literaturverfilmung, sondern basiert auf einem Original-Drehbuch.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Neben Rachel Weisz enthält der Film zahlreiche weitere bemerkenswerte Frauenrollen. Allen voran Léa Seydoux als Anführerin der Einzelgänger*innen in den Wäldern. Sie hält sich einen »Partner« bloß zur Tarnung in der Stadt, in der Menschen nur als Paare auftreten dürfen. Das führt dazu, dass selbst die herzlosesten Zeitgenoss*innen sich verkuppeln lassen, etwa Angeliki Papoulia als (wir lernen sie tatsächlich nur unter diesem Namen kennen) »herzlose Frau«.

Was The Lobster im Vergleich zu anderen, von Männern angetriebenen Film gelingt, ist die Kreation eines Raumes für Frauen. Im Verlauf dieses Films gibt es etliche Szenen, Momente und Konversationen, die weibliche Stärke, Stabilität und Logik unterstreichen. […] In anderen Filmen nehmen Männer diesen Raum mit ihren eifrigen, enthusiastischen und sexuell aufgeladenen Persönlichkeiten ein. Doch The Lobster beschränkt die Männlichkeit und erlaubt Frauen, wütend, traurig, aggressiv, laut, forsch, sexuell, wild und generell »unfeminin« zu sein. | Samantha Ladwig (BUST) über den Film The Lobster (übersetzt aus dem Englischen)

Fun Fact zum Abschluss: Die französische Schauspielerin Ariane Labed, die als »Zimmermädchen« in einer ganzen Reihe starker Szenen von The Lobster auftritt, ist mit dem Regisseur des Films, Yorgos Lanthimos, verheiratet.

Fazit zu The Lobster

Gespickt mit absurd-komischen, tragischen und schockierenden Ideen und Szenen, weiß The Lobster über seine rund 2 Stunden Laufzeit sehr gut zu unterhalten, wenn man bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Welt einzulassen. Und egal ob Single oder in Partnerschaft, dieser Film stimmt nachdenklich über die sozialen Gefüge, in die wir uns wer weiß wie freiwillig oder forciert so begeben. Sehenswert, erlebenswert!


Weitere Filmkritiken:

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Deutscher Jugendfilmpreis 2018 – die Jury und die Gastgeberstadt http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/ http://www.blogvombleiben.de/deutscher-jugendfilmpreis-2018-die-jury/#respond Wed, 20 Jun 2018 07:06:38 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3923 Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic…

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Anfang dieser Woche bin ich von einer Reise nach Polen heimgekehrt. Verwandte in Jawor besuchen und Jurassic World in Breslau anschauen. Schöne Städte, tolle Dinos, prima Reise. Ende der Woche geht’s gleich weiter, Richtung Hildesheim. Auch dort stehen ebenfalls Filme auf dem Programm. Allerdings kürzere Streifen von jüngeren Kreativen, beim Bundes.Festival.Film.! Nach der Sitzung der Jury im März (hier geht’s zum Rückblick) bin ich gespannt, die Köpfe hinter den Projekten kennenzulernen!

Hildesheims Tochter und Filmdeutschlands Nachwuchs

Von Freitag bis Sonntag, 22. bis 24. Juni ist das Bundes-Festival.Film. in Hildesheim zu Gast, und damit zum ersten Mal in Niedersachsen. Zur Umsetzung arbeiten Ministerien, Behörden und Facheinrichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zusammen – das hat schon Tradition: Bereits 1988 wurde das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) mit der Durchführung dieses Festivals beauftragt, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ, so die offizielle, etwas zungenbrecherische Abkürzung). Das Bundes.Festival.Film. ist ein Wanderfestival.

Hinter der Idee mit dem Bundes.Festival.Film. an immer neuen Austragungsorten zu gastieren, steckt der Anspruch, dass sich das Festival und die jeweiligen lokalen Veranstaltungspartner gegenseitig mit frischen Impulsen bereichern. | Thomas Hartmann, Festivalleiter / Deutsches Kinder- und Jugendfilmzentrum

Diane Krüger und die Stadt Hildesheim, dazu der Text: Deutscher Jugendfilmpreis, die Jury und die Gastgeberstadt

Impulse für die Weiterentwicklung

Im Auftakt 1988 jedenfalls wurden beeindruckende 350 Videos zu dem Wettbewerb Jugend und Video eingereicht. Ausgetragen wurde das erste Bundesfestival übrigens in Bonn, damals noch Bundeshauptstadt. Hier habe ich mal die Historie zusammengefasst: Deutscher Jugendfilmpreis – wie alles begann

Seither setzt das Festival jährlich Impulse für die Weiterentwicklung der Film- und Medienarbeit in den gastgebenden Regionen und beteiligt die jeweiligen Partner an der inhaltlichen Ausgestaltung und Organisation der Veranstaltung. In der Kulturstadt Hildesheim trifft das Bundes.Festival.Film. auf besonders engagierte Mitveranstalter und Kooperationspartner.

So heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung zum Bundes.Festival.Film., in der auch Dr. Ingo Meyer zitiert wird, stolzer Oberbürgermeister der Gastgeberstadt Hildesheim:

Der Film ist ein zentraler und populärer Bestandteil der Kultur in Hildesheim. Dank der renommierten kulturwissenschaftlichen Studiengänge der Hochschulen gilt Hildesheim als Ideenschmiede und Ausbildungsstätte für Kunst und Kultur.

Im Jahr 2019 soll das Bundes.Festival.Film noch einmal in der Stadt Hildesheim gastieren.

Da, wo die Diane herkommt

Eine berühmte Tochter der Stadt Hildesheim ist übrigens die Schauspielerin Diane Krüger, bekannt aus Meisterwerken wie Inglorious Basterds und Mr. Nobody (beide aus dem Jahr 2009). In Mr. Nobody werden bekanntlich auf grandiose Weise die Zeitebenen aus dem Leben eines Helden (gespielt von Jared Leto) miteinander verstrickt. Wir begleiten ihn als Kind und Mann und Greis, generationsübergreifendes Storytelling, ja ja… hey, apropos Generationen!

