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THEOGONIE von Hesiod, Musenfreund & Frauenfeind | Griechische Mythologie

Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2018 um 9:34

Eine Schöpfungsgeschichte ohne Adam und Eva , dafür mit 50-köpfigen Riesen, die einander ihre 50 Köpfe einschlagen? Wenn Hesiod von der Entstehung der Welt erzählt – lange bevor die Bibel geschrieben wurde – dann geht’s zur Sache. Die Theogonie wimmelt vor Göttern, die einander lieben, betrügen, bekriegen, und wilden Fabelwesen, die wie aus einem tierischen Baukasten zusammengesteckt daherfliegen. Manches wirkt geradezu abstrus, anderes kommt uns doch allzu bekannt vor. Ein Blick auf eines der ersten Werke dessen, was wir »Weltliteratur« nennen.

Bericht des Bauern-Dichters

The Birth of Venus (ca. 1879) von William-Adolphe Bouguereau (hier im Ausschnitt zu sehen) zeigt eine Szene aus der Theogonie von Hesiod. Venus, die Göttin der Liebe, heißt in Griechenland Aphrodite.

Totale: Theogonie im Zusammenhang

Historischer Kontext

Am Anfang der Weltliteratur stehen – von einem europäischen Standpunkt aus gesehen – zwei Namen, die schon zu Platons Zeiten berühmt waren. Die Rede ist von Hesiod und Homer , zwei Dichter, die vor ungefähr 2700 Jahren lebten. Sie waren diejenigen, die den Griech*innen die Herkunft der zahlreichen Götter lehrten, diesen Namen gaben und ihre Funktionen und Erscheinungen beschrieben. So fasste die Errungenschaft der beiden Dichter bereits Herodot (2, 53) zusammen , Urvater aller Geschichtsschreiber*innen, im 5. Jahrhundert vor Christus (dem Sohn des einzigen Gottes, an den gemäß der heute am weitesten verbreiteten Religion noch zu glauben ist). Ein paar Jahrzehnte nach dem Historiker Herodot urteilte der Heerführer und spätere Herrscher Alexander der Große: Homer sei ein Dichter für Könige gewesen, Hesiod hingegen einer für Bauern. Dinge wie Ehre, Eleganz und Schönheit haben bei Letzterem nicht allzu hohen Stellenwert.

Persönlicher Kontext

Als Sohn eines Bäckers fühle ich mich da eher zu dem Bauern-Dichter hingezogen. Dessen bekannteste Schriften – die Theogonie und Werke und Tage – sind auch viel kürzer, als Homers wuchtige Epen, die Ilias und die Odyssee . Hesiods Schöpfungsgeschichte und sein Lehrgedicht lassen sich in ein paar Mußestunden lesen. Aus diesem schändlich pragmatischen Grund habe ich mich an Hesiod herangetraut. Als Student*in der Geschichte und Philosophie kommt man an diesem frühesten aller Dichter sowieso nicht wirklich vorbei.

Und als römisch-katholisch erzogener Mensch ist es auch mal erfrischend, eine andere Schöpfungsgeschichte als die Genesis der Bibel zu lesen. In Hesiods Version der Weltentstehung, so viel sei versprochen, da gibt’s mehr Action und die krasseren Held*innen. Die Theogonie ist wie ein antikes Avengers -Prequel. Aber: Die Frauenfeindlichkeit, die das Christentum später über Jahrhunderte tradiert hat, die findet sich ebenso bei Hesiod.

Hinweis: Die Theogonie in deutscher Übersetzung und voller Länge findet sich online unter anderem unter www.gottwein.de

Close-up: Theogonie im Fokus

Erster Eindruck | zum Inhalt des Werkes

Es war einmal , am grünen Hang eines Berges in Griechenland, da lag ein junger Mann im Gras. Um ihn herum weideten die Schafe, die er zu hüten hatte. Das Gebirge hieß und heißt noch heute Helikon. Dort begegneten dem dösenden Hirten die Töchter des Zeus, dem obersten der olympischen Götter und Göttinnen. Diese Töchter waren empört über die Faulheit des Mannes, der da zwischen seinen Schafen lag:

[26] Hirtenpack ihr, Draußenlieger und Schandkerle, nichts als Bäuche, vielen Trug verstehen wir zu sagen, als wäre es Wahrheit, doch können wir, wenn wir es wollen, auch Wahrheit verkünden. 1

Im Auftrag der Musen

Mit eben dieser Mission schicken sie ihn los: Die Wahrheit soll der Mann verkünden! Sein Name ist, natürlich, Hesiod – und jene Töchter, das waren die Musen. Sie brachen den Zweig eines Lorbeerbaums ab, übergaben ihn dem Mann als Stab, und hauchten Hesiod noch göttlichen Sang ein. Damit war er gewappnet, um von der Entstehung der Götter zu berichten. Apropos, woher kamen eigentlich die Musen?

Mit eben dieser Mission schicken sie ihn los: Die Wahrheit soll der Mann verkünden! Sein Name ist, natürlich, Hesiod – und jene Töchter, das waren die Musen. Sie brachen den Zweig eines Lorbeerbaums ab, übergaben ihn dem Mann als Stab, und hauchten Hesiod noch göttlichen Sang ein. Damit war er gewappnet, um von der Entstehung der Götter zu berichten. Apropos, woher kamen eigentlich die Musen?

[53] Diese gebar in Pierien, dem Kronossohn [das ist Zeus] und Vater der Musen in Liebe vereint, Mnemosyne [die Göttin des Gedächtnisses], die an den Hängen des Eleuther waltet; sie schenken Vergessen der Übel und Trost in Sorgen. Neun Nächte nämlich einte sich ihr der Rater Zeus und bestieg fern von den Göttern ihr heiliges Lager; als aber die Zeit kam […], gebar sie neun Mädchen von gleicher Art, deren Herz in der Brust am Gesang hängt und deren Sinn frei von Kummer ist […] 2

9 Nächte miteinander verbracht, 9 Mädchen gezeugt. Diese bestechende Logik ist laut dem Altphilologen Otto Schönberger in Mythen nicht unüblich: Die Zahl der Kinder entspricht häufig der Zahl der miteinander verbrachten Nächte. Mir persönlich gefällt die Idee, dass die Göttin des Gedächtnisses die Musen hervorbringt, die Schutzgöttinnen der Künste. Denn was will Kunst schon groß anderes, als im Gedächtnis zu bleiben?

Bleibender Eindruck | zur Wirkung des Werkes

Doch es ist nicht die Dichtkunst, die mir im Gedächtnis bleibt. Mag daran liegen, dass ich (der ich damals im Griechisch-Unterricht eine Graupe war) Hesiod nicht im Original gelesen habe, Götter bewahret! Erst recht nicht im Gedächtnis bleibt mir, wer wen zeugte. Obwohl die Schöpfungsgeschichte der Theogonie da um einiges spannender ausfällt als in der Bibel – Hesiod unterschlägt auch nicht, dass am Zeugungsakt meist zwei beteiligt sind. Vergleich:

BIBEL, Matthäus 1,2: Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serah von Thamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte […]

HESIOD, Theogonie 295: Noch ein unbezwingliches Scheusal gebar Keto, das weder sterblichen Menschen noch ewigen Göttern gleicht, in gewölbter Höhle, die wundersame, mutige Echidna, halb Mädchen mit lebhaften Augen und schönen Wangen, halb Untier, greuliche, riesige Schlange, schillernd und gierig nach Blut im Schoß der heiligen Erde. […] Mit Echidna, heißt es, vereinte sich liebend Typhaon, der furchtbare, ruchlose Frevler, mit dem lebhaft blickenden Mädchen, das von ihm empfing und mutige Kinder gebar. Zuerst gebar sie den Hund Orthos für Geryoneus […]

Na, welche Schöpfungsgeschichte geht mehr ab? Welche würde man eher im Kino sehen wollen? Die Antwort ist ganz klar: NEIN. Einfach nein. Denn Achtung!

