Wesen – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de Kinderbücher, Kinofilme und mehr! Thu, 04 Oct 2018 10:18:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.8 https://i1.wp.com/www.blogvombleiben.de/wp-content/uploads/2017/03/Website-Icon-dark.png?fit=32%2C32 Wesen – Blog vom Bleiben http://www.blogvombleiben.de 32 32 138411988 MOND – EINE REISE DURCH DIE NACHT | Kinderbuch 2018 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-mond-eine-reise-durch-die-nacht-2018/ http://www.blogvombleiben.de/buch-mond-eine-reise-durch-die-nacht-2018/#respond Sun, 01 Jul 2018 06:16:24 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4120 Nachts ist die Welt anders. Schatten werden zu Tieren, Träume vernebeln die Sinne und draußen, ja,…

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Nachts ist die Welt anders. Schatten werden zu Tieren, Träume vernebeln die Sinne und draußen, ja, was geschieht dort eigentlich in den Wäldern und Wüsten im Mondschein? In ihrem neuen Bilderbuch Mond – Eine Reise durch die Nacht nimmt Britta Teckentrup Groß und Klein mit auf (der Titel verrät es) eine Reise durch die Nacht.

Die Welt unterm Mond

Länger wach bleiben, bis die Welt in Dunkelheit getaucht ist. Wo das Leben plötzlich geheimnisvoll wird. Das ist für jedes Kind aufregend. Werden die Spielzeuge wie in Toy Story lebendig? Kommt uns Peter Pan abholen? Oder das Monster? Was nachts passiert, gehört für Kinder genauso zur Faszination wie die Unterwasserwelt. Kein Wunder, dass der Kinderbuchmarkt unzählige Titel rund um die zwielichtige Tageszeit bereithält. Britta Teckentrup reiht sich mit ein und erzählt, wo der Mond die Erde in sein Licht tunkt und welche Wesen keine Schäfchen zählen möchten.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Mond – Eine Reise durch die Nacht von Britta Teckentrup

Zum Inhalt: »Hast du je darüber nachgedacht, warum der Mond scheint in der Nacht?«, fragt die Erzähler*innenstimme und zeigt in poetischer Sprache und zauberhaften Bildern, wo und welchen Tieren der Mond seinen Schimmer schenkt. Die Reise durch die Nacht beginnt im Wald, dem Trendmotiv von 2017 und der Kindheitserinnerung der Autorin, die sich heute als Stadtkind bezeichnet.

Ich bin schon inspiriert von der Natur, aber mich zieht es nicht aufs Land. Vielleicht ist es so eine Sehnsucht von früher, da habe ich gegenüber von einem Wald gelebt. Es hat viel mit meiner Kindheit zu tun. | Britta Teckentrup im Gespräch mit Ute Wegmann (Deutschlandfunk)

Im Wald schillern uns Rentiere, Eulen und neugierige Füchse entgegen, die unter dem Mond zwischen Bäumen umherstreifen. Wir begleiten den Mond weiter auf seiner Reise um den Planeten und begegnen Skorpionen in der Wüste, Papageientauchern auf Eisschollen und etlichen Erdbewohnern, die zur späten Stunde an einem fernen Ort zum Leben erwachen. Müde vom ganzen Schauen und Staunen wird das Kind mit Mond – Eine Reise durch die Nacht zum Schluss in den Schlaf geleitet.

Zur Wirkung des Buchs

Wie bereits in ihrem letzten Bilderbuch Zusammen unter einem Himmel (2017) betreibt Teckentrup auch in Mond – Eine Reise durch die Nacht kein klassisches Storytelling. Anstelle einer Hauptfigur gibt es ein Hauptsymbol, das gleichzeitig den roten Faden spinnt. Dieses Mal ist es nicht der Himmel, sondern der Mond, ein häufiger Gast in Teckentrups Bilderbüchern. Jedoch ist der Mond als hübsche Perforation eher passiv, da er das Geschehen unter ihm lediglich beobachtet und beleuchtet. Seine Reise vollzieht sich zwar auf chronologische Weise. Beginnend mit der Mondsichel, die immer mehr an Volumen gewinnt, zum Vollmond aufblüht, im Neumond abkühlt und schließlich seine Bahnen als abnehmender Mond dreht.

Wo soll es eigentlich hingehen?

Was man in der Geschichte vermisst, ist eine konkrete Handlung, ein dramaturgischer Anker für die Kinder, der ihnen zeigt, wo das Ziel dieser Reise und der Geschichte liegt. Die Anfangsfrage an das Kind, warum der Mond in der Nacht scheint, bietet eine interaktive und vielversprechende Einleitung. Hier geht es um den Mond, warum und wie er scheint, oder? Nö. Zumindest erhalten die Leser keine Antwort auf das Warum, aber dafür auf das Wer. So schließt die Erzählung ab mit: »Jetzt weißt du, wer die ganze Welt nachts mit seinem Licht erhellt.«

Ohne eine fassbare Hauptfigur, mit der sich Kinder identifizieren können, und ohne den Bezug zum Lebensraum, könnte die emotionale Anteilnahme des Kindes an der Story zudem geringer ausfallen, als bei typischen Kinderbüchern. Was das Kind aber bei der Lesemotivation hält, ist das Spielerische, allen voran der perforierte, sich allmählich ändernde Mond.

Man nehme die Geheimzutat

Die wichtigste Zutat von Mond – Eine Reise durch die Nacht ist allerdings das Geheimnisvolle, ein bewährtes Motiv der Kinderliteratur. Dieses greift die Illustratorin auf und formt daraus einen Stoff, der zum Mitreimen und Träumen einlädt und die Kinder sanft auf die Nacht einstimmt. Mit starken Panoramabildern, entstanden durch die für Teckentrup typische Mischtechnik aus Collage und strukturiertem Papier, erschafft sie einen wahren Augenschmaus. Als Leser*in ist man aufgefordert, etwas aufmerksamer zu sein, da sich das Geschehen nicht in knalligen Farben wie bei Mies van Houts Überraschung!, sondern in dezenten, deckenden und nächtlichen Farben präsentiert. Das spiegelt sich auch im Text von Mond – Reise durch die Nacht nieder. Als Gutenachtgeschichte eine einwandfreie Empfehlung für kleine und zarte Kinder.

Fazit zu Mond – Eine Reise durch die Nacht

Mit Mond – Eine Reise durch die Nacht ist der renommierten Illustratorin Britta Teckentrup wieder einmal ein künstlerisches Bilderbuch gelungen, das sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ein visuelles Highlight auf dem deutschen Kinderbuchmarkt ist. Ihre Illustrationen verleihen dem gereimten Text eine magische Lebendigkeit und regen die kindliche Fantasie an. Was geschieht denn nachts in Höhlen oder in den Bergen? Ein Bilderbuch, das Raum für eigene Ideen lässt und sich zum gemeinsamen Lesen mit Eltern und Pädagogen eignet. Ich vergebe 8,5 Sterne.


 

Titel Mond  eine Reise durch die Nacht
Originaltitel Moon  Night Time around the World
Erscheinungsjahr 2018
Autor/Illustrator Britta Teckentrup (Autorin, Illustratorin)
Verlag arsEdition GmbH
Seiten 32 Seiten
Altersempfehlung Ab 4 Jahre
Thema Nacht

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31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim | Rückblick, Tag 2 http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-2/ http://www.blogvombleiben.de/bundesfestivalfilm-2018-tag-2/#respond Wed, 27 Jun 2018 07:30:42 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4018 Der zweite Tag des 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim war mit 20 Filmbeiträgen ein langer, eindrucksvoller, abwechslungsreicher Tag.…

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Der zweite Tag des 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim war mit 20 Filmbeiträgen ein langer, eindrucksvoller, abwechslungsreicher Tag. Was bleibt davon hängen, welche Werke haben wir gesehen? Nachfolgend ein kleiner Rückblick zum Programm am vergangenen Samstag, 23. Juni, das um 9:30 Uhr mit einer Zeitreise begann. Es ging zurück in die Vergangenheit und das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte – vielbesprochen in Film und Literatur, und doch selten aus einer derart jungen Perspektive.

Vielfalt beim 31. Bundes.Festival.Film.

Alice im Wunderland, inszeniert von Tanja Hurrle, aus dem Bilderreigen des 31. Bundes.Festival.Film.

Filmblock 4: Reisen in die Vergangenheit – und zum Mond

Braunhemd – die Begegnung | In diesem Film begegnen 3 Kinder aus dem Dritten Reich durch eine magische Tür in der Jugendherberge Sachsenhausen einigen Schüler*innen (12-13 Jahre alt) der Gegenwart, die sich dort mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen sollen. Eine Zeitreise mit Folgen, lernen doch alle Beteiligten intensiver denn je über die entsetzlichen Taten der 1930/40er Jahre und die gesellschaftlichen Dynamiken, die sie hervorbrachten. Gleichzeitig hält der Film einen Finger in die Wunden unserer Zeit, in der Smartphones die Kommunikation verstümmeln und Cybermobbing Tür und Tor öffnen. | 57.47 Minuten, von Gerd Manzke (58) aus Linden, Schleswig-Holstein. Der Focus widmete dem beeindruckenden Projekt einen ausführlichen Artikel.

[Ksjucha] | Wieder geht’s um Vergangenheitsbewältigung, doch dieses Mal in einem viel kleineren Rahmen: Eine junge Frau namens Ksenia (vom Griechischen Xenia – die Fremde) reist mit dem Zug nach Omsk, um gegen den Willen ihrer Mutter ihren Vater in dessen Heimat näher kennenzulernen. Begleitet wird sie dabei von einer Freundin, die diese Begegnung mit der Kamera dokumentiert. Ein intimer, kleiner, schöner Film. Ein wenig entzaubert wurde [Ksjucha], als die Filmemacher*innen beim Bühnengespräch im Anschluss offenlegten, dass die Montage (der Schnitt und die Ausschnitte) nicht ganz die tatsächlichen Familien- und Reiseumstände wiedergeben. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb sehenswert: Ein Film von der Kunst des suggestiven Erzählens. | 6.02 Minuten, von Eva Hoffmann (25, @iwyiwi) aus Berlin.

Kindlich kreatives Schaffen

Ab zum Mond | Der jüngste Regisseur des Festivals hat die Kamera seines Vaters mal auf seine Geschwister gehalten. Es geht darum, wie sein kleiner Bruder seine noch kleinere Schwester zum Mond schießen will. Ein charmantes Projekt, sowohl die Mond-Aktion als auch der Film selbst. | 2.54 Minuten, von Gaetano Romagnoli (8) aus Köln, Nordrhein-Westfalen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Der Name Romagnoli hat mich schon in der Jurysitzung im März hellhörig werden lassen. Aus Köln, auch das noch! Da ist doch Marco Romagnoli aktiv, der berüchtigte Filmemacher mit dem markanten Schnitt und Look und Sound, Musikvideos für die deutsche Rap-Szene, Kurzfilmfutter für Festivals, fleißiger Mann (siehe: sein Vimeo-Profil). Tatsächlich ist Gaetano sein ältester Sohnemann, der sich wohl anschickt, in Papas kreative Fußstapfen zu treten. In der Jurysitzung für den Deutschen Jugendfilmpreis haben wir immer mal wieder darüber diskutiert, wie groß bei etwaigen Projekt von besonders jungen Einreicher*innen der Einfluss von Erwachsenen gewesen sein mochte. So auch bei Ab zum Mond, der gerade im gekonnten Musikeinsatz zumindest den Einfluss des väterlichen Mentors vermuten lässt.

Doch wie soll ein achtjähriger Junge zum Filmschaffen kommen, wenn ihm gar niemand aushilft? Film ist Teamwork, ist doch klar. Wenn ein Kind Musik macht, stören wir uns auch nicht daran, dass es sich das Instrument von Erwachsenen beibringen lässt und fremde Noten spielt. Wenn es später mal ganz Eigenes komponiert, wunderbar, aber das Handwerk will erstmal gelernt sein. Und so ist es auch beim Film von Kindern und Jugendlichen: Manchmal ist es für die Jury ein schmaler Grat, zu entscheiden, ab wann der Fremdeinfluss zu groß ist und die kreative Leistung dominiert. Bei Ab zum Mond von Gaetano Romagnoli kamen wir zu dem Schluss, dass der Junge die Zügel zur Genüge selbst in der Hand hatte. Der Film ist visuell, thematisch und sprachlich aus Kinderperspektive erzählt.

Filmblock 5: DDR-Verhöre und andere Alpträume

Und alles wird wie früher… | In Sachen Kadrage und Farben spricht dieser schöne, subtile Film schon eine richtig cineastische Sprache. Es geht um ein Mädchen (gespielt von Kristin Braun), das nach langer Zeit ein Freundin aus Kindheitstagen wieder trifft. Und es ist eben nicht, »alles wie früher« … der Film hat den Nachwuchspreis beim Christian-Tasche-Filmpreis gewonnen und ist hier in voller Länge zu sehen. Für mein Gefühl hätte der Film (konkreter: die Tanzszenen) deutlich kürzer geschnitten werden können, ohne etwas von der intensiven Gesamtwirkung einzubüßen, doch Bildsprache und Erzählweise des jungen Regisseurs lassen ein Faible für Langfilme vermuten – da macht es absolut Sinn, sich im gemächlichen Erzählen zu üben. Ich bin gespannt, mehr zu sehen! | 15 Minuten, von Victor Gütay (17) aus Gifhorn, Niedersachsen.

Der Törtchendieb | Eine rasante Verfolgungsjagd von Knetfiguren durch eine liebevolle Pappstadtkulisse. Dieser Film stach allein ob seines Produktionsaufwandes und Charme des Handgemachten aus dem bunten Kurzfilm-Reigen am Wochenende des Bundes.Festival.Film. hervor. Eine großartige Geschwisterleistung, von der amüsanten Stop-Motion-Animation bis hin zur gekonnten Dramaturgie. | 2.42 Minuten, von Ferdinand Maurer und seiner Schwester Fanny (13-14) aus Frankfurt am Main, Hessen.

Nicht ohne Stacheln

Spiel-Film | Ein Computerspiel in der Entwicklungsphase – mit Menschen, die ins Spiel reingesogen werden, und Monstern, die aus dem Spiel herausklettern. Was für ein Spaß! Bei der kleinen Referenz an Pulp Fiction (der goldene Schein aus dem geöffneten Koffer) frage ich mich, ob man da wirklich erwachsenen Einfluss vermuten muss, oder diese Referenz so sehr in unsere Popkultur übergegangen ist, dass die Kinder sie selbst einbringen. Denn sie wissen nicht, was sie tun… | 6.30 Minuten, von den Kindern der Trickfilm-AG aus Bochum, Nordrhein-Westfalen.