Ein weiteres Merkmal des Wanderfestivals ist sein generationsübergreifender Ansatz. Sowohl dem Bundesministerium als auch dem Land Niedersachsen ist dieser Aspekt wichtig. Das Teamwork von jüngeren und älteren Filmemachern werten sie als demokratiebildend und bestens dafür geeignet, eine positive Gesprächskultur unter den Teilnehmenden und Gästen des Festivals zu stiften.

Who is Who – die Jury hinterm Deutschen Jugendfilmpreis

Das ist Pressemitteilungs-Deutsch für: »Hier kommen Jung und Alt ins Gespräch.« Aus Hunderten von Einreichungen schafften es nach Sichtung durch das Vorauswahl-Gremium rund 100 Filme in die Auswahl, die von der 5-köpfigen Jury im März gesichtet und besprochen wurden. Hier mal eine kleine Vorstellungsrunde der Damen und Herren, mit denen ich da vor einigen Monaten im dunklen Kämmerchen über Filme von Kindern und Jugendlichen diskutieren durfte:

Philipp Eichholtz, Stargast und alter Hase: Zum wiederholten Male in der Jury zum Deutschen Jugendfilmpreis am Start, ist Philipp Eichholtz, seinerseits gestandener Regisseur. Sein Film Rückenwind von vorn mit Victoria Schulz eröffnete in diesem Jahr die Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale, andere Werke von ihm (wie der wundervolle Luca tanzt leise mit Martina Schöne-Radunski) laufen bei Netflix und dem Indie Film Netzwerk realeyz. Philipps neuester Film Kim hat einen Penis wird in der Reihe »Neues Deutsches Kino« beim Filmfest München seine Weltpremiere feiern.

Ilona Herbert arbeitet als Redaktionsleiterin in der Jugendfernsehredaktion matz im Medienzentrum München, wenn sie nicht gerade in klösterlicher Abgeschiedenheit in einer Bande Filmenthusiasten Filme suchtet und ihren Senf hinzugibt. Dabei war Ilonas Perspektive bei der Jurysitzung im März stets besonders kenntnisreich: Gerade aus dem süddeutschen Raum hatte sie die jungen Filmemacher*innen, deren Werke wir sichteten, bereits auf dem Schirm und kannte sie von anderen Festivals, bei denen sie ebenfalls mit in der Jury sitzt. Sie ist auch Mitveranstalterin des Münchner Jugendfilmfests flimmern&rauschen.

Verschiedene Blickwinkel

Louis Huwald, das Jury-Küken mit dem Blick fürs Künstlerische. Louis und ich wurden als ehemalige Teilnehmer zur Jurysitzung eingeladen. Mit Grün Blau Gelbe Legosteine räumte Louis noch im Vorjahr (2017) einen der Wettbewerbs-Preise ab. In diesem Jahr entschied der frisch eingeschriebene Student an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mit, welche Filme 2018 ausgezeichnet werden sollen. Er selbst zeichnete sich dabei durch die Fähigkeit aus, seinen eigenen Geschmack voll in den Hintergrund zu stellen und die ganz eigenen Stärken eines Werks zu bemerken. Als freischaffender Filmeditor und Montage-Student galt sein Blick dabei nicht selten dem Schnitt.

Vera Schöpfer leitet seit 2014 die Junge Akademie für Dokumentarfilm YOUNG DOGS im Dortmunder U. Damit einher geht ein Faible für Dokumentarfilm, das bei der diesjährigen, fiktionslastigen Filmauswahl ein wenig kurz kam. Vergangenes Jahr hat Vera, ihrerseits ehemalige KHM-Studentin und selbst Filmemacherin, die Geschäftsführung im Scope Institute übernommen. Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Bildungseinrichtung für Film und digitale Medien in Köln. Kommendes Wochenende wird Vera aber anderorts unterwegs sein: Sie ist in Hildesheim mit dabei, wenn wir Jury-Mitglieder*innen die Ehre haben, die Filmemacher*innen hinter den Werken persönlich kennenzulernen und auszuzeichnen!

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HAUS DES GELDES mit Alba Flores | Serie, 2017-18 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/serie-haus-des-geldes-2017-2018/ http://www.blogvombleiben.de/serie-haus-des-geldes-2017-2018/#respond Fri, 15 Jun 2018 04:00:16 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3893 2018 ist das Jahr der Netflix-Originale. Der Streaming-Dienstleister haut so viele eigene Produktionen raus, dass er…

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2018 ist das Jahr der Netflix-Originale. Der Streaming-Dienstleister haut so viele eigene Produktionen raus, dass er etablierte Studios nervös machen dürfte und seine Nutzer*innen regelrecht überfordert: Alle vier, fünf Tage ein neuer Film und noch sehr viel mehr Serien, wer soll das alles gucken!? Zumal Filme wie Cargo (2018) den Eindruck verstärken, dass da Quantität vor Qualität den Ton angibt. Wie steht es nun um eine in jüngster Zeit sehr prominente Serie, die auf Netflix von sich reden macht? Film- und Serien-Fachmann Markus Hurnik hat Haus des Geldes für uns mal unter die Lupe genommen.

Gastbeitrag von Markus Hurnik

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Beitrag enthält keine Spoiler.

Der perfekte Überfall, mal wieder

Heute sollte ich mich auf Netflix  beim Haus des Geldes wiederfinden, eine Serie aus spanischer Produktion, die in den letzten Monaten innerhalb Europas deutlich an Popularität gewonnen hat. Das »Haus des Geldes« ist die spanische Zentralbank in Madrid. Diese soll durch den »perfekt« geplanten Überfalls eines »Professors« mit seinem bunt zusammengewürfelten Team, um ihr Geld erleichtert werden.

