FREMDWEH mit Jesse Albert | Kurzfilm 2012

Der Kurzfilm Fremdweh entstand im Rahmen einer Bewerbung für die Kunsthochschule für Medien Köln / Academy of Media Arts Cologne zum Wintersemester 2013/14 – für den Diplomstudiengang Mediale Künste. Die Bewerbungsaufgabe gab das Thema »Obskur« vor. Dazu habe ich eine filmische Arbeit sowie ein wenig Text eingereicht. Die Geschichte eines jungen Paares und eines obskuren Phänomens: Fremdweh.

Standbild aus dem Kurzfilm »Fremdweh«

Standbild aus dem Kurzfilm »Fremdweh«

Standbild aus dem Kurzfilm »Fremdweh«

Kurzfilm als Bewerbungsaufgabe

Aus den damaligen Bewerbungsunterlagen stammen folgende Absätze, niedergeschrieben von einem 22-Jährigen, der sich viel Mühe gab, möglichst künstlerisch zu wirken.

FREMDWEH, Kurzfilm, 2012 | Vorgelegt: Film (Cinemascope, 1280×720 Bildgröße, 6 Minuten)

Zur bildlichen Bearbeitung entschied ich mich für einen Kurzfilm, weil mir dieses Format für meine Idee am Besten erscheint. Obskur, das sind für mich unheimliche Bilderwelten in Träumen, Déjà-Vus sowie das Phänomen der Seelenverwandtschaft. Davon inspiriert, habe ich »Fremdweh« geschrieben und an zwei Tagen abgedreht: Ein Drehtag fand Ende November in der Schweiz statt. Dort ließ ich mir von einem srilankischen Hobbyschauspieler die Stadt Bern zeigen und sammelte das Material für die Visualisierung der Gedankenwelt des Mädchens. Einen weiteren Drehtag veranstaltete ich mit zwei Schauspielern, die ich über Puck’s Bar engagierte, in Köln.

Zum Inhalt: Ein krankes Mädchen droht über Halluzinationen von einem Ort, den sie nie besucht, und einem Mann, den sie nie kennengelernt hat, den Verstand zu verlieren.

Schauspieler Jesse Albert im Porträt

Schauspielerin Anni C. Salander im Porträt

Ein Mädchen halluziniert

FREMDWEH, Kurzgeschichte/Essay, 2012 | Vorgelegt: Kurzgeschichte/Essay (ca. 650 Wörter)

Obskur – das ist für mich vieles, was in anderer Menschen Köpfe vorgeht. Als Autor tauche ich in eine Welt ab, in der ich die Gedanken all meiner Figuren lesen – weil schreiben – kann. Zur schriftlichen Bearbeitung des Themas »Obskur« entschied ich mich deshalb für ein Essay in Form eines Tagebucheintrags. So tastete ich mich an die Protagonisten des geplanten Kurzfilms heran – eine Art literarische Rollenausarbeitung und Vorbereitung.

Zum Inhalt: Der Freund und Pfleger eines kranken Mädchens schreibt sich seine Gedanken und Verlustängste von der Seele. Täglich erlebt er die fiebrigen Anfälle, hört wirre Erinnerungen und spürt, dass ihm das Mädchen entgleitet.

Die gesamten Film gibt es auf meinem YouTube-Kanal zu sehen – und gleich hier, in deutscher Sprache mit englischen Untertiteln:

Fremdweh – eine Kurzgeschichte

woanders hin, wenanders sehen

Wenn Leni schlief, konnten Bomben fallen. Ihre Lider legten sich wie Schotten über müde Augen. Mucke voll aufgedreht, Nachbarn am krakeelen, draußen eine Brandschutzübung und ich mit sechs Jungs in der Küche Karten schieben – Leni schlief auf dem Sofa wie in einer Seifenblase, schwebend über allem. Dafür habe ich sie immer bewundert. War der Schlaf vorbei, hatte das Leben sie zurück, in einer Form die Ihresgleichen sucht.