OSTKAKTUS | Eine Punkband redet über das Wesen des Punk. Erst werden die jungen Musiker*innen interviewt, dann verhört – alles in der detailverliebt heraufbeschworenen DDR. Der Film gipfelt in einem Konzert, das in geschickter Parallelmontage zum Geschehen am Grenzübergang Gänsehaut hervorruft. Für mich einer der besten Beiträge zum 31. Bundes.Festival.Film.; bin immer noch schwer beeindruckt davon, dass die Filmemacher*innen sogar den Song fürs Finale selbst geschrieben und so großartig »geil scheiße« in Szene gesetzt haben: »Ohne Stacheln woll’n sie ihn, doch der Kaktus mag das nicht!«. Inspiriert wurde der Film von Gilbert Furians Buch Auch im Osten trägt man Westen. | 16.01 Minuten, von Johanna Ziemer, David Vagt (21, 19) aus Potsdam, Brandenburg. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Trends unter den jungen Kreativen

Handprints | Als hoffnungslos verlorener Rezipient im Angesicht von abstrakter Kunst, hatte ich es auch bei diesem Experimentalfilm schwer. In krassen, gesättigten, flackernden Bildern beschwört Handprints eine alptraumhafte Atmosphäre herauf, die an David Lynch denken lässt. Bloß, dass es sich bei dem Kopf dahinter um einen erst 15 Jahre alten, kreativen Filmemacher handelt. Dieser Umstand, dass ein so junger Typ ein so vielschichtiges, undurchsichtiges Werk hervorbringt, hat mich am meisten fasziniert. Den Film konnte ich in seinen Bedeutungsschichten leider nicht entzwiebeln. | 6.05 Minuten, von Janis Kraffzik (15) aus Tostedt, Niedersachsen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Insgesamt gab es beim 31. Bundes.Festival.Film. nur wenige solcher außergewöhnlicher Experimentalfilme – und auch Dokumentarfilme waren vergleichsweise rar gesät. Als einen Trend nahmen wir seitens der Jury des Deutschen Jugendfilmpreises vielmehr das fiktionale Erzählen wahr, das sich dramaturgisch und visuell oft an den großen Vorbildern orientierte. Gekonnte Nachahmung der Technik und Soft Skills etablierter Kino-Größen wie David Fincher oder Xavier Dolan, weniger der Bruch mit Konventionen des Erzählens. Doch Ausnahmen gibt es immer wieder, und Handprints würde ich dazu zählen. Spannender Beitrag!

Filmblock 6: Ninja Babykilling Pilzkonzert

Immer Beste Freunde | Eine liebevolle Collage von besten Freund*innen (9-12 Jahre alt), die einander ihre Freundschaft erklären. Dabei kommen Dialoge zustande, die mit zu den witzigsten den Bundes.Festival.Film. zählen. Bezaubernder, kleiner Film! | 14.46 Minuten, vom Filmclub Gera-Pforten e.V. / Stefan Gabel (58) aus Gera, Thüringen. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Advents-Überraschung | Ein Stop-Motion-Film von drei Jungs, die eine Kriminalgeschichte rund um den Weihnachtsmann erzählen. Mit ideenreichen Bildern und unterhaltsamen Wendungen. | 3.12 Minuten, von Eric Hendrich, Anton und Julius Kleinhanß (7-8) aus Alsheim, Rheinland-Pfalz. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Reni | Das Porträt einer Frau, die mit einer durch das Schlafmittel Contergan verursachten Behinderung ihr Leben bestreitet. Als Künstlerin und Schauspielerin weiß sie dabei ein ums andere Mal, das Publikum dieses interessanten Dokumentarfilms zu überraschen. | 18.10 Minuten, von Josef Pettinger (70) aus Göppingen, Baden-Württemberg. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Schwerks neues Werk

Ninja Motherfucking Destruction | Hinter dem Titel hab ich erstmal ein Trash-Fest vermutet. Stattdessen: Ausschnitte aus dem Leben dreier Freundinnen, unaufgeregt arrangiert, lebensnah inszeniert, ein Film wie eine Kapsel. Konserviert werden darin kleine Momente, Gesten, Blicke zwischen den Protagonistinnen, über deren Gedanken und Beziehungen zueinander wir nur rätseln dürfen. | 11.22 Minuten, von Lotta Schwerk (20, auch: Was wir wissen, Okay.) aus Berlin. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Aye, Aye! | Eine komische Bohne gerät in hohen Regalschluchten plötzlich in Seenot. Eine Animation als Verbildlichung dessen, wie es im Kopf eines an Demenz erkrankten, pensionierten Seemannes zugeht. Ein berührender Film! | 4.57 Minuten, von Aruna Gallas, Julia Maier, Majda Sehovic (21) aus Ravensburg, Baden-Württemberg. Weitere Infos + Filmausschnitt.

punktpunktkommastrich | In mancherlei Hinsicht der heftigste Beitrag zum 31. Bundes.Festival.Film.: Die schwangere Tilda soll sich im Rahmen eines Schulprojektes um einen Babysimulator kümmern. Dieser Film hat wie kein Anderer ob kontroverser und interessanter Einzelszenen und Bilder zu Diskussionen in der Jury geführt. Die Filmemacherinnen arbeiten bereits an ihrem nächsten Projekt. Man darf auf deren weiteres Schaffen gespannt sein. | 14.52 Minuten, von Georgia Bauer und Rahel Jung (18-19) aus Stuttgart, Baden-Württemberg. Hier geht es zum YouTube-Kanal der beiden, auf denen auch punktpunktkommastrich in voller Länge zu sehen ist.

Waldstück | Zwischendurch mal eine kleine musikalische Einlage, zum Besten gegeben von einem witzig animierten Pilz-Orchester, das Vater und Tochter bei Waldspaziergängen in Bildern eingefangen und am Computer zum Leben erweckt haben. | 2.06 Minuten, von Stella Raith (21) aus Ditzingen, Baden-Württemberg. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Filmblock 7: Alice und die Logik der Steine

Die Schatten auf meinem Gesicht | Ein Mann erzählt offen von seinen Depressionen. Ein junge Frau findet dazu bedrückend schöne, schlichte Bilder. Dieser kurze Dokumentarfilm gehörte zu den relevantesten Beiträgen, insbesondere durch das Gespräch der Beteiligten im Anschluss an die Filmvorführung beim Bundes.Festival.Film. Eine lobenswerter Umgang mit einem Tabuthema, ein Film, der als Türöffner dienen kann. | 4.32 Minuten, von Ann-Kathrin Jahn (22) aus Winnenden, Baden-Württemberg. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Wunderland | Im blauen Wald erwacht ein gelb gekleidetes Mädchen. Um sie herum: verwirrende, exzentrische Figuren, die eine auf den Kopf gestellte Sprache sprechen. Was ist da los? Eine hintersinnige Hommage an jene Alice von Lewis Carroll. | 11.55 Minuten, von Tanja Hurrle (19, auf Vimeo aktiv) aus Dieburg, Hessen. Die Filmemacherin stand auch stellvertretend für Joschua Keßler (Detailverliebt) auf der Bühne und hat die Gesprächsrunden nach den Filmen um zahlreiche Fragen bereichert. Eine aufgeweckte Kreative, die uns sicher noch weitere spannende Projekt bescheren wird.

CHRIST/EL | Alte Super8-Aufnahmen, arrangiert zu einem Familienporträt. Ein Sohn erzählt in einiger zeitlicher und scheinbar auch persönlicher Distanz von seiner Heimat, seinen Eltern, seiner Jugendzeit. Doch immer wieder wartet er mit intimen Einsichten und Momenten auf – ein bemerkenswertes Werk! | 8.58 Minuten, von Andreas Grützner (54) aus Hamburg. Hier geht’s zu seiner Website.

Von Haussteinen und Kondom-Konflikten

Der Zombiehausstein | DAAA HABEN WIR DAS TRASH-FEST! Auf die Idee muss man erstmal kommen. Ein Stein wird als Hausstein in die Familie aufgenommen, bis er stirbt und beerdigt wird (so richtig mit Grabstein, wie es sich gehört). Eines Nachts aber erwacht er wieder, der blutrünstige Stein, und geht auf Menschenjagd. Das ganze Ding ist in Rückblenden erzählt, aus einer schwarzweißen, bierernsten Polizei-Verhör-Rahmenhandlung heraus. Großartig: Im Anschluss stellte doch tatsächlich ein Zuschauer die Logik des Films in Frage. Müsse ein Zombiestein nicht eher Jagd auf andere Steine machen, statt auf Menschen? Ja, stimmt. Ansonsten ist Der Zombiehausstein in Sachen Logik aber wasserdicht. Ein weiteres irrationales Verhalten seitens des domestizierten Steines. | 5.27 Minuten, von Fynn Boitin, Sophia Heldt und Leon Schlemminger (15) aus Düsseldorf, Wismar, Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Infos + Filmausschnitt.

Sardinien | Ein junges Paar verbringt ein paar letzte gemeinsame Stunden, bevor er Richtung Sardinien abdüst. Hätte ein ach so entspannter Abend werden können, wenn da nicht die Kondome im Kulturbeutel wären. Grandios inszenierte Komödie, auf den Punkt gespielt von Marie Mayer und Konstantin Gerlach. Was haben wir gelacht, bei der Jurysitzung im März und jetzt im Thega Filmpalast, beim Bundes.Festival.Film. Dieser Streifen ist für ein großes Publikum gemacht. Obwohl ein gekonnt in sich geschlossener, schöner, kleiner Film, hätte Sardinien auch getrost als Szene einem Kinofilm entnommen sein können. So professionell ist der Film gemacht, so ausgearbeitet kommen die Figuren daher. Mehr davon! | 10 Minuten, von Alexander Conrads (25) aus Bad Vilbel, Hessen.

Hier geht’s zu einem Rückblick zu Tag 1 des 31. Bundes.Festival.Film. in Hildesheim.

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JURASSIC WORLD: Das gefallene Königreich | Film 2018 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-jurassic-world-das-gefallene-koenigreich-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-jurassic-world-das-gefallene-koenigreich-2018/#respond Mon, 25 Jun 2018 05:00:58 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3947 Film-Franchises gibt es ja ungefähr seit den Dinosauriern. Oder zumindest den Riesenaffen. Mit King Kong und…

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Film-Franchises gibt es ja ungefähr seit den Dinosauriern. Oder zumindest den Riesenaffen. Mit King Kong und die weiße Frau wurde bereits 1933 der erste Film einer Reihe geschaffen, die just im vergangenen Jahr ihre x-te Fortsetzung fand. Darin tauchten auch immer mal wieder Dinosaurier auf, seit Jurassic Park III (2001) ein schwacher Trost für alle Liebhaber der ledrigen Riesenviecher. Oder waren sie gefiedert? Na, so wissenschaftlich genau muss ein Dino-Kino-Franchise nicht sein – Hauptsache, es lässt’s krachen! Und so freuen wir uns gigantisch über Jurassic World: Das gefallene Königreich, den zweiten Teil der neuen Trilogie, mit der die Urviecher 2015 endlich wieder aus der Versenkung geholt wurden.

Mit Raptoren auf Spatzen schießen

 

Die Schauspieler Ted Levine und Daniella Pineda, Standbilder aus Jurassic World: Das gefallene Königreich | Bild: Universal Pictures

 

Totale: Jurassic World: Das gefallene Königreich im Zusammenhang

Cineastischer Zusammenhang

Nach den ersten 3 Filmen – Jurassic Park (1993), Vergessene Welt: Jurassic Park (1997) und Jurassic Park III (2001) – wurde es lange still um die Dino-Filmreihe. Ganze 7 Godzilla-Filme erblickten seit 2001 weltweit das Licht der Kinosäle (oder landeten direkt im DVD-Regal). Auch ansonsten wurden die ehrwürdigen Urtiere eher für schändliche filmische Zwecke wiedererweckt. Als da wären: Dinocroc vs. Supergator (2010) oder Age of Dinosaurs – Terror in L.A. (2013, von Joseph J. Lawson, auch bekannt für Nazi Sky – Rückkehr des Bösen!).

Nun hätte, ehrlich gesagt, ein Jurassic Park 4 (wie er lange im Gespräch war) nicht weniger trashig geklungen. Die Zahl 4 ist schlichtweg nicht sexy. Welche Filmreihe liebt man denn bitte für ihren Teil 4? Die 3 trifft bei uns Menschen einen Nerv, vom flotten Dreier bis zu allen (anderen) sprichwörtlich guten Dingen. Aber die 4 suggeriert den Abstieg in die Belanglosigkeit. Das erklärt auch die Unbeliebtheit vieler Politiker. Legislaturperioden von 4 Jahren sind einfach eines zu lang…

Schockierender Hinweis (um den Teil-4-Trash-Faktor nochmal zu unterstreichen): Für Jurassic Park 4 wurden zeitweise Mensch-Dino-Hybride in Erwägung gezogen. Wesen also, die halb Homo Sapiens, halb Tyranno Saurus Sonstwas sind. Davon haben wir doch nun wahrlich genug…

Trilogien hingegen sind sexy – und wie! Nachdem die Planung für Jurassic Park 4 nach dem Tod des Drehbuch- und Romanautors Michael Crichton im Jahr 2008 auf Eis gelegt wurden, besinnten sich auch die Jurassic-Park-Produzenten auf diese altbekannte Gewissheit. Im Januar 2010 hieß es dann, die Vorbereitungen für eine Fortsetzung sollen wieder aufgenommen werden, doch völlig anders als geplant: Teil 4 werde der Beginn einer neuen Trilogie.

Die Puppen-Dinos sind zurück

Nach Jurassic World (2015) wurde das Budget für den neuen Teil 2 nochmal um über 100 Millionen Dollar aufgestockt. Damit konnte neben den CGI-Effektfeuerwerken wieder verstärkt auf state of the arts Puppenspieler und Animatroniker gesetzt werden. Es wurden extra Szenen ins Drehbuch geschrieben, die es ermöglichten, Dinos nur teilweise (siehe: das T-Rex-Weibchen im Fahrzeug-Laderaum) und/oder in langsamen Bewegungen (siehe: die gefesselte, betäubte Velociraptorin) zu zeigen. Diese wurden nicht am Computer animiert, sondern »in echt« gebaut und gesteuert. Für diese Rückbesinnung zu den Wurzeln (Animatronik sorgte schon im allerersten Jurassic Park für die denkwürdigsten Szenen) wird Jurassic World: Das gefallene Königreich gebührend gefeiert.

Auch sonst gibt es nennenswerte Reminiszenzen an die 90er-Jahre Jurassic-Park-Filme. Von verfütterten Ziegen über zerdrückte Geländewagen, fliehende Urviecherherden und Türöffno-Saurus bis hin zu Dino-OPs gibt es einige Motive, die Jurassic-Fans Krokodilstränen der Freude in die Augen treiben.