Schauspielerin Alba Flores in der Serie Haus des Geldes

 

Starker Start, aber stärkere Konkurrenz

Die Serie startete spannend und die ersten 3-4 Folgen wussten zu begeistern. Doch dann kam die Ernüchterung. 22 Folgen und jede ungefähr 40 Minuten lang! Viele würden nun sagen, das ist doch super und endlich habe ich für längere Zeit Unterhaltung aus einem Guss, doch leider zerstört die lange Zeitspanne jegliche Langzeitspannung. Denn eine klassische Heist-Geschichte sollte Tempo und Emotionen haben und sich nicht in sich verlieren. Jedoch tut Haus des Geldes genau dies. Was fulminant startet, verweilt ab einem gewissen Punkt immer mehr auf Einzelschicksalen, während  die Story nur noch vor sich hin dümpelt. Das am Anfang entwickelte Gefühl, »hey, das ist ein perfekt geplanter Coup, das wird eine richtig coole Erfolgsstory für die Bankräuber und die Bösen werden als die wahren Helden etabliert«, löst sich schnell in Luft auf.

Gerade nach Filmen wie Bube, Dame, König, grAS, Snatch oder Oceans sind die Erwartungen an eine solche Handlungsentwicklung hoch. Der Bösewicht als Held und als der perfekte Verbrecher. Dieser Punkt ist für viele Serien und Filme entscheidend. Denn derjenige, welcher Banküberfall-Filme, wo Coups respektive Handlungsweisen nicht zu viele moralische Fragen aufwerfen bevorzugt, wünscht sich eine solche Handlung. Das Bedürfnis, dass ein Plan reibungslos läuft und der moralische Zeigefinger nicht zu sehr erhoben wird. Schwarzer Humor, moralisch fragwürdige Handlungen und Erfolgsmomente der Gangster, der Filmfans begeistert von der Couch aufspringen lässt, entscheidet durchaus über Erfolg und Misserfolg einer Serie, je nachdem, wie sehr man sich mit den Charakteren identifiziert.

Dummheit nervt

Auch sind die Handlungen der einzelnen Charaktere der Serie teilweise absolut nicht plausibel und »dumm«. es ärgert einen extrem, wenn einer der Protagonisten immer wieder absolut unüberlegt, dumm und irrational handelt – völlig unmöglich bei einem solch perfekt geplanten Verbrechen.

Dabei macht Haus des Geldes auch vieles richtig. So gibt es tolle Charaktere, den »Professor« (Álvaro Morte) – den Kopf der Bande, seine linke Hand und Nairobi, die flippige Gangster-Braut (Schauspielerin Alba Flores, siehe Bild). All diese sorgen für tolle Momente und ein großartiges Mittendrin-Gefühl. Tokio (Úrsula Corberó) dagegen ist mehr schmuckes Beiwerk. Ihre Rolle beim Überfall bleibt nebulös. Die Geiseln wiederum treten in der Masse nicht weiter in Erscheinung und man fokussiert sich auf einzelne Charaktere, die leider aber keine schauspielerischen Meisterleistungen präsentieren.

Fazit zu Haus des Geldes

Deutliche Schwächen an allen Ecken und Enden. Haus des Geldes eignet sich für Fans des klassischen Fernseh-Dauerkrimis, der nur wenig Besonderes bietet. Die Serie ist sicher etwas besser als der Durchschnitt, mehr aber auch nicht. Kurz um, wer gerade eine »Langzeitbeschäftigung« sucht und alle großen Knüller am Serienhimmel durchgeschaut hat, kann sich bedenkenlos Haus des Geldes anschauen.


Zum Autor

Markus Hurnik (28), langjähriger Berliner und Vorortbewohner, den es beruflich inzwischen zunehmend in sächsische Gefilde verschlägt. Er hat in seinen frühen Jahren für die Verlagsgruppe Randomhouse Jugendbücher rezensiert. Anfang der 2000er kam er vermehrt ins Kino und wurde filmabhängig. Studiert hat Hurnik etwas vollkommen Kunstfernes, vis-à-vis der Filmstudios Babelsberg.

Stammkino: Cineplex Titania Palast, Berlin
Lieblingskinos: Programmkino Ost, Dresden Thalia, Potsdam
Lieblingsfilme (eine Auswahl): La Grande Bellezza, Metropolis, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, Wall- E, Train to Busan

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FORREST GUMP aus Jennys Perspektive | Film 1994 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-forrest-gump-1994/ http://www.blogvombleiben.de/film-forrest-gump-1994/#respond Fri, 08 Jun 2018 08:20:45 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3792 Lauf, Forrest, Lauf! Das Leben ist ne Tafel Schokolade und dumm ist nur, wer Dummes tut.…

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Lauf, Forrest, Lauf! Das Leben ist ne Tafel Schokolade und dumm ist nur, wer Dummes tut. Einen Shrimps-Kutter kaufen, gehört nicht dazu und Rasenmähen schonmal gar nicht, Mann, wir lieben dich für deine Einfachheit. Doch so einfach ist es nicht. Denn wann immer love interest Jenny die Wege unseres Helden kreuzt, erhitzen sich an dem Film Forrest Gump die Gemüter. Richten wir den Fokus mal auf die weibliche Hauptfigur.

Jenny und der dumme Junge

Bei manchen Filmen ist die Sympathie-Lage nicht so ganz klar: In Karate Kid (1984) fiebert man eigentlich für, na ja, das Karate Kid mit. Allein How-I-met-your-mother-Legende Barney Stinson feierte seiner Auslegung des Filmklassikers nach Karate Kids Widersacher, den bösen Johnny. Bei Harry Potter (Bücher: 1997-2007, Filme: 2001-2011) sollte man meinen, alle Herzen flögen Harry und seinen Freunden zu. Doch erst gestern noch sah ich den Kurzfilm The Interviewer über ein Vorstellungsgespräch, das von einem jungen Mann mit Downsyndrom geführt wird – und eben dieser junge Mann begeisterte sich für Voldemort. Doch bis dato habe ich noch keinen Menschen über Forrest Gump sagen hören: Also ich bin im Team Jenny.

