Wild Wild Country | Doku-Serie 2018 | Episodenguide, Kritik

Die Doku-Serie Wild Wild Country handelt von Rajneeshpuram. Das war eine Lebensgemeinschaft von Tausenden Anhänger*innen des indischen Gurus und Philosophen Bhagwan Shree Rajneesh, später bekannt als Osho, im amerikanischen Oregon. In sechs Folgen von je 64-71 Minuten werden die Ereignisse vom Ankauf des Gebiets für die geplante Siedlung bis 1985 thematisiert – als das Projekt endgültig in sich zusammenfiel. Wild Wild Country wurde am 16. März 2018 auf Netflix veröffentlicht.

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Vorweg einige Literatur-Tipps zum Thema (Partnerlinks, erfahre mehr dazu )

  • Yvonne Höber: Rajneeshpuram: Ein Erklärungsversuch (2004)
  • Jane Stork: Mein Weg zu Bhagwan und der lange Weg zurück in die Freiheit (2018) – Stork kommt auch in der Doku ausführlich zu Wort; ihre Geschichte gehört für mich zu den aufwühlendsten Passagen der Serie

Nachfolgend noch einige Bücher des Gurus Baghwan Shree Rajneesh, genannt »Osho«. Darüber erhält man einen Einblick in dessen Philosophie – ein Aspekt, den die Doku-Serie Wild Wild Country weitgehend ausklammert.

  • Emotionen: Frei von Angst, Eifersucht, Wut (2000)
  • Liebe, Freiheit, Alleinsein (2002)
  • Bewusstsein: Beobachte, ohne zu urteilen (2004)
  • Sex – das missverstandene Geschenk (2005)
  • Mut. Lebe wild und gefährlich (2007)

Kulturkampf im Nirgendwo

1981, Wasco County. Antelope ist ein kleiner Ort mit gerade mal 50 Einwohner*innen. Sie wollen ihren Ruhestand in der Abgeschiedenheit des entlegenen Dorfes genießen. Es gibt eine Post, ein Laden & Café, eine verwaiste Schule und natürlich die Kirche. Man kennt sich untereinander – bis eines Tages Neuankömmlinge auftauchen. Sie tragen rote Jacken, rote Joggings, ganze Horden roter Hosen strömen nach Antelope.

In der Zeitung liest man von einem »Guru mit Rolls Royce«, der eine Ranch in dem Ort gekauft habe. Ein riesiges Gelände im felsigen Nirgendwo. Fertighäuser werden hingekarrt und die Menschen in Rot lassen sich nieder. Wer sind diese Leute? Warum sind sie hier? Wie lange wollen sie bleiben? Es folgt ein Kulturkampf, in dem die Beteiligten bald zu den Waffen greifen – und anderen, niederträchtigen Mitteln. Dabei sollte es doch nur darum gehen, das Paradies auf Erden zu erschaffen.

Wer hätte gedacht, dass man Dokus bingewatchen kann?

Kolja Haaf, in: Eine Geschichte, die in den Schulbüchern stehen sollte (Süddeutsche)

Vergessenes neu erleben

Obwohl es um eine haarsträubende Geschichte geht, die weltweit Schlagzeilen machte und mit unglaublichen Wendungen und Zuspitzungen aufwartet, ist sie heute vielen Menschen unbekannt. Die Doku Wild Wild Country holt ihre Zuschauer*innen in dieser potentiellen Ahnungslosigkeit ab, indem sie zu Beginn die Perspektive der Dorfgemeinschaft von Antelope einnimmt. Im weiteren Verlauf kommen zahlreiche Perspektiven hinzu, die chronologisch von den Geschehnissen berichten, die – wo nötig – in den historischen Kontext eingebettet werden. Somit kann man Wild Wild Country getrost ohne Vorwissen sehen und hat am Ende der Serie das Gefühl, eine detaillierte Vorstellung davon zu haben, was sich in den 80er Jahren rund um Rajneeshpuram abspielte.

Wer sich also die Geschichte von der Doku Wild Wild Country erzählen lassen will, die darin einen wirklich hervorragenden Job macht, sollte nun zum Fazit springen. In den folgenden Absätzen werden einige Inhalte besprochen. Ja, genau, dies ist eine Spoiler-Warnung für reale Ereignisse .

Episodenguide zu Wild Wild Country

Die erste Folge handelt vom Auftauchen der sogenannten »Sannyasins« (den Anhänger*innen des Gurus Bhagwan Shree Rajneesh) in Oregon und den ersten Konflikten zwischen ihnen und der Bevölkerung der Ortschaft Antelope. Außerdem geht es um die Vorgeschichte der Bhagwan-Bewegung in Indien – und wie der Guru selbst in Amerika eintrifft.

Die zweite Folge thematisiert, wie die Bewohner*innen von Antelope juristisch gegen die Neuankömmlinge vorgehen wollen, doch der Schuss nach hinten losgeht. Die Sannyasins übernehmen unter Anleitung von Ma Anand Sheela, der einflussreichen Sekretärin des Gurus, kurzerhand die Lokalpolitik und bald darauf die Stadt: Aus Antelope wird Rajneeshpuram.