Persönlicher Zusammenhang

Ich hatte das Vergnügen, Jurassic World: Das gefallene Königreich im OH·KINO in Wrocław (Breslau) zu sehen. Englisches Original mit polnischen Untertiteln und Karamell-Popcorn, yay! Auf dem Roadtrip nach Polen hatten wir zuvor eine Nacht in Dresden verbracht, inklusive Besuch im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr. In der dortigen Dauerausstellung kreuzte – zu unserer Überraschung – ein imposanter Elefant unseren Weg. Lebensgroß, ausgestopft. Er führte eine Parade von Tieren an, die von Menschen über die Jahrhunderte für ihre kriegerischen Zwecke missbraucht wurden. Von Sprengstoffspürhunden und Brieftauben über Schafe, deren traurige Bestimmung es war, Minenfelder zu erschließen. Sogar ein Löwe ist in dem Museum zu sehen, mit der Info, dass sich NS-Mann Hermann Göring einen solchen gehalten hat, auf seinem feudalen Anwesen in Carinhall. Einfach nur, um seine Gäste zu beeindrucken. Da hatte wohl jemand etwas zu kompenisieren…

Dass Jurassic World: Das gefallene Königreich also von Bonzen handelt, die Dinosaurier für Millionenbeträge ersteigern möchten, erscheint absolut logisch und sinnvoll. Manche der grimmig dreinschauenden Herren im Film wollen sicher nur ein fettes Urzeit-Haustier, um ihr zartes Ego zu streicheln. Andere denken (natürlich) an Dinosaurier für militärische Einsätze. Es gibt gar einen Dialog, in dem explizit davon gesprochen wird, dass Menschen im Krieg immer Tiere eingesetzt hätten. Da werden sogar Elefanten genannt! Und das nur 2 Tage, nachdem ich erstmals über Elefanten im Krieg gelernt habe! Das ist die fiese Art des Universums, mir zu sagen: »Na, du kleiner Wurm? Genießt du die Matrix?«

Close-up: Jurassic World: Das gefallene Königreich im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Jurassic World: Das gefallene Königreich beginnt Unterwasser, mit Lichtern eines U-Boots, die sich aus der Dunkelheit abheben. Ebenso, wie die Rahmenhandlung von Titanic (1997) anfängt. Bloß, dass der Tauchgang keinem Schiffswrack gilt, sondern dem Skelett eines Dinosauriers. Doch nicht irgendein Skelett! So wie es in Titanic um das größte Schiff im Jahre 1912 geht, dreht sich die Fortsetzung von Jurassic World zunächst um den furchterregendsten Saurier, der im Jahr 2015 noch gewütet hat. Wir erinnern uns an den epischen Kampf zwischen Tyrannosaurus Rex, ein paar Raptorinnen und besagtem Superlativ-Saurier, dem aus verschiedenen Spezies gezüchteten Hybriden Indominus Rex. Der Kampf endete damit, dass das Mosasaurus-Weibchen (die gut bezahnte Unterwasser-Echse, Rex Machina) aus ihrem Becken sprang und Indominus Rex mit zu sich in die Tiefe riss.

Dort unten also sägt nun – 3 Jahre nach dem Untergang von Jurassic World – ein U-Boot mit zwielichtigen Männern an dem Indominus-Skelett herum, um einen Knochen zu bergen. Dieser Knochen ist für die Männer ungefähr so wertvoll, wie das »Herz des Ozeans« für die ihrerseits zwielichtigen Wrack-Plünderer in Titanic. Nur dass Letztere halt in Ruhe den Tresor an die Oberfläche hieven können, während Erstere im Mosasaurus-Becken die Bekanntschaft von Mosasaurus machen. Blöder Zufall, bei so einem großen Becken…

Was hat Mosasaurus die 3 Jahre seit dem letzten Film gefressen, um in ihrem Becken nicht zu verrecken? Achtung, Achtung! Wer so früh mit Logikfragen anfängt, wird in Jurassic World: Das gefallene Königreich Kopfschmerzen kriegen. Stattdessen lieber zurücklehnen, entspannen und die Dino-Action genießen. Über 2 Stunden lang gibt’s die volle Dröhnung, ab dem Vulkanausbruch sogar ziemlich pausenlos: Auf der Insel, Unterwasser, im Schiffsbauch, Keller, Kinderzimmer, auf Dächern und in Käfigen. Neben den üblichen Verdächtigen unter den Dinos natürlich auch wieder mit einem neu gezüchteten Hybrid-Horror-Viech, das die Saurier-Sause erst so richtig in Schwung bringt!

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Ich hab’s genossen, keine Frage. Jurassic World: Das gefallene Königreich ist ein Action-geladenes Dino-Spektakel mit ordentlich Schauwerten. Tatsächlich hätte ich mir gar etwas weniger Action gewünscht. Nur einmal stapft ein Brachiosaurus gemächlich durchs Bild. Diesem schönen Tier und seinen herbivoren Homies ein Weilchen beim Grasen zuschauen, das wär auch schön gewesen. Stattdessen konzentriert sich Jurassic World: Das gefallene Königreich auf die Idee vom »Dino als Kriegswaffe«. Das nimmt teilweise wirklich bescheuerte Züge an.

Es gibt eine Szene, in der ein Auktionär (verkörpert von Schauspieler Toby Jones) seinem vor Geld stinkenden Publikum vorführen will, wie übelst krass der genmodifizierte Hybrid-Dino namens Indoraptor im Käfig neben ihm drauf ist. Dazu richtet der Auktionär ein Gewehr auf einen Mann im Publikum. Als der rote Laserpunkt der Zielvorrichtung auf der Brust des (jetzt nervösen) Mannes flackert, drückt der Auktionär einen bestimmten Knopf am Gewehr. Sofort rastet der Indoraptor in Richtung des nervösen Mannes aus – nur der Käfig hält den Dino davon ab, den Mann zu zerfetzen.

Wann wird’s wissenschaftlicher?

Das soll also effiziente Kriegsführung sein? Mit einer Waffe auf einen Mann zielen, um dann per Knopfdruck einen wütenden Dino auf diesen Mann loszulassen? Um den Mann zu töten, oder was? Und dazu hätte man nicht einfach den guten alten Abzug neben dem fancy Dino-Knopf betätigen können!? »Raptoren auf Menschen loslassen« ist Hollywoods Pendant zu »mit Kanonen auf Spatzen schießen«. Immerhin: Wesentlich bildgewaltiger, als die Spatzen-Variante.

Übrigens hat Colin Trevorrow, Drehbuchautor der beiden Jurassic-World-Filme angekündigt, im dritten Teil werde man sich wieder auf reale Dinosaurier konzentrieren, ohne die genmodifizierten Neuschöpfungen. Jurassic World 3 soll tatsächlich ein »science thriller« werden. Zur Erinnerung daran, wie weit die Dinos in Jurassic World nach heutigem Kenntnisstand von ihren urtümlichen Vorfahren entfernt sind: In Münster gibt es seit 2014 das erste befiederte Velociraptor-Modell in Deutschland zu sehen. Schaut dezent anders aus, als die coole Raptorin Blue:

Die Post-Credit-Szene nach dem Abspann

Apropos Teil 3: Nach dem Abspann lieferte Jurassic World: Das gefallene Königreich noch ein Schmankerl für alle Kinobesucher*innen, die bis zum Ende sitzen geblieben sind und gewissenhaft die Namen aller Beteiligten durchgelesen haben. Fun Fact: Ich heiße David, weil meine Eltern solche Leute sind, die sich Filmcredits durchlesen. Um 1989 herum dachten sie dabei eines schönen Filmabends: »Hey, David, der Name ist gut.« Ich persönlich hoffe ja, es war David Fincher.

NACH DEM ABSPANN jedenfalls gibt es noch ein letztes Bild von ein paar Pteranodons, die um das Eiffelturm-Dublikat in Las Vegas kreisen.

Eine globale Plage?

Denn: Die Dinos sind am Filmende ja ausgebüxt, alle miteinander. Und jetzt streunen sie frei durch die Welt. Die Flugsaurier an Amerikas Eiffelturm zu zeigen ist eine schönes Sinnbild für diese Dino-Klone, die ja ihrerseits »nachgemacht« sind von den urzeitlichen »Originalen«. Gleichzeitig stellt der Eiffelturm ein Symbol für Europa dar und eröffnet damit neue Dimensionen. Die Dinos haben nicht nur ihre Insel verlassen, nein, sie könnten auch den Kontinent verlassen. Jurassic WORLD eben.

Sehr, sehr coole Vorstellung. Den Film möchte ich gerne sehen. Es gibt sogar schon einen Starttermin. Am 11. Juni 2021 kommt Jurassic World 3 in die Kinos. Einfach schonmal freihalten. ABER: Ich hoffe sehr, die Macher*innen finden für die weltweite Ausbreitung der Dinos eine glaubwürdige Erklärung. Denn ein paar Dutzend große Echsen einzufangen, die im weiteren Umkreis der Villa rumlaufen, aus der sie entflohen sind, das sollte mit heutigen Mitteln doch zu händeln sein? Für den glaubwürdigen Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation braucht es bitteschön ein bisschen mehr, als die Szene von einer Velicoraptorin, die sich ihren Weg durch eine City beißt.

Fazit zu Jurassic World: Das gefallene Königreich

Ach, das war ein großer Spaß! Die Spannung ist natürlich mäßig, weil man nie wirklich damit rechnen muss, dass die Dinos das kleine Mädchen zerreißen. Wann immer die junge Schauspielerin Isabella Sermon um ihr Leben bangt, können sich die Zuschauer*innen entspannt zurücklehnen: Ist immer noch Jurassic World, nicht Game Of Thrones. Hier ist die Welt noch in Ordnung, Dinos hin oder her. Abgesehen davon, dass sich Jurassic World: Das gefallene Königreich im Vergleich zum ersten Teil der neuen Trilogie zwar Mühe gibt, erneuten Sexismus-Vorwürfen auszuweichen, dies aber nur bedingt gelingt. Die weibliche Hauptrolle Claire Dearing (gespielt von Bryce Dallas Howard) bleibt im Schatten von Chris Pratt und dort trotz anderen Schuhwerks (die Stöckelschuhe aus dem ersten Jurassic World sind gewichen) eher im ständigen Opfer/Beute-Modus.

Die Journalistin Anne Cohen (Refinery29) kann tatsächlich nur der Rolle von besagter Isabella Sermon etwas Positives abgewinnen. Ansonsten findet sie erschreckend viele gute Argumente dafür, dass Jurassic World bis dato sexistischer ist, als der erste Jurassic-Park-Film in den 90er Jahren. In diesem Sinne überlasse ich der fiktiven Paläontologin Dr. Ellie Sattler mal das letzte Wort:

Über Sexismus in Überlebenssituationen können wir diskutieren, wenn ich zurück bin. | Ellie Sattler, in: Jurassic Park (1997)


Weitere Filmkritiken:

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THE LOBSTER mit Rachel Weisz | Film 2015 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/ http://www.blogvombleiben.de/film-the-lobster-2015/#respond Thu, 21 Jun 2018 06:00:10 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3900 Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf…

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Die Krux des Lebens ist bekanntlich, dass man immer will, was man nicht haben kann. Auf Partnerschaften übertragen: Singles wollen Bindung, Gebundene ihre Freiheit zurück, Befreite wieder Bindung und so weiter, Tinder-Trennungs-Mania. Aber worin liegt nun die wahre Erfüllung – in der Freiheit der Einzelgänger*innen oder der Geborgenheit einer Partnerschaft? Anderes Thema: Welches Tier wärst du gern? Lauter existenzielle Fragen sind das, um die sich der Film The Lobster (zu Deutsch: der Hummer) dreht.

Zusammen ist man weniger ein Schwein

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält Spoiler hinsichtlich der Besprechung einzelner Szenen. Obwohl weder Ende noch wichtige Wendungen verraten werden: Es lohnt sich, diesen Film mit möglichst wenig Vorwissen zu sehen! Aktuelle legale Streamingangebote von The Lobster gibt’s bei JustWatch.

Hummer sind bemerkenswerte Wesen. Sie werden über 100 Jahre alt (wenn wir sie nicht bei lebendigem Leibe im Kochtopf zerbrühen) und sie haben blaues Blut (und zwar wirklich, nicht nur so dahergesagt, wie unsere ach so adligen Aristokraten). Außerdem sind Hummer ein Leben lang fruchtbar. Diese 3 Eigenschaften fallen dem Protagonisten David (gespielt von Colin Farrell) ein, als er im Hotel gefragt wird, in welches Tier er sich verwandeln lassen wolle. Denn das ist die Prämisse zu The Lobster: Singles werden in ein Hotel eingewiesen, in dem sie eine bestimmte Zahl an Tagen Zeit haben, eine*n Partner*in zu finden. Wenn dies nicht gelingt, werden die einsamen Seelen in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Was auch sonst?

Die Reaktion der Hotelmanagerin auf Davids Antwort lautet: Der Hummer sei eine exzellente Wahl! Ja, und The Lobster ist eine exzellente Wahl für einen ausgefallenen Liebesfilm mit Colin Farrell und Rachel Weisz als Paar, das sich nicht haben darf.

Schauspielerin Rachel Weisz im Film The Lobster

Totale: The Lobster im Zusammenhang

Thematischer Kontext

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson hat im Januar ein Selbsthilfe-Buch veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe erscheint im Oktober unter dem Titel: 12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Im ersten Kapitel davon zieht Jordan Peterson ausgerechnet den Hummer heran, um zu demonstrieren, wie wir die fundamentalen Prinzipien der Natur ausnutzen können, um im Leben erfolgreich zu sein.

Lass dich vom siegreichen Hummer inspirieren, mit seinen 350 Millionen Jahren von angewandter Weisheit. Stehe aufrecht, nimm die Schulter zurück. | Jordan Peterson

Die Dominanz des Hummers

Das ist der Hummer in Angriffshaltung: Bei Kämpfen plustert er sich auf, um seine Gegner zu beeindrucken. Peterson zielt auf den Dominanz-Trieb von Hummern ab, von dem sich Menschen etwas abschauen sollten, um im Leben zu bestehen. Das kann man auch jetzt schon in einem deutschsprachigen Blogartikel über Petersons berüchtigstes Hummer-Faible nachlesen (siehe: 112-Peterson: Der Hummer in dir).

Es scheint, dass seine Diskussion von Hummern mehr über seine eigene Weltsicht aussagt, als über menschliches Verhalten. Aber er ist der Psychologe, nicht ich.

Die bizarre Vielfalt des Lebens

Das schrieb Anfang dieses Monats, am 4. Juni 2018, die Marine-Forscherin Bailey Steinworth in der Washington Post. Peterson erzähle seinen Leser*innen, sie sollten sich von einem Tier inspirieren lassen, das nicht fähig ist, mit seinen eigenen Artgenoss*innen zu interagieren – außer beim Sex.

Ich sage, das Leben ist so bizarr und wundervoll, dass man Inspiration überall finden kann.

Tatsächlich geht Steinworth dann auch auf eine Reihe von Meeresbewohner*innen ein, die gleichermaßen als Vorbild für uns Menschen dienen können. Wer weiß, wenn der fiktive David diesen Artikel gelesen hätte, vielleicht hätte er sich nicht mehr in einen Hummer verwandeln lassen wollen, sondern eine Seeschnecke oder Seegurke oder Qualle? Hätte der Film The Lobster dann The Jellyfish geheißen?

Warum der Hummer?

Wohl kaum. Denn bei all den tiefenpsychologischen Mutmaßungen, die man über den Protagonisten David und seine Wahl für den Hummer anstellen mag, ist die Erklärung – warum ausgerechnet ein Hummer!? – sehr einfach:

Es begann mit einer Story, die wir als ursprüngliches Treatment geschrieben hatten. Darin wird der Hauptcharakter in einen Hummer verwandelt und dann sieht man seine Ex-Frau mit ihrem neuen Lover eben einen Hummer essen. Also, darin liegt die eigentliche Bedeutung des Hummers, noch bevor wir das richtige Drehbuch schrieben. | Regisseur Yorgos Lanthimos im Gespräch mit Emma Myers (Brooklyn)

Kurzum: The Lobster heißt The Lobster, weil Hummer lecker sind. Und das, obwohl diese Wendung letztlich gar nicht mehr Teil des fertigen Films ist. Der Titel ist ein Relikt des kreativen Schaffensprozesses, so einfach. Da geht es nicht doppelbödig über Dominanz-Trieb und soziale Hierarchie. Die Dinge sind manchmal, wie sie sind, aus den dämlichsten Gründen. Das lohnt sich, bei dem Film The Lobster im Hinterkopf zu behalten, bevor man jede Geste und Regung, jeden Schnitt und Schabernack in dieser kunstvoll erzählten Geschichte mit Bedeutung aufladen möchte.