Wenn Leni lachte, tanzte, sich drehte, mich ansah, ließ sie mich rein in ihre Seifenblase. Große Augen voller Neugier, kleiner Körper voller Kraft, immer in Bewegung, so lernte ich Leni kennen. Jederzeit hundert Prozent geben, schlafen wie ein Stein, leben wie ein Wirbelwind. Über die Jahre verlor sich nichts von ihrer Energie, nichts von meiner Faszination.

Dann Tag X.

Kaufhaus, Rolltreppe aufwärts. Wir tragen Tüten in den Händen, reden darüber, ins Kino zu gehen. Leni auf Zehenspitzen, hebt sich zum Kuss, ich sage was, scherze, sie lacht, verdreht die Augen wie so oft, nur diesmal weiter – und klappt dabei zusammen, fällt hinten über, die Treppe hinunter. Als sei sie von einer Biene gestochen worden, die Schlafmittel injiziert und mit sofortiger Wirkung alle Gliedmaßen erschlaffen lässt. Als sie unten aufschlug, dachte ich, sie sei tot.

Krankenhaus, Fahrstuhl abwärts. Der Arzt sagt mir, es sei ihr Kopf. Eine Operation würde eingeleitet, mir bliebe nur zu warten. Je öfter man auf die Uhr schaut, desto langsamer kriechen die Zeiger voran. Ich verbrachte viele Stunden im Foyer, im Korridor, im Auto. Die längsten waren die im Warteraum. Hier stand die Zeit. Ich versuchte bewusst, nicht an Leni zu denken. Doch sonst war da nichts.

Nach Tag X.

Leni ist nicht mehr dieselbe. Sie sagen, sie haben ihr einen Tumor entfernt. Mir kommt es vor, als haben sie ihr einen Traum eingepflanzt. Ihre Seifenblase ist geplatzt, sie schläft nicht mehr richtig und das kostet ihren Körper Kraft. Ständig dämmert sie zwischen den Zuständen und erzählt mir dann von den Bildern, die sie sieht. In ihren klaren Momenten kann Leni sie beschreiben, als hätte sie einen Film gesehen, so deutlich und poetisch. Von einem fremden Mann an einem fremden Ort.

Leni ist nicht mehr dieselbe und trotzdem ist ihre Anziehungskraft geblieben, bindet mich an sie. Mit unverstellter, altbekannter Aufmerksamkeit hänge ich an ihren spröden Lippen, möchte sie berühren und festhalten wie früher. Ich wusste immer, dass sie mir irgendwann entgleitet. Dass sie plötzlich Fernweh kriegt, woanders hin will, Fremdweh kriegt, wenanders sehen will…

Meine Angst wächst mit jedem Tag, jeder Nacht dieses obskuren Fiebers. Ich spüre, wie sie abdriftet und mir entschwindet, doch nicht nach außen, sondern nach innen. Was, wenn sie dort bleibt?

Rückblickend gilt für meine Bewerbung bei der KHM, als ich auch über meine Bewerbung an der DFFB geschrieben habe: Trotz Absage empfinde ich die Zeit damals als ganz gut genutzt. Es war mein zweiter Dreh mit dem Schauspieler Jesse Albert, meine erste Begegnung mit der Schauspielerin Anni C. Salander. Mit beiden habe ich seither an verschiedensten Projekten zusammengearbeitet, darunter auch ein Spielfilm: Jenes innere Wesen, aus dem Jahr 2015.

Außerdem lernte ich durch eine spontane Reise nach Bern den dort wohnhaften Schauspieler Ramesh Thirugnanam kennen – ebenfalls ein toller Mensch, der mich bei weiteren Projekten vor der Kamera unterstützte. Letztlich war der Kurzfilm Fremdweh eine weitere Fingerübung, um mit dem Medium Film, erzählerisch und technisch, vertrauter zu werden.