Gerade im Kontrast zu dem ultimativen Gutmensch Forrest zieht eine Frau wie Jenny, die ihn scheinbar nur ablehnt und ausnutzt und ablehnt und ausnutzt, einige Antipathien auf sich. Zu recht? Betrachten wir Forrest Gump mal durch Jennys Brille (ja, sie trägt keine, aber sinnbildlich, IN-SO-DUMM, verdammte Hacke!).

Hinweis: Liebe Leser*innen, hier fliegen euch mehr Spoiler um die Ohren, als Bubba Shrimps-Sorten aufzählen kann. Also lieber erst den Film schauen, dann nochmal vorbeikommen. Hier geht’s zu legalen Streaming-Angeboten von Forrest Gump.

Jenny und Forrest sitzen auf einem Baum, Standbild aus dem Film Forrest Gump. | Bild: Paramount Pictures
Großes Karos, großer Verstand, kleine Karos, kleiner Verstand – die Bildsprache in Forrest Gump könnte nicht deutlicher sein. | Bild: Paramount Pictures

Totale: Forrest Gump im Zusammenhang

Historischer Kontext

Forrest Gump erzählt nicht nur die Geschichte seiner Hauptfigur (gespielt von Haley Joel Osmet und Tom Hanks), sondern auch die Zeitgeschichte, mit der diese Hauptfigur immer wieder interagiert. Forrest lernt Elvis Presley, John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon kennen. Er leistet seinen Beitrag zur Watergate-Affäre und brachte John Lennon auf die Idee für den Song Imagine. All das und mehr, worüber etliches geschrieben worden ist.

Bemerkenswert wäre noch, wie sehr Forrest Gump die Zeit- und Kinogeschichte noch über Kinostart und Filmende hinaus beeinflusst, bis heute. Zwei Jahre, nachdem Forrest Gump in die Lichtspielhäuser kam, wurde in Kalifornien die Restaurantkette Bubba Gump Shrimp Company gegründet. Sie trägt nicht nur den Namen sondern auch das Logo des Unternehmens aus dem Film und operiert inzwischen weltweit, mit 44 Niederlassungen. In einer davon arbeitete im Jahr 2000 ein junger Mann als Kellner, der von seiner Kundin – der kanadischen Schauspielerin Rae Dawn Chong – eine Rolle in deren Regie-Debüt bekam. So wurde der Schauspieler Chris Pratt entdeckt, der aktuell als Leinwandheld gegen Dinos kämpft, in Jurassic World: Das gefallene Königreich.

Und vergangenen Monat erst, da hat der britische Marathon-Läufer Rob Pope einen Weltrekord aufgestellt, in dem er die berühmte Joggingstrecke aus dem dritten Akt von Forrest Gump ablief: 422 Tage lang, 24.140 Kilometer, rund 24 Millionen Schritte. Dabei sammelte er Spenden in Höhe von knapp 37.000 Euro für wohltätige Zwecke ein. Frei nach Forrest Gump: Gut ist nur, wer Gutes tut.

Persönlicher Kontext

Forrest Gump flog als VHS-Kassette bei uns rum, als aus dem Free-TV aufgenommene, illegale Raubkopie der 90er Jahre und zog schon früh meine Aufmerksamkeit auf sich. Meine Mama hat immer gesagt, die Kassette ist wie eine Schachtel Streichhölzer. Man weiß nicht, ob sie funktioniert. Tatsächlich kann ich mich nicht an das erste Mal erinnern, bei dem ich Forrest Gump in einem Rutsch ohne Störung und Unterbrechung durchgeguckt habe. Ich war jedenfalls noch zu jung, um die meisten der Anspielungen, Referenzen und zeitgeschichtlichen Ereignisse zu verstehen. Inzwischen habe ich den Film zig Mal gesehen und entdecke immer noch neue Details darin. Eine seltene Schönheit: Forrest Gump ist absolut gefälliges Mainstream-Kino und Crowdpleaser und trotzdem ein vielschichtiger, durchdachter, detailverliebter Film – ähnlich wie Titanic (1997).

Close-up: Forrest Gump im Fokus

Erster Eindruck | der Inhalt des Films

Kurz vor Filmbeginn, nehme ich an, ist ein Vogel in eine Flugzeugturbine geraten. So oder ähnlich kommt es, dass eine Feder von hoch oben im Himmel auf die Erde niedersegelt. Begleitet wird sie von der Kamera und einer Klaviermelodie, von der ich öfter einen Ohrwurm habe, als von Kanye Wests Gold Digger (von dem es als white dude wirklich nicht cool ist, mitzusingen, weshalb ich tatsächlich lieber das Forrest Gump Theme von Alan Silvestri vor mir herpfeife…). Reinhören? Hier:

Die Feder landet vor den Füßen eines geistig beschränkten Mannes auf einer Parkbank. Einer dieser Typen, die wenn man sich zufällig neben sie setzt, prompt und ungefragt ihr ganzes Leben erzählen:

Hallo. Mein Name ist Forrest, Forrest Gump.

Jenny als Mädchen

Der spektakuläre Werdegang des guten alten Forrest Gump ist ja hinlänglich bekannt. Springen wir direkt zu Jenny, Jenny Gump geb. Curran (gespielt von Hanna R. Hall und später von Robin Wright). Der junge Forrest lernt sie in einer Rückblende im Schulbus kennen, in Filmminute 13 (von 135), als »die süßeste Stimme der ganzen Welt« sagt:

Wenn du willst, kannst du hier sitzen.