Persönlicher Kontext

Schon 2015 hat mir ein Kumpel den Film The Lobster ans Herz gelegt. Nun hat ein anderer Kumpel die DVD bei einem Filmabend aus dem Hut gezaubert. Beide kannten wir weder den Film noch den Regisseur, hatten nichts über The Lobster je gehört, außer eben, dass er »ziemlich außergewöhnlich sei«. Na denn, nichts wie rein mit der Scheibe!

Close-up: The Lobster im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Films

Zu Beginn sehen wir eine Frau mit ihrem Auto durch den Regen fahren, auf einer Landstraße. Der Prolog zu The Lobster – vor dem eigentlichen Titel – ist ein One-Take, ein etwa 80-sekündige Szene ohne Schnitt, ohne Musik, ohne Worte. Was darin passiert und wie es zu deuten ist, das wird im Internet fröhlich diskutiert. Manche sehen in dem rätselhaften Prolog »the whole movie in a nutshell«. Yorgos Lanthimos selbst sagt, er mag es, einen Film so zu starten:

Du gibst den Ton an, ohne eine Erklärung zu liefern oder den Einstieg noch einmal aufzugreifen. Wenn der Film zu Ende ist, können die Zuschauer*innen selbst zum Anfang zurückkehren und ihn auf ihre Weise interpretieren.

Nach Einblendung des Titels folgt eine Over-Shoulder-Einstellung eines Mannes (Colin Farrell), auf der Couch sitzend. Zu seinen Füßen ein Hund. Der Mann spricht mit seiner Frau, die wir nicht zu sehen bekommen. Offenbar geht es um einen Anderen, den die Frau kennengelernt hat. Deshalb muss der Mann gehen. Er wird eskortiert, zu einem Wagen, dann deportiert, zu dem Hotel.

Homo oder hetero?

An der Rezeption wird der Mann gefragt, ob er homo- oder heterosexuell sei. Bisexualität gibt es in dieser Zukunftsvision ebenso wenig, wie halbe Schuhgrößen. Der Mann überlegt ein wenig hin und her, sein Blick schweift zur Seite, wir sehen nicht, wohin, hören von dort her nur Absatzschuhe über einen harten Boden stöckeln. Er müsse wohl »hetero« angeben, sagt der Mann, dessen letzter Blick laut Audiospur einer Frau galt. Dieses subtile, inszenatorische Detail ist besagtem Kumpel aufgefallen, mit dem ich den Film sah. An mir allein wäre es, fürchte ich, unbemerkt vorbeigegangen.

Schon ab der ersten Szene kommentiert eine Erzählerin aus dem Off gelegentlich das Geschehen. Ihre Stimme soll später ein Gesicht bekommen: das von Schauspielerin Rachel Weisz. Die Erzählerin, die zu handlungstreibenden Figur wird – dieser Kniff kam uns beim Filmabend so ungewöhnlich vor, dass wir eine Literaturverfilmung vermuteten. Es gibt ja Romanvorlagen, deren Umsetzung ein paar besondere Kniffe abverlangt. Doch so sehr sich The Lobster zuweilen so anfühlt – der Film ist keine Literaturverfilmung, sondern basiert auf einem Original-Drehbuch.

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Films

Neben Rachel Weisz enthält der Film zahlreiche weitere bemerkenswerte Frauenrollen. Allen voran Léa Seydoux als Anführerin der Einzelgänger*innen in den Wäldern. Sie hält sich einen »Partner« bloß zur Tarnung in der Stadt, in der Menschen nur als Paare auftreten dürfen. Das führt dazu, dass selbst die herzlosesten Zeitgenoss*innen sich verkuppeln lassen, etwa Angeliki Papoulia als (wir lernen sie tatsächlich nur unter diesem Namen kennen) »herzlose Frau«.

Was The Lobster im Vergleich zu anderen, von Männern angetriebenen Film gelingt, ist die Kreation eines Raumes für Frauen. Im Verlauf dieses Films gibt es etliche Szenen, Momente und Konversationen, die weibliche Stärke, Stabilität und Logik unterstreichen. […] In anderen Filmen nehmen Männer diesen Raum mit ihren eifrigen, enthusiastischen und sexuell aufgeladenen Persönlichkeiten ein. Doch The Lobster beschränkt die Männlichkeit und erlaubt Frauen, wütend, traurig, aggressiv, laut, forsch, sexuell, wild und generell »unfeminin« zu sein. | Samantha Ladwig (BUST) über den Film The Lobster (übersetzt aus dem Englischen)

Fun Fact zum Abschluss: Die französische Schauspielerin Ariane Labed, die als »Zimmermädchen« in einer ganzen Reihe starker Szenen von The Lobster auftritt, ist mit dem Regisseur des Films, Yorgos Lanthimos, verheiratet.

Fazit zu The Lobster

Gespickt mit absurd-komischen, tragischen und schockierenden Ideen und Szenen, weiß The Lobster über seine rund 2 Stunden Laufzeit sehr gut zu unterhalten, wenn man bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche Welt einzulassen. Und egal ob Single oder in Partnerschaft, dieser Film stimmt nachdenklich über die sozialen Gefüge, in die wir uns wer weiß wie freiwillig oder forciert so begeben. Sehenswert, erlebenswert!


Weitere Filmkritiken:

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Das Unbehagen der Geschlechter, Judith Butler | Buch 1991 | Zusammenfassung http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-1990/ http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-1990/#respond Wed, 13 Jun 2018 07:00:09 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4167 1990 veröffentlichte die Philosophin Judith Butler ihr (nach ihrer Dissertation) erstes und bis heute bekanntestes Buch:…

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1990 veröffentlichte die Philosophin Judith Butler ihr (nach ihrer Dissertation) erstes und bis heute bekanntestes Buch: Das Unbehagen der GeschlechterGender Trouble. Es wurde bereits kurz nach dem Erscheinen von Vertreter*innen des Feminismus und der Geschlechterforschung (Gender Studies) kontrovers diskutiert.

Der Grund liegt vor allem in der These, dass neben dem sozialen Geschlecht (engl. gender) auch das körperliche Geschlecht (sex) diskursiv geformt wird, durch performative Sprechakte. Dass Natur demnach schon ein Ergebnis kultureller Erkenntnisse (und nicht diesen vorausgehend) sei, das ist diejenige Prämisse von Judith Butler, die den Zugang zu ihrem Werk Das Unbehagen der Geschlechter für viele Leser*innen erschwert.

Die Annahme, dass Körper durch Diskurse und performative Sprechakte konfiguriert werden, bedeutet jedoch nicht, dass Körper als materielle Realitäten vollständig auf Diskurse zurückführbar sind; lediglich, dass es keine von der symbolischen Ordnung unberührte körperliche Materialität gibt.

Hannelore Bublitz, in: Judith Butler zur Einführung (2002), S. 41

Vielfalt in die Kategorien katapultieren

Im Folgenden soll eine grobe Übersicht zu dem Werk Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble und den davon ausgehenden Kontroversen gegeben werden. Hier geht es zu einer Zusammenfassung des Vorworts. Ein PDF der englischen Original-Fassung Gender Trouble von Judith Butler stellt die Mexikanerin Laura González Flores bereit.

Artwork von Drag-Queen Divine, dazu der Text: Zum Wort von Gender Trouble / Das Unbehagen der Geschlechter

In der Doku Judith Butler, Philosophin der Gender (2006) des Sender arte, sinniert die Autorin über den Ursprung von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble. Dabei geht es um ihre jüdische Familie und deren Assimilation in Amerika. Judith Butler kam 1956 in Cleveland, Ohio zur Welt. Die Familie ihrer Mutter besaß eine Kinos in Cleveland. Wie viele Jüdinnen waren sie in diese neue Industrie eingestiegen, die im 20. Jahrhundert boomte.  

Für die Generation amerikanischer Juden, die mich aufzog, bedeutete Assimilation offenbar, dass man sich den Geschlechtsrollen aus Hollywood-Filmen anzupasste. So wurde meine Großmutter zu Helen Hayes, […] mein Großvater war so etwas wie Clark Gable […].

In den späten 60ern und frühen 70ern, als ich versuchte, mit der Verteilung der Geschlechtsrollen klarzukommen, war ich mit diesen übertriebenen Rollenerwartungen konfrontiert. […] Vielleicht ist die Theorie von Das Unbehagen der Geschlechter aus meinem Versuch entstanden zu verstehen, wie meine Familie diese Hollywood-Normen verkörpert hat. Und dann auch wieder nicht. Sie versuchten sie zwar zu verkörpern, aber in gewisser Hinsicht war es ihnen gar nicht möglich.

Meine Schlussfolgerung war, dass jeder, der sich bemüht, diese Normen zu verkörpern, auf eine Weise daran scheitert, die viel interessanter ist, als ein Erfolg es sein könnte. | aus: Judith Butler, Philosophin der Gender (2006)

Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble sei eine Schrift, so Butler, in der es darum geht, wie wir als Gesellschaft gewisse Geschlechtsnormen konstruieren. In dieser Schrift wird die Geschlechtsidentität (gender) als eine Tätigkeit beschrieben. Wir stellen etwas dar, handeln in einer bestimmten Weise, sind ständig im Werden begriffen. Darüber definieren wir unsere Identität. Es geht um die Frage, auf welche Arten wir unsere Geschlechtsrollen erschaffen und was wir damit anstellen können?

Übersicht der 3 Haupt-Kapitel

Judith Butlers Buch Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterteilt sich in folgende 3 Kapitel.

1. Die Subjekte von Geschlecht/Geschlechtsidentität/Begehren

Das erste Kapitel handelt von »Frauen« als Subjekte des Feminismus und der Unterscheidung zwischen körperlichem Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender). Zwei zentrale Begriffe dieses Kapitels sind die »Zwangsheterosexualität« (die gesellschaftliche Fixierung auf heterosexuelle Lebensweisen) sowie der »Phallogozentrismus« (demnach viele Festlegungen dessen, was in der Gesellschaft als »weiblich« gilt, von Männern ausgehen). Ist zum Beispiel die »Frau« nur eine sprachlich konstruierte Geschlechter-Kategorie und die Sprache selbst phallogozentrisch? So sieht es die Psychoanalytikerin Luce Irigaray.

Luce Irigarays grundlegendes Argument ist, dass Philosophie seit Platon – und sogar schon vor diesem – auf der Idee eines singulären, operierenden Subjekts beruht, das seine Umwelt betrachtet und zu verstehen versucht – als einzelnes Subjekt; und dass darin die Auslöschung von Unterschieden begründet liegt, und des Weiblichen.

Isabelly Hamley, in: Luce Irigaray by Isabelle Hamley (YouTube, 02:40)

Neben Luce Irigaray geht es um die Schriftstellerin Monique Wittig. Diese stellte die These auf, dass »das Weibliche« das einzige Geschlecht sei, das in einer Sprache repräsentiert wird, die das Weibliche mit dem Sexuellen verknüpft. Wittig ist der Ansicht, dass nur die leiblichen Personen, die keine heterosexuellen Beziehungen im Rahmen der Familie (mit dem Zweck der Fortpflanzung als dem Telos der Sexualität) unterhalten, die Kategorien des Geschlechts anfechten oder zumindest in keiner Komplizenschaft stehen. Butler schreibt über Wittig:

In Erwiderung auf Beauvoirs These »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«, stellt Wittig die Behauptung auf, daß man, anstatt eine Frau zu werden, eine Lesbierin werden kann. Indem sie die Kategorie »Frau(en)« zurückweist, schneidet Wittigs lesbischer Feminismus scheinbar jede Art von Solidarität mit den heterosexuellen Frauen ab […]. 

Was für ein tragischer Fehler ist es […], eine schwule/lesbische Identität durch dieselben Mittel der Ausschließung zu konstruieren, als würde das Ausgeschlossene nicht gerade durch seine Ausschließung stets vorausgesetzt und damit sogar für Konstruktion dieser Identität erfordert. | S. 188-189

Jede Matrix, der eine Binarität zugrunde liegt, (ob nun weiblich/männlich oder lesbisch/schwul), verwirft diejenigen Subjekte, die sich in dieser Matrix nicht unterbringen lassen. Die verworfenen Subjekte werden zum »Anderen«, durch dessen Ausschließung sich die Subjekte innerhalb der Matrix konstituieren.

Das Verworfene [the abject] bezeichnet hier genau jene »nicht-lebbaren« und »unbewohnbaren« Zonen des sozialen Lebens, die dennoch dicht bevölkert sind von denjenigen, die nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des »Nicht-Lebbaren« jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen. Diese Zone der Unbewohnbarkeit wird die definitorische Grenze für den Bereich des Subjekts abgeben.

Judith Butler, in: Körper von Gewicht (1997), S. 23

Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:

Wie bringt Sprache selbst die fiktive Konstruktion des »Geschlechts« hervor, die diese verschiedenen Macht-Regime (Zwangsheterosexualität, Phallogozentrismus) trägt? (als solche werden Zwangsheterosexualität und Phallogozentrismus verstanden  in ihnen bündelt sich gesellschaftliche Macht)

Welche Kontinuitäten zwischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren suggeriert eine Sprache unterstellter Heterosexualität? Sind diese Begriffe eventuell diskret, also in ihrer jeweiligen Bedeutung gar nicht stetig fest und eindeutig bestimmt?

Und wenn Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren nicht fest bestimmt sind, welche kulturellen Verfahren bringen ihre angeblichen Beziehungen ins Wanken?

2. Das Verbot, die Psychoanalyse und die Produktion der heterosexuellen Matrix

Das zweite Kapitel behandelt unter anderem das Inzesttabu. Dieses untersagt in fast allen Kulturen sexuelle Beziehungen zwischen Blutsverwandten. Das Verbot kann als ein Mechanismus dargestellt werden, der innerhalb eines heterosexuellen Rahmens versucht, bestimmte Geschlechtsidentitäten (gender identities) zu erzwingen. So lässt es sich in strukturalistischen, psychoanalytischen und feministischen Schriften darstellen, drei Perspektiven, die Judith Butler hier vorgestellt.

Sie unterzieht das Inzesttabu einer Kritik vermittels der Repressionshypothese von Michel Foucault. Die Repressionshypothese besagt, dass Macht repressiv individuelle Triebregungen und -äußerungen zurückdränge. Im Fall des Inzesttabus besteht die Repression in einem Verbot inzestuöser Handlungen, womit aber – indirekt – die Zwangsheterosexualität in der männlich bestimmten Sexualökonomie bestärkt wird. Gleichzeitig eröffnet das Inzesttabu eben diese Sexualökonomie jedoch auch für Kritik.

Des Weiteren werden im zweiten Kapitel die Begriffe »Identität«, »Identifizierung« und »Maskerade« analysiert. Sowohl im Werk der Psychoanalytikerin Joan Riviere als auch in anderen Theorien der Psychoanalytik. Fragen, die in diesem Kapitel zu erörtern sind:

Können psychoanalytische Theorien für eine Darstellung der komplexen geschlechtlich bestimmten »Identitäten« angewendet werden?