Die dritte Folge zeigt die Ausweitung der Konflikte, die inzwischen Verantwortliche des Staates Oregon betreffen. Es kommt zu politisch motivierter Gewalt und einer beispiellosen Aktion humanitärer Hilfe. Rajneeshpuram nimmt Obdachlose auf. Im Gegenzug sollen diese Obdachlosen nur eines tun: Wählen gehen. Nach der Stadt wollen die Sannyasins nun das County übernehmen.

Die heimliche Antiheldin: Ma Anand Sheela

Die vierte Folge nimmt Sheela als Führungsfigur in den Fokus. Die Obdachlosen-Aktion scheitert und die County-Wahl droht, einen Misserfolg für die Sannyasins zu bringen – was den ersten Bioterror-Anschlag des 20. Jahrhunderts zur Folge hatten: Mit einer Massenvergiftung soll die Wahl beeinflusst werden. Hinzu kommt, in Rajneeshpuram, ein Mordanschlag auf den Leibarzt des Gurus.

Die fünfte Folge erzählt vom Wandel der Machtstrukturen innerhalb der Sekte und der Flucht von Sheela. Mit einem kleinen Kreis engster Vertrauter setzt sie sich nach Deutschland ab. Baghwan Shree Rajneesh reagiert zornig und begeht einen Fehler, der das FBI auf den Plan ruft. Die Ermittlungen rund um Rajneeshpuram spitzen sich zu.

Die sechste Folge gipfelt in der Festnahme des Gurus, nachdem dieser versucht hat, heimlich aus Rajneeshpuram zu entkommen. Doch dem alten Mann wird nicht der Prozess gemacht – stattdessen kommt es zur Abschiebung. Über sein restliches Leben, zurück in Indien, und die Auswirkungen der Baghwan-Bewegung auf die einzelnen Beteiligten, reflektiert die Doku zum Schluss.

Kritikpunkte

Die Regisseure Maclain und Chapman Way stellen in Wild Wild Country verschiedene Meinungen und Perspektiven dar, ohne sie miteinander zu konfrontieren. Ihre Interview-Partner*innen – allesamt rhetorisch gewandte Persönlichkeiten – bekommen die Gelegenheit, ausführlich »ihre Wahrheit« zu schildern, ihre Sicht der Dinge. Dass sie dabei nie auf etwaige Widersprüchlichkeiten angesprochen werden, die uns die Doku durch ihre Vielseitigkeit vermittelt, daran kann man sich stören. Wild Wild Country gibt keine klaren Antworten, sondern bringt ein bisschen Ordnung in ein chaotisches Kapitel der Geschichte. Eine Meinung darüber machen muss man sich schon selbst.

True Detective als Reality-Show

Dadurch, dass unwahrscheinlich viel Videomaterial aus den 80er Jahren vorliegt, und all die Interview-Passagen aus mehreren Zeitebenen prächtig bebildert werden können, erinnert Wild Wild Country auf bizarre Weise an eine Staffel True Detective . Allein, dass die Geschehnisse, wenn sie Fiktion wären, als wenig glaubwürdig erschienen. Wieder einmal schlägt die Wirklichkeit unsere Vorstellungskraft.

Handelte es sich um Fiktion, würde man diese Serie auch als »Plot getrieben« beschreiben: Es geht wahnsinnig viel auf der reinen Handlungsebene. Die Ereignisse überschlagen sich und es gibt kaum Verschnaufpausen zur »Figurenzeichnung«. Tatsächlich gelingt es Wild Wild Country nicht, das Charisma seiner scheinbaren Hauptfigur einzufangen: Der Guru, dem Scharen von Menschen folgen, bleibt ein blasser Protagonist. Die eigentliche Hauptfigur, Sheela, entpuppt sich als Mastermind mit soziopathischen Zügen, von der man gen Ende fast den Eindruck hat, dass sich ein bisschen zu gut wegkommt: Diese Doku verurteilt niemanden.

Wild Wild Country ist auch ein mediales Lehrstück für die Gegenwart, in der viele Menschen – nicht nur in den USA – in ihrer eigenen Blase leben und keine anderen Perspektiven zulassen. […] Das Ergebnis ist herausragender Journalismus in Form einer Serie, die gleichzeitig Augen öffnet und Kinnladen herunterklappen lässt.

Kai Löffler, in: Von Cowboys und Sannyasins (Deutschlandfunk)

Fazit zu Wild Wild Country

Die Doku-Serie Wild Wild Country dauert über sechs Stunden und lässt doch mit dem Gefühl zurück, dass es noch so viel mehr zu erzählen gäbe. Wie war das Alltagsleben Rajneeshpuram? Was predigt dieser Guru eigentlich, außer freier Liebe? Und stimmt das mit den zerhackten Bibern!? Nichtsdestotrotz ist es den Filmemachern hoch anzurechnen, dass sie mit dem von ihnen gesetzten Fokus aus der unglaublichen Flut an Archiv-Material eine derart stringente, spannende und lehrreiche Doku geschaffen haben. Inzwischen ist ein Spielfilm basierend auf Wild Wild Country in Produktion, mit der Schauspielerin Priyanka Chopra als Ma Anand Sheela ( mehr dazu ) und Barry Levinson ( Wag the Dog ) als Regisseur.

Die Reue-Frage

Die BBC-Reporterin Ishleen Kaur hat Sheela infolge der Doku Wild Wild Country persönlich aufgesucht, um eine Frage zu klären: Empfindet die Frau, die über drei Jahre im Gefängnis saß, heute Reue für ihre Rolle in den Geschehnissen?

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