Es braucht nicht viel kindlichen Smalltalk, ehe Jenny ihren Sitznachbarn fragt, ober er dumm sei oder sowas? Jenny ist es offenbar nicht. Aber Jenny ist ein Kind. Sie sieht Forrest nicht mit den Augen der Erwachsenen, die direkt die ganze Chancenlosigkeit im Leben des dummen Jungen antizipieren und ihn deshalb abschreiben oder umso hartnäckiger voranbringen wollen (wie seine Mutter). Jenny lebt im Hier und Jetzt und da hat sie eben diesen einen Schulfreund, der ein bisschen dumm ist und gehänselt wird, aber schnell laufen kann.

Im Hier und Jetzt ist es auch, da Jenny misshandelt wird, von ihrem alkoholkranken Vater. Ein »sehr liebevoller Mann«, wie der naive Forrest es aus dem Off beschreibt. Dauernd habe der Vater Jenny und ihre Schwestern gestreichelt und geküsst. Mehr erfahren wir nicht, können aber unsererseits, als erwachsene Menschen, direkt antizipieren, welche Tragweite solch ein Kindesmissbrauch für Jennys ganzes Leben haben mag.

Jenny als Studentin

Doch für uns Außenstehende, die vielmehr Forrests Leben mitverfolgen, gerät das erstmal in Vergessenheit. Forrest rennt sich an die Spitze des College-Footballteams, neuer Lebensabschnitt. Jenny sehen wir erst als Studentin wieder, die im Auto mit ihrem Freund anbändelt, bis Forrest interveniert. Er attackiert den Freund, verscheucht ihn dadurch, bleibt mit Jenny allein zurück. Im Zimmer ihres Mädchen-Colleges sitzen sie gemeinsam auf der Bettkante und Jenny zieht vor Forrest ihren BH aus. Sie legt seine Hand auf ihre Brust. Jenny meint es nur gut, will ihrem Freund eine Erfahrung geben, die er noch nicht machen konnte. Forrest scheint es arg unangenehm zu sein – und dann wirkt es, als sei er gerade gekommen (in den Bademantel von Jennys Zimmergenossin, wie wir in der Pointe dieser Szene erfahren).

Der kurze, seltsame Moment ist verstrichen und Jenny zieht den BH wieder an, während Forrest um Fassung ringt. Forrest, der junge Mann auf dem geistigen Niveau eines Kindes. Dass diese Szene auch als Missbrauch gesehen werden kann, wird umso deutlicher, wenn man sich die Situation mit umgekehrten Geschlechterverhältnissen vorstellt: Mit einem halbnackten Studenten, der die Hand seiner geistig beschränkten, verunsicherten Kommilitonin in seinen Schritt legt.

Die inneren Kämpfe

In der Szene umarmt und küsst Jenny ihren debilen Freund noch, ist heiter und scheint ihr Verhalten nicht als möglicherweise missbräuchlich zu deuten. Doch klug, wie Jenny eben ist, dürfen wir davon ausgehen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt darüber nachgedacht haben muss. Auch, dass sie sich durch ein solches Verhalten natürlich zum Gegenstand einer Obsession dieses jungen Mannes machen kann. Jenny aber, selbst Missbrauchsopfer, wird ihrerseits Schwierigkeiten damit haben, mit anderen Männern Nähe und mehr zu erleben (wie Jenny es, so die Vermutung, als Kind durch ihren Vater erfahren hat). Wir wissen wenig darüber, was in der jungen Frau vorgeht, welche inneren Kämpfe sie austrägt und sie schließlich auf die schiefe Bahn geraten lassen.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Forrest liebt Jenny. Das ist eine einfache Formel, die sich durch den Film zieht. Man mag sich darüber ärgern, weil Jenny ihm gegenüber doch so oft so abweisend ist. Doch was hat Forrest denn für Mädchen/Frauen in seinem Leben, von denen wir wüssten? Was wir wissen, ist das Jenny als Mädchen manchmal heimlich bei ihm übernachtete und ihn später als Studentin seine erste quasi-sexuelle Erfahrung hat machen lassen. Ihre langjährige Freundschaft hinzugenommen ist das mehr als genug, um seine hoffnungslose Liebe zu rechtfertigen. Danach landet Forrest in der Army, wo treudoofe Gefolgsamkeit das Leben leichter macht. Von Vietnam aus schreibt er Jenny unentwegt Briefe, ohne je eine Antwort zu bekommen.

Wen liebt Jenny? Die Männer, mit denen wir sie erleben, sind allesamt ziemlich ätzende Menschen. Als Zuschauer*in kommt man da schnell in die Versuchung, ihr zurufen zu wollen: Nimm Forrest, verdammt, entscheid dich für den herzensguten Gump!

Jennys Blickwinkel

Ich könnte mir vorstellen, dass Jenny als erwachsene Frau ihre Bedenken damit hätte, eine Liebesbeziehung mit einem Mann einzugehen, der im Geiste ein Kind ist und bleiben wird. Ein liebenswerter Junge, den emotional abhängig zu machen, ein Leichtes ist. Würde man es Jenny nicht als Missbrauch oder wenigstens Ausnutzen vorwerfen, wenn sie sich mit Forrest einlassen würde?

Als sie es später tut, folgt der Vorwurf des Ausnutzens auf dem Fuße – weil Forrest inzwischen reich und Jenny krank ist und es ja inzwischen das Kind gibt, das Jenny jahrelang vor Forrest geheim gehalten hat. Aber wieder aus Jennys Perspektive gedacht: Wird sie nicht, selbst nach Forrests wiederholter Liebeserklärung und ihrem ersten gemeinsamen Mal, gedacht haben: Wie solle das gehen?

»Das Miststück aus der Hölle«

Ob sie sich nun Sorgen über »die Leute« machte, die sich ihr Urteil über die Frau und ihren beschränkten Mann machen würden. Oder ob sie bei ihrem Verschwinden nach der Liebesnacht an Forrest gedacht hat, den sie nicht überfordern wollte, als Vater für ein Kind sorgen zu müssen, wo er doch selbst ein Kind ist. Oder ob Jenny eben durchweg nur an sich selbst gedacht hat und sich schlichtweg nicht abhängig machen wollte, auch nicht von ihrem nun millionenschweren, alten Schulfreund – wäre ihr das vorzuwerfen? Man steckt nicht in der Haut anderer Menschen, man kennt nicht deren ganzes Leben. In diesem Sinne, lasst Jenny in Ruhe.