Handelt es sich bei der Psychoanalyse um eine anti-fundamentalistische Theorie, die sexuelle Vielschichtigkeit bejaht, womit die hierarchischen sexuellen Codes unserer Gesellschaft de-reguliert werden?

Oder arbeitet die Psychoanalyse eben zugunsten dieser Hierarchien, indem sie einen Komplex von Voraussetzungen über Identitätsgrundlagen aufrecht erhält?

3. Subversive Körperakte

Das dritte Kapitel von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble unterzieht zunächst die Konstruktion des mütterlichen Körpers bei der Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Julia Kristeva einer Kritik. Butler verweist auf die impliziten Normen, die Kristevas Ausführungen zu Geschlecht und Sexualität zuweilen zugrunde liegen. Ein Beispiel von Butlers Beobachtungen:

Scheinbar akzeptiert Kristeva […] den Begriff einer primären Aggression und unterscheidet die Geschlechter je nach dem primären Objekt der Aggression […]. Daher versteht Kristeva die männliche Position als nach außen gerichteten Sadismus, während die weibliche Position ein nach innen gerichteter Masochismus ist. | S. 230

Für diese Kritik zieht Butler wieder den Philosophen Michel Foucault heran. Jedoch nicht, ohne auch Kritik an diesem zu formulieren und auf Widersprüche in seinem Werk hinzuweisen. Butler unterstellt Foucault eine »radikale Fehllektüre« der Tagebücher des intersexuellen Herculine Barbin, die Foucault entdeckte und veröffentlichte. Sowohl Foucault als auch Barbin vertraten, laut Butler, der Ansicht, dass Sexualität »außerhalb jeglicher Konvention« steht. Butlers Meinung nach hingegen sei die Sexualität »gerade von diesen Konventionen geprägt«. Foucaults Lesart von Barbins Tagebüchern verkenne…

…wie diese Lüste immer schon in das zwar unausgesprochene, aber durchgängig wirksame Gesetz eingelassen sind und gerade durch das Gesetz erzeugt werden, dem sie sich angeblich widersetzen. […]

Foucault, der nur ein einziges Interview zur Homosexualität gab und sich dem Moment der Beichte in seinem eigenen Werk stets widersetzt hat, präsentiert uns Herculines Geständnis in einer unverhohlen didaktischen Art und Weise. Handelt es sich hier vielleicht um eine verschobene Beichte, die auf eine Kontinuität oder Parallele zwischen seinem und ihrem Leben verweist? | S. 148, 152

Aller Kritik zum Trotz erweist sich Foucaults Auseinandersetzung mit der Kategorie des Sexus (die differenzierte Ausprägung eines Lebewesens bezüglich seiner Rolle bei der Fortpflanzung) als hilfreich, um zu Butlers Zeiten aktuelle, medizinische Fiktionen als solche zu entlarven.

Außerdem thematisiert Butler Wittigs Vorschlag einer »Desintegration« kulturell konstituierter Körper, deren Morphologie selbst eine »Folgeerscheinung des hegemonialen Begriffsschemas« sei. Mit Rückgriff auf Mary Douglas und einmal mehr Julia Kristeva schreibt Butler hier auch über die Begrenzung und Oberfläche von Körpern als politische Konstruktion.

Die Aufgabe von Das Unbehagen der Geschlechter

Zuletzt schlägt Judith Butler einige parodistische Praktiken vor, die auf einer performativen Theorie der Geschlechter-Akte (gender acts) beruhen. Akte, welche die Kategorien des Körpers und Geschlechts, der Geschlechtsidentität und Sexualität ins Wanken bringen. Ziel ist es, diese Kategorien zu resignifizieren (neu zu bezeichnen) und eine Vervielfältigung innerhalb des binären Rahmens herbeizuführen.

Die Aufgabe [von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble] ist, sich auf solche definierenden Institutionen: den Phallogozentrismus und die Zwangsheterosexualität zu zentrieren – und sie zu dezentrieren. | Vorwort, S. 9

Wichtige Namen/Personen aus Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble:

Simone de Beauvoir · Jacques Derrida · Mary Douglas · Michel Foucault · Sigmund Freud · Luce Irigaray · Franz Kafka · Julia Kristeva · Jacques Lacan · Claude Lévi-Strauss · Friedrich Nietzsche · Joan Riviere · Jacqueline Rose · Jean-Paul Sartre · Joan Scott · Monique Wittig · uvm.

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SOMMERPAUSE und Blick in die Zukunft: Wo geht die Reise hin? http://www.blogvombleiben.de/sommerpause-und-blick-in-die-zukunft/ http://www.blogvombleiben.de/sommerpause-und-blick-in-die-zukunft/#respond Mon, 11 Jun 2018 09:45:04 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3851 Nicht nur der SpokenWordClub verabschiedet sich in die Sommerpause, auch auf dem Blog vom Bleiben wird’s…

Der Beitrag SOMMERPAUSE und Blick in die Zukunft: Wo geht die Reise hin? erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Nicht nur der SpokenWordClub verabschiedet sich in die Sommerpause, auch auf dem Blog vom Bleiben wird’s was ruhiger, in dieser Woche. Da kann die Sonne noch so lässig am Himmel chillen, der Juni ist ein ereignisreicher Monat. Er reißt aus der Routine und lässt keine Zeit zum Schreiben über die schönen Dinge des Lebens. Warum und wieso und wann es womit weitergeht, dazu alles Weitere in diesem Sommerpausen-Abschieds-Beitrag mit Blick in die Zukunft!

Stellungnahme eines Gehirnchens

Ging schonmal gut los: Heute Morgen habe ich verschlafen. Als ich schließlich aufwachte, baumelte mein Arm taub wie ein Fremdkörper an meiner Schulter. Hatte wohl drauf gelegen, schäbiges Gefühl, aber na ja, das vergeht. Kaum glaubte ich, wieder Herr über den Arm zu sein, klatschte ich damit Sonias Kaffeetasse vom Tisch. Braune Brühe über Jeans und Couch und Teppich, Volltreffer. Mangels Küchentüchern tupften wir die Flecken mit Taschentüchern aus den Fasern. Natürlich von beiden Seiten des Teppichs, den die Suppe sickert ja direkt durch zum Zimmerboden. Jetzt hängt der Teppich falsch herum über der Couch, sieht aus wie ein schlecht verhülltes Museumsstück. Daneben steht der Couchtisch quer im Raum und ringsum zerstreut liegen braune Knäuel dampfender Taschentücher, als hätte hier jemand ne mega ekelhafte Erkältung. Montagmorgen, du machst deinem bescheidenen Ruf mal wieder alle Ehre.

Eine blonde Frau, deren Haare ihr Gesicht verdecken. Dazu der Text: Sommerpause und Blick in die Zukunft

 

Viele Filme, wenig Zeit

Soviel vom Start in den Tag, der den Start in die Sommerpause markiert. Eigentlich wollte ich heute noch über den Tanzfilm Strictly Ballroom (1992) von Baz Luhrmann schreiben, den ich gestern zum ersten Mal und mit Begeisterung gesehen habe. Und warum dann nicht gleich auch über Baz Luhrmanns Romeo + Julia (1997) und Moulin Rouge (2001), die mit dem Erstgenannten zusammen die »Roter-Vorhang-Trilogie« bilden. Das habe ich gestern im Zug der Recherchen noch gelernt, ehe der Alltag mich ausbremste. Und der Alltag ist es jetzt auch, der mich daran hindert, über all diese schönen Filme und weitere zu schreiben, zumindest für eine Weile.

Erst nächste Woche gibt es wieder Filmfutter auf dem Blog vom Bleiben. Dann mit einem Fokus auf Kurzfilme, denn: Das Bundes.Festival.Film. 2018 startet bald in Hildesheim! Und da simma dabei! Dutzende Kinder- und Jugendfilme, die ich in der Jurysitzung im März bereits sehen durfte und damit verraten kann – es wird kunterbunt, fantastisch, abgedreht, wunderschön! Bin sehr gespannt, wie Kindermedien-Crack Sonia die Beiträge finden wird. Wir werden vom Programm berichten! Ganz im Sinne unserer Agenda für den Spätsommer und was da komme.

Die Zukunft des Blog vom Bleiben

So langsam zeichnet sich am Horizont ein Schwerpunkt ab, auf den wir dieses Blogprojekt nach der Sommerpause weiter ausrichten möchten. Kurz und knackig formuliert: Kindermedien und Kinomomente. Also Kulturgut für groß und klein, von Bilderbüchern bis hin zu Blockbustern, aber eben auch lesens- und sehenswerten Perlen zwischen diesen kulturellen Eckpfeilern. Jeden Tag lernen wir aktuell dazu, was »Bloggen mit System« angeht, und wollen dem Schwerpunkt auf Dauer mehr Profil verleihen.

In diesem Sinne sagen wir schonmal vielen, vielen Dank für das bisherigen Feedback zu dem Content, den wir in den vergangenen Wochen und Monaten über den Blog vom Bleiben ins Internet hinausgepustet haben. Wenn auch du, liebe*r Leser*in, uns mitteilen möchtest, was du bis dato gelungen und besonders, was du noch verbesserungsbedürftig findest – sowie natürlich auch, was dich als mögliche Blogbeitrag-Themen mal interessieren würde – nur her mit deiner Meinung! Wir lechzen danach und lernen daraus. Unser Ziel ist es, zu bemerkenswerten Büchern (wie Ritter und Drachen), Filmen (wie Whale Rider) und Internetfunden (wie AMA oder This Is America) solche Beiträge zu schreiben, die zu neuen Gedanken anregen und im Gedächtnis bleiben. Euer Feedback zu unserer Umsetzung dieses Ziels, immer gern via Kontaktformular über die sozialen Kanälen!

Vielen Dank für den Support und bis bald!

2018, komm her Du geiles Stück! #vorgluehen

Ein Beitrag geteilt von David Johann Lensing (@blogvombleiben) am

Die Zukunft und ihre Berechenbarkeit

Apropos Zukunft und Sommerpause: Dass wir in den kommenden Tagen nicht die Zeit zum Schreiben finden, liegt nicht an äußeren Zwängen, sondern daran, dass wir im Zuge einer qualifiziert freiheitlichen Entscheidung andere Prioritäten setzen müssen. Denn ein Tag hat ja nur 24 Stunden und selbst wenn man die Freiheit hat, alles zu tun, hat man noch lange nicht die Zeit, wirklich ALLES zu tun. Darüber quatsche ich ausführlicher in einem YouTube-Video über äußere und innere Freiheit. Unter diesem Video hat ein Zuschauer zum Stichwort Handlungs- und Willensfreiheit eine kleine Diskussion dazu angestoßen, ob nicht alles vorbestimmt sein könnte. Vorausgesetzt, alles sei durch physikalische Gegebenheiten zu erklären, dann müsse doch auch alles auf physikalischer Ebene berechenbar sein.

Das Paradoxon, das besagter Zuschauer in eben diesem Gedankengang mit auf den Weg gab, war der Einfluss des Menschen, der seine Zukunft berechnet, dadurch kennt, dadurch beeinflusst und damit die eigene Rechnung rückwirkend zerlegt. Ein Szenario, das wir aus etlichen Science-Fiction-Filmen zum Thema »Zeitreise« kennen.

Blumen in Nullen und Einsen

Die Theorie, das alles im Leben vorbestimmt bzw. festgelegt sei, ordnet man dem Determinismus zu (vom Lateinischen determinare – festlegen). Für mein Empfinden klingt Vorbestimmung zu bedeutungsschwanger, nach einer Art Planwirtschaft für das gesamte Sein auf Erden. So als hätte irgendein Höheres Wesen eine Art von Ziel, auf das diese Vorbestimmung hinausläuft. Im Gegensatz dazu gefällt mir die Vorstellung vom Dataismus. Diese Theorie besagt, wenn ich sie richtig verstanden habe, dass sich letztendlich jeder Organismus (sagen wir: eine Blume) in Nullen und Einsen darstellen ließe. So wie das digitale Bild von einer Blume als Datei nur aus Nullen und Einsen besteht.

Das Leben als Algorithmus

Die Zahlenfolge zur »binären Beschreibungen« der echten Blume wäre weeesentlich länger, als die zur Beschreibung des digitalen Abbilds. Das Gleiche würde demnach auch für Menschen gelten – und das Leben wäre dieser Theorie nach ein ewiger Datenverarbeitungsprozess. Ein Algorithmus, der im Vergleich zu den Algorithmen, die wir so gerade noch überblicken können, viel zu komplex für unsere von animalischen Trieben und menschlichen Marotten okkupierten Gehirnchen. Den Dataismus habe ich über Yuval Noah Hararis Buch Homo Deus (2015) kennengelernt. Harari selbst sagt, dass diese Idee totaler Mumpitz sein könnte. Aber es gibt sie eben, in der Vorstellungswelt der Menschen, ähnlich wie den Determinismus. Harari schreibt:

Sobald Big Data Systeme mich besser kennen, als ich selbst mich kenne, dann wird die Autorität von Menschen zu Algorithmen wechseln.

Von Fahrassistenten zu Partnervermittlern

Seine logische Schlussfolgerung daraus ist, dass dieser Prozess daraus hinausläuft, dass Menschen den Algorithmen ihre wichtigsten Entscheidungen überlassen werden. Nicht etwa nur im potentiell lebensbedrohlichen Straßenverkehr (wie es durch Assistenzsysteme heute schon möglich ist), sondern auch hinsichtlich der Wahl der besten Vertreter für bestimmte Ämter (um in Zukunft vielleicht einen Präsidenten wie Donald Trump zu verhindern – was auch immer diesen Clown ins Weiße Haus gebracht hat, menschliche Schwarmintelligenz möchte ich es nicht nennen). Das ginge sogar soweit, dass uns Algorithmen sagen würden, wen wir heiraten sollten (Tinder ist nur ein kleiner Wisch für dich, aber ein großer für die Robo-Kuppler der Zukunft).

Tatsächlich schwingt im Dataismus ja ein gewisser Determinismus mit. Wenn das Leben ein Algorithmus ist, dann ließe es sich berechnen und damit vorausrechnen und damit in die Zukunft sehen. Was ist dann mit dem Paradoxon, dass im oben erwähnten YouTube-Kommentar zur Sprache gebracht wurde? Konkret heißt es darin: Wenn jemand mithilfe einer Maschine (also künstlicher Intelligenz) errechnen könnte, dass er oder sie morgen bei einem Flugzeugabsturz stirbt, dann würde diese Person doch eher nicht ins Flugzeug steigen und damit wissentlich in den Algorithmus eingreifen. So, wie die visionäre (und doch herrlich bescheuerte) Horrorfilmreihe Final Destination es uns eindrucksvoll zeigte.

Blonde Frau, deren Haare ihr Gesicht verdecken.
Freie Sicht nach vorn – oder den Überblick verloren? Welches hübsche Gesicht sich hinter dem Haarschopf verbirgt, gibt’s hier zu sehen.