Richtigstellung | Ein aufmerksamer Leser hat mich für diesen Vergleich von Schöpfungsgeschichten ob ihrer Coolness gescholten. Zu recht, muss ich kleinlaut beipflichten. Ich wurde der groben Vereinfachung überführt. Ein tückisches Mittel, um unkundige Leser*innen mit plakativen Pseudo-Beispielen ins eigene Lager zu ziehen. Dabei liegt hier wohlgemerkt keine Tücke im heimtückischen Sinne zugrunde: Ich bin schlicht selbst zu unkundig, als dass ich meine (allenfalls geahnte…) Vereinfachung in ihrem ganz Ausmaß bemerkt hätte.

Fakt ist , dass es nicht die eine biblische Schöpfungsgeschichte gibt. Ein kurzer Blick ins Stichwort-Verzeichnis von Bibelwissenschaft.de genügt, um sich der Breite des Schöpfungsthemas bewusst zu werden. Ein längerer Blick in den Artikel Schöpfung AT (von Annette Schellenberg) lässt staunen, wie sich das Thema hinsichtlich Terminologie, Auslegung und kulturellem Standpunkt in all seiner Vielschichtigkeit auffächert – was man bei der jahrhundertlangen Entstehungsgeschichte erwarten sollte. Jener aufmerksame Leser schrieb mir folgende Denkanstöße:

Das Judentum wurde sowohl von den Griechen als auch von den Römern als »Volk von Philosophen« bezeichnet, weil die – nennen wir es – »Volksbildung« recht hoch war. Fachsimpeln war scheinbar Bestandteil der Religionsausübung. Die Geschlechter-Listen (Abraham zeugte Isaak etc.) sind eigentlich gar nicht Teil der Schöpfung. Sie sind Resultat einer Redaktion (siehe Priesterschrift ) in der verschiedene mündlich tradierte Erzählkreise in ein Gesamtwerk verpackt werden sollen. Diese langweiligen Verwandtschaftslisten sind also ein »Kit«, um verschiedene viel ältere Geschichten in eine Chronologie zu bringen.

Das Geile ist ja jetzt, dass dem alttestamentarischen Juden diese mesopotamischen, ägyptischen und später hellenistischen Theogonien bekannt waren. Sie waren Teil seines kulturellen Umfeldes. Die wirklich vielfältigen Schöpfungsvorstellungen in der Bibel gewinnen mit der Kenntnis anderer Mythen noch viel mehr an Aussagekraft. Es steckt viel mehr heroic epicness mit Monstern und Helden zwischen den Zeilen, als man heute auf den ersten Blick vermuten mag

Florian Sauret, Nachtwächter der Stadt Bocholt

In diesem Sinne, vielen Dank für das wertvolle Feedback und die vertiefenden Einblicke in ein doch sehr komplexes Thema! Und um auch die Komplexität der Griechischen Mythologe nochmal so übersichtlich und unterhaltsam wie möglich zu vermitteln, gibt’s hier ein wirklich großartig gemachtes Video von Maurus Amstutz, der die Theogonie als Animationsfilm adaptiert hat:

Weil der Mann das Feuer bändigte

Nun denn, wie gesagt, die ungeheuerliche Titanen-Parade aus der Theogonie von Hesiod ist es nicht, die mir in Erinnerung bleibt. Stattdessen prägt sich ins Gedächtnis, wie der antike Dichter schon inbrünstig gegen die Frau wettert. Sie kommt als Strafe des Zeus auf die Erde, dafür, dass der Mensch sich des Feuer bemächtigt hat:

[570] Sogleich schuf er den Menschen für das Feuer ein Unheil. Aus Erde nämlich formte der ruhmreiche Hinkfuß Hephaistos nach dem Plan des Kronossohnes das Bild einer züchtigen Jungfrau. […] Staunen hielt unsterbliche Götter und sterbliche Menschen gebannt, als sie die jähe List erblickten, unwiderstehlich für Menschen. Stammt doch von ihr das Geschlecht der Frauen und Weiber. 3
The Creation of Pandora (1913) von John D. Batten

Die Frau als Strafe

Diese unwiderstehliche Jungfrau, die Zeus den Menschen zur Strafe schickte, war Pandora. Jene Pandora, von der sich auch die heute noch sprichwörtliche »Büchse der Pandora« ableitet. Allein, dass die »Büchse« einem Übersetzungsfehler oder Kunstgriff aus der Renaissance zurückgeht. Bei Hesiod schickte Zeus seine tückische Kreation noch mit einem Faß los, zu den Menschen.