Sophie Wing (One Room With A View) formuliert es am Ende einer lesenswerten Filmanalyse von Forrest Gump sehr treffend. Sie schreibt (übersetzt aus dem Englischen):

Die Dunkelheit wird uns nur angedeutet – Jennys sexueller Missbrauch als Kind, ihr Drogenkonsum, eine Reihe ausfälliger Freunde – aber obwohl das Publikum diese Dinge weiß, reflektiert der Film stets Forrests eigene Naivität. Sie liegt wie ein Schleier über dem Film. Obwohl das Wissen über die Dunkelheit da ist, lindert der optimistische Schleier all diese Fakten über Jenny und lassen sie weniger real erscheinen, als Jennys direkte und unmittelbare Interaktionen mit Forrest. Das Publikum adaptiert eine kindsgleiche Sichtweise von Schwarz und Weiß – Forrest ist gut, Jenny ist schlecht. Selbst diejenigen Zuschauer*innen, die eigentlich mit ihr sympathisieren würden, werden so hineingestrickst in die standfeste Meinung, dass Jenny ein Miststück aus der Hölle ist.

Fazit zu Forrest Gump

Viele interessante Figuren begleiten Forrest Gump durch den Film, von der Mutter und Bubba über Lt. Dan und eben Jenny. Wer Forrest Gump schon einige Male gesehen hat, mag es interessant finden, mal den Perspektivwechsel zu wagen. Wie erleben diese Randfiguren, gedanklich in den Mittelpunkt gestellt, den etwas einfältigen Forrest Gump als Mitmenschen, Wegbegleiter, Lebensabschnittspartner? Dadurch bekommt man ein Gefühl dafür, dass nicht nur die zeitgeschichtlichen Ereignisse im Laufe des Films von großer (historischer) Bedeutung sind, sondern auch die menschlichen Begegnungen, hinter denen jeweils ganzheitliche Individuen stehen. Eine kleine Filmübung, die man aufs eigene Leben übertragen kann, in dem man sich jeden Tag, jede Stunde selbst als Hauptfigur erlebt. Was ist mit den anderen Figuren, ringsum, welche Pralinen hat ihnen das Leben gegeben? Wie könnten sie schmecken? Süß, zartbitter oder mit einer harten Nuss in der Mitte?

Ein Film, den ich so oft gesehen habe und wiedersehen möchte, weil er mich mal in diese, mal jene Richtung zum Grübeln einlädt, ein solcher Film mag mir mal mehr, mal weniger gefallen. Aber es ist ohne Frage ein großartiger Film, der mehr als nur eine Geschichte erzählt, die man auf mehr als nur eine Art auslegen kann.


Weblink:
  • Sehr witzig: Lindy West (Jezebel) hat ihren Gedankenstrom zu dem Film Forrest Gump live während einer wiederholten Sichtung notiert. Das Ergebnis ist sehr amüsant!

Der Beitrag FORREST GUMP aus Jennys Perspektive | Film 1994 | Kritik, Review erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Mumblecore selbstbemacht – ein Kurzfilm-Schnittbericht http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstbemacht-schnittbericht/ http://www.blogvombleiben.de/mumblecore-selbstbemacht-schnittbericht/#respond Fri, 01 Jun 2018 07:18:01 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3657 Unser neuer Kurzfilm ist fertig, juchee! Das Ding trägt den Titel AMUREUS KISS und fügt der…

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Unser neuer Kurzfilm ist fertig, juchee! Das Ding trägt den Titel AMUREUS KISS und fügt der Geschichte von Alex und Zoey ein neues Kapitel hinzu. Die finale Schnittfassung des Films wurde am selben Tag fertig, an dem das Ergebnis dann auch prompt vor Publikum gezeigt wurde, bei der Kurzfilm_Nacht #1 im Bremer Presse-Club. Ein wunderbarer Abend unter Filmenthusiasten! Ab sofort ist AMUREUS KISS jetzt auf YouTube verfügbar (siehe Video weiter unten!) und wird für eine kleine Festivalauswertung aufbereitet. Alles weitere im Schnittbericht:

Amourös im Wirbelsturm

Vor dem Schnittbericht erst noch einmal aus dem Drehbericht vom 9. Mai kurz zusammengefasst. Also: Umgesetzt haben wir unseren Kurzfilm AMUREUS KISS in einem frisch bezogenen Aachener Apartment. In dem sollte noch ne Wand schwarz gestrichen werden. Das bauten wir kurzerhand in die Filmhandlung ein. Damit übernahm der Cast das Streichen (obwohl nach Drehschluss noch ein klitzekleines bisschen nachgestrichen werden musste, wie der fertige Kurzfilm erahnen lässt). Vor der Kamera standen neben Jesse Albert (als Alex) und Stephanie Jost (als Zoey) die Kölner Schauspieler Florian Gierlichs (Noah), Swantje Riechers (Fiona) und Juliana Wagner (Mia). Idee war, das junge, Frust schiebende Ehepaar Alex und Zoey mit ein paar Freunden zu konfrontieren. Diese fegen wie ein Wirbelsturm um sie herum und bringen neuen Schwung in festgefahrene Fronten!

Florian Gierlichs, Jesse Albert und Stephanie Jost im Kurzfilm AMUREUS KISS, Titelbild zum Schnittbericht

Noah (Florian Gierlichs) ist dabei mehr als nur ein alter Kumpel von Alex. Der hat sich ja schon im Kurzfilm TCHINA WURM (2015) als »schwul oder bi – auf jeden Fall verwirrt« geoutet. Tatsächlich kommt es aber nicht nur zwischen den beiden Jungs im Laufe des Abends (an dem mehr getrunken als gestrichen wird) zu amourösen Annäherungen. Sondern irgendwie zwischen allen. So ein bisschen.