Die rasenden Zahlenkolonnen

Dieser Gedanke geht mir einen Schritt zu weit. Ich kann mir vorstellen, dass alle Organismen sich in Zahlenfolgen darstellen ließen. Nur theoretisch, natürlich, denn praktisch nimmt das Leben als Prozess ja ständigen Einfluss auf die Zahlenfolgen. Nur weil ein Organismus stirbt, ist er damit nicht »fertig« beschrieben und man könnte eine gewaltige Zahl hochhalten: DAS ist dieser Organismus. Stattdessen zersetzt sich der Organismus ja über den Tod hinaus und seine Überbleibsel setzt das Leben neu zusammen, der Algorithmus läuft ständig weiter. Ich könnte mir so gerade noch vorstellen, dass es eines fernen Tages Rechenmaschinen gibt, die solche sich ständig in Hochgeschwindigkeit hinfort schreibenden, multiplen Zahlenkolonnen in Echtzeit darstellen könnten. Doch das hieße noch lange nicht, in die Zukunft rechnen zu können. Das ist schlichtweg ein ganz anderes Thema.

Der Dataismus entzaubert für mich nicht das »Wunder Leben«, nur weil man es halt in Zahlen darstellen könnte. Was die vielen, interagierenden, sich neu aufzweigenden Datenströme ausgelöst hat und wo sie hingehen, das bleibt dabei ein Rätsel. Nur weil eine Instanz künstlicher Intelligenz aufgrund seiner Big-Data-Kenntnis mir sagen würde: Hey, du und Sonia, ihr passt perfekt zueinander, ihr Zwei solltet heiraten, nur deshalb weiß diese Künstliche Intelligenz noch lange nicht, dass dies so geschieht. Es heißt einfach nur: Im Hier und Jetzt, auf Basis der vorliegenden Daten, seid ihr wie füreinander geschaffen.

Unsere unerträglichen kleinen Gefängnisse

Selbst die einfachste »Zukunftangelegenheit« – zum Beispiel: Ich möchte heute Mittag eine Tiefkühlpizza essen – steht in Wirklichkeit im Zusammenspiel mit Milliarden von anderen Abläufen, von denen ich gerade nur eine Handvoll zum Besten geben könnte: Die Frostertür klemmt mal wieder und  ich komm nicht an die scheiß Pizza ran, ich stolpere auf dem Weg in die Küche, muss ins Krankenhaus, ein Freund ruft an, lädt zum Essen ein, blah, blah, blah, und in Wahrheit eben Milliarden Blahs mehr.

In die ferne Zukunft gedacht wirkt die Vorstellung, dass sich tatsächlich SÄMTLICHE Abläufe in einer Sache mit berücksichtigen lassen und somit die Zukunft berechenbar ist, vielleicht möglich. Aber das ist eine ferne Zukunft, in der homo sapiens mit seinem jetzigen Geistes-Apparat keine Rolle mehr spielt, ja, vielleicht gar nicht mehr existiert. Wir sind zu dumm dafür. Solche Szenarien in ihrer Konkretion zu überdenken und besprechen, das liegt wortwörtlich außerhalb unserer Vorstellungskraft. Ich kann damit gut leben, ich komm schon auf Dreisatz nicht immer klar. Aber solch genialen Köpfe wie Stephen Hawking einer war, da könnte es durchaus sein, dass die Grenze der menschlichen Vorstellungskraft ein unerträglich kleines Gefängnis ist.

Also dann, nächste Woche melde ich mich mit neuen Blogupdates zurück! Behaupte ich jetzt mal. Ganz wagemutig.

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GENDER TROUBLE (PDF) von Judith Butler | 1991 | Vorwort im Fokus http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-pdf-vorwort-1991/ http://www.blogvombleiben.de/buch-gender-trouble-pdf-vorwort-1991/#respond Thu, 07 Jun 2018 07:00:04 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=4061 Der englische Titel von Judith Butlers Buch Gender Trouble (1990) setzt sich zusammen aus dem Unbehagen (trouble) über…

Der Beitrag GENDER TROUBLE (PDF) von Judith Butler | 1991 | Vorwort im Fokus erschien zuerst auf Blog vom Bleiben.

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Der englische Titel von Judith Butlers Buch Gender Trouble (1990) setzt sich zusammen aus dem Unbehagen (trouble) über das Wesen der Geschlechtsidentität (gender). Die Geschlechtsidentität bezeichnet Aspekte der erlebten Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Also ob ich mich in meiner Identität zum Beispiel eher als Frau oder Mann fühle. Das sind zwei fest etablierte Geschlechter-Kategorien, festgemacht an körperlichen Merkmalen. Der Gender-Begriff ist recht jung. Dass er nicht fest bestimmt ist, so vermutet Judith Butler, sei für manche Grund zur Sorge. Die feministische Sache könne an der Unbestimmtheit eines solchen Kernbegriffs scheitern. Dieses bange Gefühl versucht Butler in Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble aufzulösen.

Feminismus, hier und jetzt

Im Folgenden steht das Vorwort zu Judith Butler Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble im Fokus. Hier geht es zu einer kommentierten Kapitelübersicht zum Buch. Ein PDF der englischen Original-Fassung Gender Trouble von Judith Butler stellt die Mexikanerin Laura González Flores bereit.

Feminismus. Unter diesem Begriff tummeln sich soziale Bewegungen mit dem Ziel, Frauen zu gleichberechtigten und selbstbestimmten Mitgliederinnen von traditionell patriarchalen (von Männern dominierten) Gesellschaften zu machen. Diese Strukturen wurden über Jahrtausende gefestigt. Sie lassen sich nicht mit einer Demonstration, Rede oder Begegnung wegwischen. Der Wandel erfordert viel Arbeit und Aufmerksamkeit, zumal unser Bewusstsein für die Problematik gerade erst einige Jahrzehnte zurückreicht.

Wer ist Feminist*in? Im weitesten Sinne: All diejenigen, die von der Idee überzeugt sind, dass Menschen unabhängig von ihrem körperlichen und/oder sozialen Geschlecht in unserer Gesellschaft gleichermaßen gerecht behandelt werden sollten, sind Feminist*innen. In diesem weitesten Sinne ist das jede Person, die das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland anerkennt.

Artwork von Drag-Queen Divine, dazu der Text: Zum Wort von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble

Immer im Trouble

Die Philosophin Judith Butler sieht im Unbehagen (trouble) ob des vagen Begriffs der Geschlechtsidentität kein Problem für den Feminismus. Im Gegenteil: »trouble« sei unausweichlich. Butler schreibt über ihre »erste kritische Einsicht in die subtile List der Macht« als noch junge Denkerin.

Das herrschende Gesetz drohte, einem »Ärger [trouble] zu machen«, ja einen »in Schwierigkeiten [trouble] zu bringen«, nur damit man keine »Unruhe [trouble] stiftete«. | S. 71

Die Aufgabe sei also herauszufinden, was der beste Weg ist, in »trouble« zu sein.

Judith Butler | Bild: University of California, Berkeley
Judith Butler | Bild: University of California, Berkeley (Wikipedia)

Die Illusion männlicher Autonomie

Eine bestimmte Schwierigkeit für eine Frau in einer von Männern dominierten Kultur bestehe darin, für diese Männer eine Art »weibliches Mysterium« zu sein. So gibt Butler einen Gedanken der Philosophin Simone de Beauvoir wieder, bekannt für die Zeile:

Man kommt nicht als Frau zur Welt. Man wird es.

Auch bei Beauvoirs Lebensgefährten Jean-Paul Sartre findet sich die Vorstellung vom »weiblichen Mysterium«. Sartre setzte jedes Begehren als heterosexuell und männlich bestimmt voraus. Dieses Begehren werde gestört, wenn das Objekt der Begierde (die Frau) den Spieß umdreht. Das geschieht durch ihre bloße Aktivität. Etwa durch Erwidern eines Blickes. Damit kann die Autorität zwischen den sich Sehenden schon die Seiten wechseln. Diese Abhängigkeit im Subjekt-Objekt-Verhältnis entlarvt die männliche Autonomie gegenüber des weiblichen »Anderen« als Illusion.

Gibt es das »schwache Geschlecht«? Hier eine biologische Annäherung an diese Frage, auf Grundlage von Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht (1949).

Das Wesen der Macht

Macht umfasst mehr als das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt. Für Judith Butler offenbart sich Macht im Schaffen eines »binären Rahmens, der das Denken über die Geschlechtsidentitäten bestimmt«. Binär heißt zweiteilig. Gemeint ist die Vorstellung, es gäbe in Fragen der Geschlechtsidentität nur zwei Antworten. Bekanntermaßen Mann und Frau.

[…] diese Differenz, die als Machtapparat operiert, ist von der ständigen Schwierigkeit gekennzeichnet, »zu bestimmen, wo das Biologische, das Psychische, das Diskursive, das Soziale anfangen und aufhören«, ein Problem, das streng genommen nicht eindeutig gelöst werden kann, denn die Geschlechterdifferenz hat, so nimmt Butler an, »psychische, somatische und soziale Dimensionen, die sich niemals gänzlich ineinander überführen lassen, die aber deshalb nicht endgültig voneinander abgesetzt sind«.

Hannelore Bublitz, in: Judith Butler zur Einführung (2002), S. 77

Die Beschränkung auf die Kategorien »Männer« und »Frauen« beschert solange kein Unbehagen, solange man sich innerhalb dessen befindet, was Judith Butler die »heterosexuelle Matrix« nennt. 

Der Begriff heterosexuelle Matrix steht in diesem Text für das Raster der kulturellen Intelligibilität [die Fähigkeit, Zusammenhänge nur durch den Intellekt zu verfassen, ohne sinnliche Wahrnehmung], durch das die Körper, Geschlechtsidentitäten und Begehren naturalisiert werden. Ich stützte mich auf Monique Wittigs Begriff des »heterosexuellen Vertrags«, und weniger stark auf Adrienne Richs Begriff der »Zwangsheterosexualität«. | S. 219

Die heterosexuelle Matrix

Mit der »heterosexuellen Matrix« meint Butler eine Welt, in der man davon ausgeht, dass es zwei Geschlechtsidentitäten gibt (Frauen, Männer). Zu passend existieren zwei körperlicher Geschlechter (weiblich, männlich), die einander natürlich begehren. Mit dieser Weltsicht geht also eine Zwangsheterosexualität einher. Das ist die normative Kombination von Frauen und Männern als Geschlechtspartner. Im Vorwort zu Das Unbehagen der Geschlechter fragt Judith Butler:

Wie kann man am besten die Geschlechter-Kategorien stören, die die Geschlechter-Hierarchie (gender hierarchy) und die Zwangsheterosexualität stützen? | S. 8

Female Trouble

An dieser Stelle kommt Butler in Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble auf den Begriff »female trouble« zu sprechen. Das ist im Englischen eine umgangssprachliche Beschönigung weiblicher Unpässlichkeiten, wie sie etwa mit der Menstruation, beziehungsweise gynäkologischen Untersuchungen einhergehen können. Oder es sind andere intime Körper-Angelegenheiten gemeint, die man je nach Situation gerade nicht beim Namen nennen möchte. Daher, in aller Diskretion: »female trouble«. Dass in diesem Begriff die Vorstellung mitschwingt, dass »weiblich sein« an sich eine Art Unpässlichkeit ist, macht deutlich, wie durch den Gebrauch bestimmter Floskeln solch Vorstellungen tradiert werden.

Die Destabilisierung des Diskurses

Female Trouble (1974) ist auch der Titel eines Films von John Waters. Durch diesen Hinweis will Butler eine mögliche Angriffsfläche vermeintlich in Stein gemeißelter Geschlechtsidentitäten aufzeigen. Sowohl in Female Trouble als auch später in Hairspray (1988) – unter anderem – spielt der Schauspieler Harris Glenn Milstead, besser bekannt als Drag-Queen Divine, jeweils Doppelrollen als Mann und Frau. Seine Frauenrollen nehmen wohlgemerkt stets den größeren Teil ein. Divines Spiel mit Geschlechtsidentitäten lassen diese als schieren Akt der Nachahmung erscheinen, die als real wahrgenommen wird. Man sehe sich nur ein paar Filme mit Divine an und entscheide dann, ob die Person hinter den mal männlichen, mal weiblichen, meist schrillen Figuren nun eine Frau oder ein Mann ist?

Divine und ihr Bräutigam Gator heiraten, eine Szene aus Female Trouble (1974) | Bild: Pinterest
Divine und ihr Bräutigam Gator heiraten, eine Szene aus Female Trouble (1974)

Judith Butler stellt in Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble fest, dass Divine durch seine Auftritt unsere vermeintlich festen Unterscheidungen von natürlich/künstlich, Tiefe/Oberfläche, Innen/Außen destabilisiert. Über diese Unterscheidungen funktioniere meist der Diskurs über die Geschlechtsidentitäten. Durch besagte Destabilisierung werde eben dieser selbst erschüttert.

Könnte es etwa sein, dass »männlich sein« oder »weiblich sein« keine »natürliche Tatsache«, sondern eine kulturelle Performanz ist? Damit ist nicht etwa eine rein schauspielerische Leistung gemeint. Stattdessen geht es um ein bestimmtes Verhalten, das an den Tag gelegt wird. Und was ist schon »natürlich«? Judith Butler fragt im Vorwort von Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble:

Wird die »Natürlichkeit« durch diskursiv eingeschränkte performative Akte konstituiert, die den Körper durch die und in den Kategorien des Geschlechts (sex) hervorbringen? | S. 9

Der performative Akt

Ein performativer Akt ist eine Sprachhandlung. Also eine Handlung, die durch das Sprechen selbst geschieht. Beispiel: »Hiermit ernenne ich euch zu rechtmäßigen Eheleuten.« Durch die gesprochenen Worte der Pastorin wird der Akt vollzogen und das Paar ist verheiratet. Mit »diskursiv eingeschränkt« meint Butler, dass solche performativen Akte nur innerhalb der Schranken dessen möglich sind, was wir im Diskurs (unserer fortwährenden Erörterung der Dinge) erschlossen haben. Wenn unser Diskurs nur zwei Kategorien des Geschlechts hervorgebracht hat, neigen wir dazu, diese Kategorien – durch performativen Akte, also ständig wiederholte Sprachhandlungen – für »natürlich« zu erklären.

Ein performativer Akt kann also sein…

…die Pastorin, die sagt: »Hiermit taufe ich dich Eva.« Durch ihre gesprochenen Worte wird der Akt der Taufe (samt dem rituellen Drumherum) vollzogen. Das Kind trägt fortan einen Namen, der mit reichlich Bedeutung aufgeladen ist. Und zwar in verschiedenen Sprachen und Kontexten, nicht nur dem biblischen.

…die Hebamme, die sagt: »Es ist ein Mädchen.« Durch ihre gesprochenen Worte wird das weibliche Kind aufgrund seines primären körperlichen Geschlechtsmerkmals der von uns konstruierten Kategorie »Mädchen/Frau« zugeordnet. Dieser Kategorie haften etliche Bedeutungen und gesellschaftliche Vorstellungen an, samt einer Geschlechtsidentität. (In der heterosexuellen Matrix gehen wir davon aus, dass dieses Kind später einen Menschen männlichen Geschlechts begehren wird, einen »Jungen/Mann«.)

Das, was gemeinhin als »natürlich« gilt, ist in homosexuellen Kulturkreisen ein beliebter Stoff für Parodien. Ziel sei, so Butler in Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble, die Entlarvung vermeintlich »ursprünglicher« oder »wahrer« Geschlechter als reine Konstruktion, die wir durch performative Sprechakte tradieren.