[591] Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluß. […] Gerade so schuf der hochdonnernde Zeus zum Übel der sterblichen Männer die Frauen, die einig sind im Stiften von Schaden. Auch sandte er ein weiteres Übel zum Ausgleich des Vorteils: Wer die Ehe und schlimmes Schalten der Weiber flieht und nicht freien will, der kommt in ein mißliches Alter, weil es dem Greis an Pflege fehlt. 4

Hesiods Vorbilder

Soll heißen: Man könne weder mit noch ohne die Frauen gut leben. Denn obwohl sie ein beschwerliches Laster seien, bräuchte man sie doch zur Zeugung einer Nachkommenschaft, die den Vater im hohen Alter pflegen kann. Schönberger kommentiert es so: »Die Frau ist die Strafe. Hesiod war (aus Erfahrung?) ein Frauenfeind und will die schlimme, ja vernichtende Rolle der Frau im Leben der Menschen darstellen.«

Es spielt keine Rolle, welche Erfahrungen Hesiod mit einzelnen Frauen gemacht haben mag. Den allgemeinen Frauenhass jedenfalls, den hat der Dichter nicht erfunden. Ebenso wenig wie die meisten der Götter und Göttinnen und einige ihrer Abenteuer, die in der Theogonie geschildert werden. Auch wenn Hesiods Werk eines der ältesten ist, die uns erhalten geblieben sind, hat sich der Dichter im 8. Jahrhundert v. Chr. bereits von einem ganzen Kosmos an Ideen und Geschichten inspirieren lassen können. »Viele Vorbilder«, so bringt Otto Schönberger es auf den Punkt, »dürften uns unbekannt sein.«

Von der Dichtung zur Philosophie

Die Strahlkraft von Hesiods Werk lässt sich schon besser nachweisen. So schreibt man ihm einen Einfluss auf die vorsokratischen Philosophen zu. Indem Hesiod den mythischen Wesen seiner Erzählung die Bezeichnung oder Eigenschaften von Gegebenheiten der Wirklichkeit gab – so verkörpert die Göttin Gaia etwa die Erde – vollzieht Hesiod »einen Schritt von der epischen Dichtung zur Philosophie«, schreibt Schönberger und nennt Hesiod einen »Vorbote[n] spekulativen Denkens« in den »Schranken überlieferter Vorstellungen«.

Hesiod in diesem Vorboten-Sein eine besondere Leistung zuzuschreiben wäre indes, als würde man einen Frosch dafür loben, dass er als Wassertier schon Beine hat. Der Gedankengang von mythischen Wesen über Metaphysik und Erkenntnistheorie hin zur hochtechnologisierten, naturwissenschaftlichen Forschung vollzieht sich in ähnlich evolutionären, ihrem Gewicht unbewussten Einzelschritten, wie der Werdegang vom Meeresbewohner zum Menschenaffen.

Fazit zur Theogonie

Eine kurzweilige Lektüre von hohem, historischem Stellenwert, die gleichermaßen beeindruckend und beschämend ist. Darin steckt viel Wahres darüber, wie sich der Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten die Welt erklärt – zuweilen eben sehr erfindungsreich. Schon Platon kritisiert vieles von Hesiods Dichtung als »unwahre Erzählungen« ( Politeia, Abschnitt 40a über Musische Bildung), die den jungen Leuten nicht unbedacht überliefert werden, »sondern am liebsten verschwiegen bleiben« sollten. Das geringschätzige Frauenbild hingegen, das Hesiod vermittelt, hatte Platon ebenso verinnerlicht, wie all die Generationen nach im, zum Teil bis in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts.

Apropos Platon: Hier geht’s zu Blogbeiträgen über Platons Ideenlehre und Platons Höhlengleichnis .

Fußnoten

  1. Schönberger, Otto; Hesiod (Hg.) (2014): Theogonie. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 9763), S. 5
  2. ebd., S. 7
  3. ebd., S. 47
  4. ebd., S. 49

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