Impro sprengt den Rahmen

Gedreht haben wir den lieben langen Tag, von morgens 9 Uhr bis spätabends. Mit anschließender Drehschluss-Party, bei der die halb vollendete Wand fertig gestrichen und alle Flaschen leer gemacht wurden. Man soll einen Drehort ja ordentlich verlassen…

Das erklärte Ziel lautete, an einem Tag einen Kurzfilm zu drehen. Bloß, dass ursprünglich ein Film von 9 Minuten Spieldauer geplant war. Weil die ersten beiden Teile dieser Quasi-Kurzfilm-Trilogie (Teil 1: TCHINA WURM, Teil 2 JAW CHILLI) eben je 9 Minuten dauerten und man ja noch seine Neurosen haben dürfen wird. Na, wie dem auch sei, Pustekuchen! Das Konzept »Improvisation« hat etwaige Planungen gesprengt und aus 9 Minuten wurden rund 20 Minuten, die aus diesen 24 Stunden inklusive Aftermath, Pennen und Aufräumen hervorgehen. Wobei nur zwei Bilder im Film – gegen Ende – erst am nächsten Morgen entstanden sind: Die durchs Fenster blinzelnde Sonne und die fertig gestrichene Wand…

Kaum daheim am Schnittplatz, wollte ich mich direkt ans Sichten des Materials machen. Das gestaltete sich aufgrund der Menge an Material als knifflig. Nicht nur, dass wir am Drehtag wirklich fleißig waren und etliches Improzeugs ausprobiert haben. Gedreht wurde außerdem in 4K, einer sehr hohen Bildauflösung. Einfach nur, weil die Kamera es kann. Dabei entstehen immense Datenmengen (allein für AMUREUS KISS kam über 1 Terabyte an Rohmaterial zusammen). Dafür hat man hochwertigeres Footage, aus dem in der Nachbearbeitung mehr herauszuholen ist. Und seien es nur schöne Standbilder wie diese hier:

Impression aus AMUREUS KISS

Florian Gierlichs, Jesse Albert und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Schauspielerin Stephanie Jost ist grandios darin, verschiedene Stimmungen in einer Rolle zu balancieren. Hier im Zwiegespräch mit dem facettenreichen Jesse Albert.
Die Schauspielerinnen Juliana Wagner und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Hat der Rolle der kratzbürstigen Mia doch liebenswerte Facetten abgewonnen: AMUREUS KISS war meine erste Zusammenarbeit mit Juliana Wagner, beeindruckende Schauspielerin und Hundebänderin! Nicht im Bild weil unterm Tisch: Ronald.
Florian Gierlichs und Jesse Albert auf dem Balkon, Standbild aus dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Zwei Improvisationstalente unter sich: Zwischen Florian Gierlichs und Jesse Albert stimmte die Chemie so sehr, dass deren »Beziehungskiste« im Film viel mehr Raum bekommen hat, als ursprünglich geplant.
Die Schauspielerinnen Swantje Riechers und Stephanie Jost in dem Kurzfilm AMUREUS KISS
Die Figur Fiona war auf dem Papier noch eher als guter Hausgeist zwischen den Streithähnen, eher unscheinbar. Schauspielerin Swantje Riechers hat die Rolle nicht nur mit Leben gefüllt – sondern mit ihrem ausdrucksstarken Spiel ordentlich Schwung reingebracht! Was für ne Freude, dabei zuzusehen!

Weitere Standbilder in Original-Auflösung gibt es hier zu sehen.

Wunderhübsch, charismatisch, witzig

Sind das nicht ein paar wunderhübsche Menschen, die wir da vor der Kamera versammelt haben? Und charismatisch und witzig und hach, ein Haufen zum Verlieben. JEDENFALLS: 4K heißt vier Mal so groß wie HD heißt jede Menge Gigabyte heißt Speicherplatznot. Ich möchte in diesem Schnittbericht nicht zu sehr auf langweilige technische Details eingehen. Verkürzt gesagt dauerte es nach Drehschluss noch eine Woche, ehe ich meinen heimischen Arbeitsplatz soweit aufgerüstet hatte, dass ich das Material doppelt sichern und endlich sichten konnte. Ach, darum hätte man sich ja auch vor dem Dreh mal kümmern können, meinst du!?

Kommen wir zum eigentlichen Schnittbericht… nach dem technisch kniffligen Part kam die künstlerische Herausforderung: Wie schneidet man einen Improfilm? Zunächst ist es ja kein reiner Improvisationsfilm wie der Mumblecore-Klassiker Hannah Takes the Stairs mit Greta Gerwig (2007). Einige Szenen und Übergänge basierten auf einem geskripteten Dialog, der zumindest als dramaturgische Richtschnur dienen sollte. Wie sehr sich daran gehalten wurde, mag bei Interesse jede*r für sich selbst nachlesen, hier gibt’s das Drehbuch zu AMUREUS KISS als PDF. Nun glichen unsere Dreharbeiten auch nicht denen des deutschen Mumblecore-Films Papa Gold von Tom Lass (2011), bei dem angeblich kein Take wiederholt wurde. Bei der Vorstellung schaudert’s mir regelrecht. Ich gehöre zu den Filmemachern, die lieber ein paar Takes zu viel von einer Szene machen. Man mag argumentieren, damit verbraucht sich die Frische des Spiels oder Authentizität oder sonstwas. Spätestens am Schnittplatz bin ich froh, ein wenig Auswahl zu haben.

Auf die Rundheit kommt’s an – was ist die Rundheit?