Damit stellt sich die Frage, welche anderen grundlegenden Kategorien […] als Produktionen dargestellt werden können, die den Effekt des Natürlichen, des Ursprünglichen und Unvermeidlichen erzeugen. | S. 9

Die Enthüllung der Effekte

Um die Kategorien des Geschlechts, der Geschlechtsidentitäten und des Begehrens als solche Effekte kenntlich zu machen, bedarf es einer genealogischen Kritik. Eine solche »richtet das Wissen um die Gewordenheit eines Objekts gegen dieses, um es durch einen Hinweis auf seinen Ursprung zu kompromittieren« (Quelle: Information Philosophie). Der hinterfragende Ansatz müsse lauten: Welche politischen Einsätze sind davon abhängig, dass die bekannten Identitätskategorien als Ursprung oder Ursache gelten, statt als Effekte »von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen« vielfältigen, undurchschaubaren Ursprungs?

Das Ziel von Gender Trouble

Damit kommen wir zu der Aufgabe, die Judith Butler mit Das Unbehagen der Geschlechter / Gender Trouble erfüllen möchte. Ihre Schrift soll den Fokus auf die besagten Effekte prägenden Institutionen richten. Namentlich auf die Zwangsheterosexualität und den Phallogozentrismus, demnach Weiblichkeit aus rein männlicher Perspektive betrachtet und definiert wird. Diese Institutionen müssen, so Butler, dezentriert werden.

Die Begriffe »weiblich« und »Frau« sind in ihrer Bedeutung längst verworren. Sie existieren zudem nur in Relation zu »männlich«, »Mann«. Butler geht es nicht darum, die Frage der primären Identität zu klären. Stattdessen geht es um die politischen Möglichkeiten, die sich im Hier und Jetzt ergeben, wenn man die bestehenden Identitätskategorien einer Kritik unterzieht. Judith Butler fragt:

Welche neue Form von Politik zeichnet sich ab, wenn der Diskurs über die feministische Politik nicht länger von der Identität [als »Frau«] als gemeinsamen Grund eingeschränkt wird? | S. 10

Der Versuch, feministische Politik auf einer solchen gemeinsamen Identität zu begründen, könne eine Behinderung sein. Er schließe womöglich »die Erforschung der politischen Konstruktion und Regulierung der Identität selbst aus«. Mit dieser Mahnung geht Judith Butler im Vorwort von ihrer Einleitung in die Erläuterung der Struktur ihrer Schrift Das Unbehagen der Geschlechter über.

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DIE WICHTIGEN DINGE von Peter Carnavas | Kinderbuch 2015 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-die-wichtigen-dinge-2015/ http://www.blogvombleiben.de/buch-die-wichtigen-dinge-2015/#respond Sun, 03 Jun 2018 03:00:30 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3688 Wenn der Vater nicht mehr Teil der Familie ist, reißt das ein Loch ins Leben. Dieses…

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Wenn der Vater nicht mehr Teil der Familie ist, reißt das ein Loch ins Leben. Dieses versucht Christophers Mutter nun allein zu füllen. Im Bilderbuch Die wichtigen Dinge erzählt und schweigt Peter Carnavas über das Loslassen und Festhalten kleiner und wichtiger Dinge. 

Woran willst du dich erinnern?

In der ersten Klasse hatte ich eine Glasmurmel, die ich gerne bei mir trug oder zwischen meinen Fingern gleiten ließ. Irgendwie hatte sie etwas Magisches an sich. Doch eines Tages war sie plötzlich weg. Einfach futsch. Es liefen Tränen, ich verweigerte einen Ersatz, Drama, Drama. Wegen einer banalen Glaskugel. Aber so sind Kinder halt. Manchmal Heulsusen und manchmal erstaunlich tiefgründig. Denn die Dinge, die uns wichtig sind, murmeln etwas über unser Wesen.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Die wichtigen Dinge

Wichtig ist mir bei einem Bilderbuch zu allererst das Cover. So waren es die niedlich gezeichneten Figuren auf dem Titelbild von Die wichtigen Dinge, die mich an den liebreizenden Stil der Illustratorin Joëlle Tourlonias erinnerten, und der bedeutungsschwangere Titel, die mich zur Ausleihe veranlassten.

Zum Inhalt: Die wichtigen Dinge von Carnavas erzählt die Geschichte von Christophers Mutter, die permanent mit Dingen rund um Familie, Haus, Hund und Garten beschäftigt ist. Denn der Vater von Christopher ist nicht mehr da und es gibt viel zu tun. Doch plötzlich kehren wie von Geisterhand Vaters abgegebene Dinge aus dem Trödelladen nach und nach ins Haus zurück. Was ist da los?  

Zur Wirkung des Buchs

Warum Christophers Vater nicht anwesend ist und wo er nun steckt, das verrät der auktoriale Erzähler nicht. Somit besinnt sich die Story auf die wichtigen Dinge: das neue Leben von Mutter und Sohn. Ein Mikrokosmos, der für Kinder mit nur einem Elternteil und für Alleinerziehende sicher das Zentrum der Aufmerksamkeit ist und somit reichlich Identifikationspotential bietet.  

Inwieweit die kleine Familie jedoch glücklich ist, lässt sich bis zum Schluss der Geschichte nicht eindeutig beantworten. Das mag sowohl am sparsamen Text als auch am undurchschaubaren Gesichtsausdruck der Figuren liegen, die während des ganzen Buches in sich gekehrt wirken. Überhaupt mutet das Buch auffällig leise, fast schüchtern an, da den Lesern Gedanken und Gefühle der Figuren verwehrt werden. Diese Kombination an reduzierten textlichen und visuellen Elementen verleihen der Geschichte eine grundlegende Melancholie, die sich durchs gesamte Werk zieht. 

Nur ein Wort 

Christopher schaut schweigend dabei zu, wie seine Mutter die Habseligkeiten vom Familienvater in einen Karton packt und beim Trödelladen abgibt. Auch bleibt Christopher sprachlos, als auf seltsame Weise dieselben Dinge wieder in der Wohnung auftauchen und seine Mutter fragt: »Haben wir die nicht in den Karton gepackt?«. Christophers Reaktion bleibt aus. Das Grübeln der Mutter dauert an, bis sie in einer schlaflosen Nacht eine überraschende Entdeckung macht (Achtung Spoiler):

Es ist Christopher, der heimlich Vaters Dinge wieder ins Haus holt.  

Schließlich möchte er sich an seinen Vater erinnern, während seine Mutter diesen vergessen will. Ein Konflikt, dem sich Trennungskinder nicht selten gestellt sehen. Doch statt mit dem Kind darüber zu reden und einen Kompromiss zu schließen, beugt sich die Mutter Christophers Wunsch wortlos und räumt alle Besitztümer des Vaters zurück ins Haus. Was in ihr vorgeht, als sie ausdruckslos auf die Habseligkeiten des Vaters blickt, weiß nur der Autor. Ein Ende, von dem ich mir in einem Kinderbuch über solch ein sensibles Thema etwas mehr Aufklärung gewünscht hätte. Zumindest um dem Kind in seiner egozentrisch angelehnten Entwicklungsstufe (Schlaumeier-Notiz: Piaget nennt die Phase zwischen 2 und 7 Jahren präoperatonial und sie hat nichts mit Egoismus zu tun) bei der Wahrnehmung anderer Perspektiven Hilfestellung zu leisten. In dieser Hinsicht bleibt sich der Autor immerhin treu und überlässt die Interpretation und Wertung allein den Lesern. 

Ausschnitt aus der kindlichen Lebenswelt 

Mit dem Thema »Verlust« greift der Autor einen Bereich der kindlichen Lebenswelt auf, zumindest der Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen müssen. Für Betroffene gehört das Bewahren und Ausmisten von Gegenständen eines ehemaligen Familienmitglieds entsprechend zum vertrauten Terrain. Insbesondere Kinder tendieren dazu, materiellen Dingen einen emotionalen Wert zu verleihen, der für Erwachsene nicht immer nachvollziehbar ist. In Christophers Welt handelt es sich ebenfalls um emotional aufgeladene Dinge, die stark mit dem Vater assoziiert werden. Umso überraschender: Die Abgabe des Kartons vollzieht sich ohne nennenswerte Emotionen, so dass zu spekulieren bleibt, ob sich Mutter und Sohn mental bereits von dem Vater gelöst haben. 

Pokerface und Papageist 

Mit liebevollen und im Gegensatz zu Auch Monster müssen schlafen dezenten Buntstift-Illustrationen, mal im Panoramaformat, mal in mehreren Einzelbilder-Folgen zeichnet Carnavas eine fürsorgliche Mutter, während Christopher stets in ihrer Nähe ist. Beide schmächtige Figuren, die nur verhalten lächeln, wirken wie die Dinge selbst klein, fast verletzlich. Ihr winziger Hund verstärkt den Beschützerinstinkt, den man für sie entwickelt. Durch den Fokus auf das Zusammensein von Mutter und Kind zeigt Peter Carnavas eindringlich, wie sie sich gegenseitig Halt geben. Mehr erfahren wir nicht. Vielleicht, weil die dritte Rolle der Vater einnimmt, der wie ein Schatten die Geschichte begleitet und auf diese Weise Teil der Familie bleibt. Die Gefühle und die Vergangenheit der Familie bleiben ein Rätsel, über das man am besten mit den kindlichen Lesern spricht.  

Fazit zu Die wichtigen Dinge 

Peter Carnavas Buch stimmt nachdenklich und weist in kindgemäßer Sprache auf die Schwierigkeit zwischen Loslassen und Festhalten in einer zerrissenen Familie hin. Seine unaufdringlichen und hübschen Illustrationen passen ideal zum Inhalt der Geschichte. Was fehlt, ist der Dialog zwischen Mutter und Kind, der den kleinen Lesern einen Lösungsweg, einen Kompromiss aufzeigt. Ein Bilderbuch mit ästhetischen Bildern und Geheimnissen, welches sanft ins Verlustthema einführt, und zeigt, dass auch kleine Dinge bedeutsam, für andere jedoch belastet sein können. Ich vergebe 7 von 10 Sternen.

 


Titel  Die wichtigen Dinge 
Erscheinungsjahr  2011, Neu: 2015
Autor/Illustrator  Peter Carnavas 
Verlag  Boje (2011), Carl-Auer Verlag (2015)
Seiten  36 Seiten 
Altersempfehlung  4-6 Jahre 
Thema  Abschied, Kinder- und Jugendtherapie

 


Weblinks:
  • Die offizielle Website des Autors und Illustrators Peter Carnavas
  • Die offizielle Website des Carl-Auer Verlags

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ISLE OF DOGS mit Greta Gerwig | Film 2018 | Kritik, Review http://www.blogvombleiben.de/film-isle-of-dogs-2018/ http://www.blogvombleiben.de/film-isle-of-dogs-2018/#respond Wed, 30 May 2018 07:59:10 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3527 Wes Anderson ist wieder da! Einmal mehr hat er die Berlinale eröffnet, dieses Mal mit seinem…

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Wes Anderson ist wieder da! Einmal mehr hat er die Berlinale eröffnet, dieses Mal mit seinem zweiten Animationsfilm: Isle Of Dogs. Es geht um eine dystopische Zukunft, in der alle Hunde auf eine dreckige Müllinsel verbannt werden, um dort elendig zu verrecken. Allein ein kleiner Junge macht sich die Mühe, auf dieser Insel seinen verschollenen Hund zu suchen, unter Lebensgefahr. Klingt alles hart, ist trotzdem für Kinder geeignet. Eigentlich. Aber…

Hinweis: Liebe Leser*innen, dieser Text enthält keine Spoiler. Er verrät überhaupt wenig zur Handlung, dafür empfehle ich den Trailer oder Wikipedia (doch da gibt’s Spoiler, aufgepasst!). Stattdessen schauen wir uns an, was der Film gut macht – und was nicht. Der Film ist am 10. Mai 2018 in deutschen Kinos angelaufen.

Der Charakter von Greta Gerwig in dem Animationsfilm Isle Of Dogs | Bild: Twentieth Century Fox
Der Charakter von Greta Gerwig in dem Animationsfilm Isle Of Dogs | Bild: Twentieth Century Fox

Die Menschheit hat Hunde nicht verdient

Sag‘ mal Isle Of Dogs, dreimal schnell nacheinander: Isle Of Dogs, Isleofdogs, I love dogs. Ja, das dürfte kein Zufall sein. Der Animationsfilm zeigt den besten Freund des Menschen zwar nicht von seiner hübschesten Seite. Doch eben das ist zu begrüßen. Es lenkt den Blick auf den Aspekt, der Hunde so großartig macht. Nicht ihr niedliches, stattliches, wie auch immer geartetes Äußeres, sondern ihr bemerkenswert treues, manchmal liebenswert treudoofes Wesen. Ein Wesen so viel reiner als unser menschlich zerrissenes Sein. Anna Greer hat in ihrer Rezension für das Frauen-Lifestyle-Magazin Bust diese schöne Beobachtung gemacht (aus dem Englischen übersetzt):

Man mag an manchen Stellen weinen, denn die Menschheit hat Hunde nicht verdient. | Anna Greer

Totale: Isle Of Dogs im Zusammenhang

Historischer Kontext

In diesem Sinne ist Isle Of Dogs eine wunderbare Fabel über Menschen und Hunde und warum Letztere unsere ewigen, wahren Helden sein werden. Unter anderem nämlich weil Erstere es schaffen, selbst ein visuelles Meisterwerk wie Isle Of Dogs mit ihren allzu menschlichen Flausen zu füllen. Dazu nochmal Anna Greer, die weiter schreibt:

Man mag an manchen Stellen mit den Augen rollen, weil ein Mädchen eine politische Wutrede damit beendet, dass sie realisiert, wie verknallt sie in ihr politisches Idol ist – was als Punchline herhalten soll. Zuschauer*innen müssen sich seit Jahrzehnten mit guten und trotzdem problematischen Filmen abfinden. In der Ära von Black Panther und Das Zeiträtsel sollen wir an gute Filme höhere Ansprüche stellen und mehr erwarten von den Geschichten, die sie uns erzählen wollen.

Genau das soll im Folgenden geschehen. Wer es noch nicht weiß, kann’s in einem bunten Strauß deutscher Filmkritiken lesen (die DIE ZEIT, FAZ, taz und Co): Isle Of Dogs ist ein wunderschöner Animationsfilm von beispielloser Detailverliebtheit. Die Handlung spielt in einem fiktiven Japan der nicht so fernen Zukunft, in etwa 20 Jahren. Die Geschichte des Films indes bedient sich der zurückliegenden Geschichte der Menschheit – mit ihren totalitären Systemen, Propaganda und Hetze, Abschottung und Ausrottung. Ob die Zuschauer*innen bei gewissen Kulissen, Charakteren oder Twists an Ausschwitz, Stalin oder Trump denken, ist letztlich austauschbar. In Sachen historischer Assoziationen ist jede*r mal wieder eingebettet in ihre oder seine kulturelle Standortverbundenheit. Egal wann und wo, das Böse wohnt in uns. Auch in etwa 20 Jahren in einem fiktiven Japan, daran kein Zweifel.