Kurzum: Ich hatte eine Handvoll Szenen vor mir, die wir allesamt mehrmals aus verschiedenen Einstellungen gedreht haben, zum Teil lose auf einem Drehbuch basierend, zum größeren Teil frei improvisiert, zuweilen von Take zu Take unterschiedlich. Mir persönlich hat diese variationsreiche und freie Arbeitsweise sehr gefallen. Die Szenen sind in sich weniger rund, da ihre Anfänge und Enden weniger streng durchkomponiert sind. Stattdessen fühlen sie sich alltäglicher und damit echter an. Alltäglich heißt jedoch auch banal, daher kam es am Ende auf Auswahl und Blickwinkel an.

Wie soll von diesem Abend unter Freunden erzählt werden, damit sich daraus eine Geschichte ergibt, die trotz offener Szenen eine runde Sache ist?

Filmposter zum Kurzfilm AMUREUS KISS

Denn »rund« ist wichtig, denke ich. Diesen Anspruch stelle ich an einen Storyteller, dem ich meine Aufmerksamkeit schenke. Nach der Geschichte soll sich das Gefühl einstellen, ein dramaturgisch durchdachtes Werk oder (in Serien gedacht) Kapitel gesehen zu haben. Das hat nichts damit zu tun, ob der Ausgang eines Handlungsstrangs offen bleibt oder alle Fragen beantwortet werden. Letztlich ist keine Geschichte jemals zu Ende erzählt. Aber eben deshalb könnte ich eben so gut einfach aus dem Fenster sehen, das Leben betrachten, den zig Geschichten um mich herum folgen, die sich ständig und gleichzeitig abspielen, daran die schönen Momente entdecken.

Auf die Momente verdichtet

Warum einen Film sehen? Weil ein Film, sofern gelungen, eben »rund« ist. Heißt: das Leben und seine Geschichtenvielfalt verdichtet und einen Fokus gelegt auf die schönen oder bemerkenswerten Momente. Na, man kann viel darüber reden und hat am Ende doch nichts gesagt. Die lieben Leser*innen mögen selbst entscheiden, ob es im Fall von AMUREUS KISS geklappt hat, diesem eigenen Anspruch gerecht zu werden.

Der fertige Film ist nun auf YouTube zu sehen. Wenn er gefällt, würdest du mir einen großen Gefallen damit tun, meinen YouTube-Kanal weiterzuempfehlen und bestenfalls selbst zu abonnieren  (ein kleiner Klick für dich, ein großer Schritt auf meinem Weg in den »Selbständig von Webcontent leben können«-Modus – und ein fettes DANKE vorweg!). Hier ist er, unser Kurzfilm AMUREUS KISS:

Die Musik in AMUREUS KISS

Kein Schnittbericht ohne ein Wort zur Audiospur! Als Fan der isländischen Band Sigur Rós bin ich vor rund 10 Jahren auf ein inoffizielles Musikvideo zu dem Song Inní mér syngur vitleysingur aufmerksam geworden. Es zeigt einfach nur zwei Frauen und einen Mann im Auto, wie sie auf das Lied abgehen. Sehr sympathisch, macht gute Laune. Es hat mich auf weitere Videos des Mannes aufmerksam gemacht, der darin die Kamera »führte« (wenn man das bei dem spontanen Beifahrer-Dreh so sagen kann). Sein Name ist Pavel Ruminov, ein russischer Regisseur, der neben solch rauen Musikvideos in Homevideo-Ästhetik auch wundervolle, preisgekrönte Spielfilme dreht.

Außerdem ist der Tausendsassa als Musikproduzent unterwegs. Er arbeitet unter anderem mit der russischen Band Sherlock Blonde zusammen. Deren großartig stimmungsvoller Sound floss bereits in die Kurzfilme TCHINA WURM und JAW CHILLI mit ein. Für AMUREUS KISS habe ich nun einmal mehr auf das kongeniale Duo Pavel Ruminov und Natalya Anisimova (die Frontsängerin von Sherlock Blonde und Schauspielerin in Pavel Ruminovs Filmen) zurückgegriffen und drei Songs verwendet, die sie unter dem Bandnamen To Live And Die In Moscow herausgebracht haben. Seit fünf Jahren stehe ich mit Pavel im Mailkontakt, bin begeistert von seinem Antrieb und Schaffen und sage DANKE!, dass wir diese tolle Musik verwenden dürfen.

Algiedi von Konstantin Reinfeld

Doch AMUREUS KISS lebt nicht nur von den drei russischen Songs, sondern auch einem besonderen Score. Die instrumentale Untermalung diverser Szenen stammt von dem Musiker Konstantin Reinfeld. Diesen lernte Hauptdarsteller und Moderator Jesse Albert beim SpokenWordClub in Köln kennen und brachte seine Musik ins Gespräch. Als Mundharmonikaspieler und Komponist hat Konstantin Reinfeld 2015 das Album Algiedi herausgebracht, aus dem ich schließlich eine herrlich abwechslungsreiche Auswahl an Songs für AMUREUS KISS verwenden durfte. Auch dafür vielen Dank! Hier geht es zur offiziellen Website von Konstantin Reinfeld.

Schnittbericht-Fazit: Mumblecore, ja oder nein?

Ist AMUREUS KISS nun ein Mumblecore-Film geworden, wie ursprünglich geplant? Ehrlich gesagt, fürchte ich, nicht ganz. Dafür tragen Inszenierung, Tempo und Musikeinsatz zu sehr die aufdringliche Handschrift, die sich schon in TCHINA WURM und JAW CHILLI abgezeichnet hat. Der Kurzfilm erfüllt einige Mumblecore-Elemente, ist jedoch nicht rein genug, um als echter Mumblecore zu gelten. Dazu hätte es mehr Mut bedurft, das Tempo weiter herausnehmen und die Zügel in Sachen Dramaturgie noch mehr aus der Hand zu geben. Schnittbericht Ende.

In jedem Fall aber war es ein spannendes Projekt! Danke an alle Beteiligten, es war mir eine Freude und Ehre, mit euch zusammenzuarbeiten! Oder mit den Worten Sherlocks:

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