Persönlicher Kontext

Ich persönlich stecke all meine Hoffnung in künstliche Intelligenz und Roboter, um uns Menschen die Makel auszutreiben. Aber das ist ein anderes Thema (mit dem man bei Grillabenden und anderen alltäglichen Gelegenheiten nicht gut landet, nur so am Rande). Den Film Isle Of Dogs habe ich spontan auf Einladung eines Kumpels im Aachener Apollo Kino gesehen, Original mit Untertitel. Tatsächlich hat mich die Bildgewalt so eingenommen, merke ich gerade, dass ich mich an gar keine Untertitel erinnern kann. Auf meiner Liste stand der Film im Übrigen wegen Greta Gerwig (Frances Ha, Hannah Takes The Stairs, Lady Bird), über die ich in letzter Zeit so viel gelesen und geschrieben habe, dass ich mir ihr neustes Projekt nicht entgehen lassen wollte. Greta Gerwig leiht in Isle Of Dogs jenem politisch ambitionierten Mädchen die Stimme, das sich in den Filmhelden verliebt.

Close-Up: Isle Of Dogs im Fokus

Erster Eindruck | zum Auftakt des Films

Als Greta Gerwig auf der Berlinale von kinowetter nach ihrem ersten Eindruck vom fertigen Film gefragt wurde, erzählte sie, dass sie ihren Part an nur einem Nachmittag (!) vor über zwei Jahren eingesprochen hat, auf Grundlage von Animatics. Greta Gerwig hat also selbst erst mit dem Trailer einen Eindruck von der visuellen Kraft bekommen, die diesen Film schon im Vorspann und herrlich komischen Prolog begleitet.

Es ist absolut faszinierend: Irgendwann rund um die Dreharbeiten seines ersten Animationsfilms Fantastic Mr. Fox (2009) wurde der Regisseur Wes Anderson in London auf ein Straßenschild zur Isle Of Dogs aufmerksam (die es tatsächlich gibt, als Ort, wo irgendein König einst seine Jagdhunde hielt, wie Anderson beim Q&A im Lincoln Center erzählt). Diese kleine Beobachtung war der Auslöser dafür, dass Anderson mit seinem Team die Idee zum Film Isle Of Dogs entwickelte und Jahre später eine Hundertschaft von Künstlerinnen die Insel der Hunde als Kulisse für ein Stop-Motion-Spektakel erschufen – mit atemberaubendem Aufwand.

Die Künstler hinter den Kulissen

So sehr man Wes Andersons visionären, markanten Stil feiern mag, der seine ganze Filmografie wie eine sehr dominante Handschrift durchzieht und auch Isle Of Dogs von den ersten Sekunden an prägt, muss man gerade bei diesem Film die Künstlerschar im Hintergrund mal nach vorne holen. Nick Chen hat für Dazed ein Interview mit dem Kameramann Tristan Oliver, dem animation director Mark Waring sowie Angela Kiely geführt, ihrerseits head of puppet painting. Sie sagt zum ersten Eindruck vom Gesamtwerk:

Angela Kiely: […] man sieht den Film immer nur in Fragmenten. Man sieht eine bestimmte Sekunde immer und immer wieder, aber nicht das große Ganze. […] Als wir den Film endlich gesehen habe, hat er uns weggefegt!

Selbst ohne, dass man Jahre an intensiver Arbeit in dieses Projekt gesteckt hat, fegt es mich weg. Was für ein Augenschmaus, was für ein toller Humor! Dieser Humor durchzieht übrigens auch das Making-of, das FOX Searchlight in Ausschnitten veröffentlicht hat. Es lohnt sich wirklich, mal in diese Playlist reinzuschauen, um einen klitzekleinen Eindruck davon zu bekommen, was für ein Mammutprojekt Isle Of Dogs eigentlich ist!

Hinter den Kulissen von Isle Of Dogs:

Bleibender Eindruck | Zur Wirkung des Films

Aber wie eingangs angedeutet: higher standards! Wir sollten mit höheren Ansprüchen an ein Kunstwerk herantreten können, das im Jahr 2018 von einem gestandenen Meisterregisseur kommt, der nicht zum ersten Mal in der Kritik steht. Schon nach Darjeeling Limited (2007) machte man Anderson zum Vorwurf, sich der indischen Kultur in einem geradezu kolonialistisch anmutenden Kunstgriff nur zu ästhetischen/visuellen Zwecken zu bedienen. Ähnliches kann man ihm nun nach Isle Of Dogs bezüglich Japan an den Kopf werfen. Die japanische Kultur wird durch die Touristenbrille durch seine Must-Haves definiert: Sumo, Sushi, Yoko Ono!? Dadurch, dass alles japanische Gesprochene nicht übersetzt wird, bleiben uns die Kultur und Charaktere auf Distanz. Und ausgerechnet die amerikanische Austauschschülerin – das von Greta Gerwig synchronisierte Mädchen – mausert sich zur Retterin ihrer japanischen Freunde.

Gebärende Hündinnen und schwärmende Mädchen

Immerhin ein Mädchen, mag man jetzt munkeln, da ich schon das Sexismus-Problem von Isle Of Dogs angedeutet habe. Ich frage mich, mit welchen Gefühlen Greta Gerwig, nachdem sie den Film in Berlin erstmal als Gesamtwerk gesehen hat, diesbezüglich das Kino verlässt: Der Haupt-Cast des Films ist komplett männlich, sowohl die fünf Vierbeiner als auch Atari, der Junge, um dessen Heldenreise es im Großen und Ganzen geht. Die einzigen weiblichen Hunde sind Nutmeg, das schöne, Tricks aufführende Show-Hündchen mit der lasziv anmutenden Stimme von Scarlett Johansson (dass ich diese Stimme als lasziv empfinde, ist vermutlich sexistisch meinerseits) sowie die Hündin, deren Name mir nicht mal einfällt, die aber ohnehin nur dazu da ist, um dem Alpha-Hund einen Schwung Welpen zu gebären.

Unter den menschlichen Vertretern ist da eben noch die Wissenschaftlerin, die von Yoko Ono gesprochen wird, und in ihrer einzigen größeren Szene einem verstorbenen Mann nachtrauert. Kurzum: Greta Gerwigs Rolle ist die einzige nennenswerte weibliche Hauptrolle, deren Motivation nicht etwa rein idealistischer Natur ist, sondern natürlich die Schwärmerei für den Jungen Atari.

Es mag kleinlich wirken, offensichtliche Kino-Meisterwerke auf solch scheinbar banale Rollenverhältnisse zu inspizieren. Es mag zufällig wirken, dass es jetzt halt ausgerechnet mal so ist, dass alle Haupt-Hunde männlich sind. Doch je öfter ich darauf achte, desto weniger scheint mir Zufall als vielmehr tradiertes Storytelling zugrunde zu liegen. Und damit werden gerade den jüngeren Zuschauer*innen bestimmte Rollenverhältnisse weiterhin als Norm etabliert: Männchen handeln heldenhaft und Weibchen sehen gut aus, gebären Welpen und himmeln ihre Männchen an.

Fazit zu Isle Of Dogs

Als Kind habe ich Wile E. Coyote und Road Runner geliebt, der liebenswert-dämliche Koyote auf der Jagd nach dem komischen Vogel. Meep meep! Diesen harmlosen Humor finde ich im Film Isle Of Dogs wieder. Auch einen Hauch von der Poesie des kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry und überdeutlich eine Parabel à la Farm der Tiere von George Orwell. Für andere Kinogänger*innen offenbaren sich Referenzen an das japanische Kino eines Akira Kurosawa, kurzum: Es ist für jede*n was dabei! Isle Of Dogs ist ein unterhaltsames Kunstwerk mit bewussten und unfreiwilligen Messages, die es zu diskutieren lohnt. Daher: Absolut sehenswert!


Weblinks:
  • Filmkritik | Anke Westphal (epd) über den Film Isle Of Dogs
  • Filmkritik | Julie Bindel (The Spectator) über den Film: Isle of Dogs is a sexist disgrace (englisch)
  • Filmkritik | Ann Hornaday (Washington Post) über den Film: Wes Anderson brings his jewel-box aesthetic to Japan with ‘Isle of Dogs’ (englisch)

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EIN HAUFEN FREUNDE HÄLT ZUSAMMEN | Kinderbuch 2016 | Kritik http://www.blogvombleiben.de/buch-ein-haufen-freunde-haelt-zusammen-2016/ http://www.blogvombleiben.de/buch-ein-haufen-freunde-haelt-zusammen-2016/#respond Wed, 23 May 2018 03:35:01 +0000 http://www.blogvombleiben.de/?p=3333 Der 23. Mai ist Welt-Schildkröten-Tag! Doch eine Schildkröte ist traurig. Denn sie ist die langsamste von…

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Der 23. Mai ist Welt-Schildkröten-Tag! Doch eine Schildkröte ist traurig. Denn sie ist die langsamste von allen. Zum Glück hat sie Freunde, die sich etwas ganz Besonderes überlegt haben. Über das wunderbare Kinderbuch Ein Haufen Freunde hält zusammen von Kerstin Schoene.

Die Gene und das Geniale

Es ist nicht immer fair, was uns in die Wiege gelegt wurde. Manche haben eine Affinität fürs Musizieren wie mein Vater und mein Bruder. Andere sind einfach zu ungeduldig, um sich für Saiteninstrumente Hornhaut wachsen zu lassen, wie meine Mutter und ich. Umso bereichernder ist es, Freunde zu haben, deren Genialität die eigenen Schwächen verpuffen und Großes erreichen lassen.

Bloggerin Sonia Kansy mit dem Kinderbuch Ein Haufen Freunde hält zusammen

Zum Inhalt des Buchs Ein Haufen Freunde hält zusammen

Wie ein Häufchen Elend verkriecht sich die kleine Schildkröte im Schutz ihres Panzers. Die Betrübtheit ihres Freundes bemerken auch die anderen Zootiere und fragen besorgt nach. Von all den Tieren, klagt die Schildkröte, sei sie diejenige, die nicht Schritt halten kann. Die immer so unendlich viel Zeit braucht. Um ihre Freundin aufzumuntern, tüfteln die Tiere, die Giraffe, das Zebra, der Elefant und der Flamingo einen Plan aus. Gemeinsam mit allen Zootieren bauen sie mit ihren Körpern eine Tierrutsche, auf der die Schildkröte mit einem kräftigen Schubser (durch die Leser*innen) so schnell wie kein anderes Wesen entlang schlittern kann – bis in die Nacht. Durch den starken Zusammenhalt aller Zoobewohner wird der Wunsch der Schildkröte, sich zügig fortzubewegen, endlich wahr.

 Zur Wirkung des Buches

Wie in ihrem ersten »Haufen«-Buch Ein Haufen Freunde (2013) erzählt die Illustratorin und Autorin auch in ihrem Fortsetzungswerk Ein Haufen Freunde hält zusammen auf wundervolle und kindgemäße Weise, wie man gemeinsam mit guten Freunden alles schaffen kann. Somit greift die Story mit dem Thema der Freundschaft einen wesentlichen Aspekt aus der kindlichen Lebenswelt auf. Zumal die ersten Freundschaften im Kindergarten geknüpft und manchmal bis zum Lebensende gehalten werden.

Hier wird zum ersten Mal mit anderen Kindern verglichen (klassisch: das Butterbrot), nachgemacht (beliebt: Malmotive und Spielzeug), und mit Enttäuschungen und Freude umgegangen (die Schaukel ist besetzt – whoohoo, wieder frei!). Eben diese Lebensnähe des Vergleichens und Traurigseins, wie dies die Schildkröte in Ein Haufen Freunde hält zusammen tut und fühlt, ermöglicht Kindern ab 4 Jahren den direkten Zugang zur Geschichte und eine grundsätzliche Identifikation mit dem liebenswerten Kriechtier.

Werte, die das Leben wertschätzen

Vor dem Hintergrund, dass Kinderbücher und Geschichten die Werte und Empathiefähigkeit von Kindern mitprägen, gelingt es Kerstin Schoene, eine großartige Botschaft einfach und eindringlich an die kleinen Leser zu richten. Durch das Mitgefühl, die Kreativität und die Zeit, die sich die Tiere nehmen, schaffen sie es, ihrer Freundin einen Wunsch zu erfüllen. Dazu denken sie sich gemeinsam etwas aus. Aber damit der Plan auch aufgeht, brauchen die Tiere in Ein Haufen Freunde hält zusammen die Hilfe der Kinder.

»Du da!« fordern die Tiere das Kind auf Augenhöhe auf, der Schildkröte einen Schubser in die richtige Richtung zu geben. Durch diese Interaktivität werden die Leser*innen nicht nur zur Hilfsbereitschaft animiert, sondern gleichzeitig zu Freunden der Hauptfigur. Umso größer ist das Potenzial für die innere Anteilnahme des Kindes.

Hinweis: Ein weiteres Kinderbuch, das ich zum Thema Zoo unter die Lupe genommen habe, ist Hat das Nilpferd Streifen?

Illustrationen

Liebe auf den ersten Blick

Wie so oft habe ich bereits mit dem Buch geliebäugelt, ohne sein Inneres gesehen zu haben. So oberflächlich das auch anmutet, das Cover ist nun mal das Fenster zur Buchseele, ums mal pathetisch zu sagen. Hier beweist Kerstin Schoene bereits ihr künstlerisches Talent mit harmonischen Farbtönen und vielen Details. Etwa mit den feinen Ohrhärchen der Giraffe und den Lachfalten der Schildkröte. Herzallerliebst schmiegen sich beide zu einem Knuddelhäufchen aneinander. Ein Bild, das Geborgenheit und Freundschaft suggeriert und die Geschichte treffend anteasert. Diese Detailliebe setzt sich im Buch fort. So gibt es immer etwas zu entdecken, stets darauf bedacht, den kindlichen Blick aufs Wesentliche zu bewahren. Hierbei hilft, dass sich das Geschehen vor weißem, ruhigen Hintergrund abspielt (anders als bei Überraschung von Mies van Hout, wo alles auf schwarzem Hintergrund stattfindet).

Besonders reizend ist der Humor der Illustratorin. So formen die Tiere in gewagter Kombination eine spektakuläre Tierrutsche, die wortwörtlich Zusammenhalt erfordert: Während der Tiger sich an den Bauch des nervösen Häschens presst, ermahnen die Mäuse das Krokodil zum Klappehalten. Großartig für Kinder ist auch das Spiel mit dem Buchformat, das mal auf der Höhe der Schildkröte ausgerichtet ist, durch den Bildausschnitt zum Raten der Tiere und mal zum Hochkant-Lesen einlädt.

Fazit: 10 Sterne

Mit ihrem Fortsetzungsbuch über den »Haufen« Zootiere liefert Kerstin Schoene ein liebevolles Kinderbuch zum Thema Freundschaft und ihre Kraft, alles möglich zu machen. Mit wenig, kindgerechtem Text, spielerischem Schriftbild und wunderbaren wie humorvollen Illustrationen eignet sich das pädagogisch wertvolle Kinderbuch ideal zum Vorlesen und gemeinsamen Lesen. Geeignet ist das Buch für Kinder ab 4 Jahren. Absolut lesenswert. Ich vergebe die volle Sternenzahl. 


 

Titel Ein Haufen Freunde hält zusammen
Erscheinungsjahr 2016
Autor/Illustrator Kerstin Schoene (Autorin, Illustratorin)
Verlag Thienemann
Seiten 32 Seiten
Altersempfehlung Ab 4 Jahre
Thema Freundschaft, Zoo
Weblinks:

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