Perfumed Nightmare · von Kidlat Tahimik | Film 1977 | Kritik

Perfumed Nightmare (im Original: Mababangong Bangungot ) ist ein 93-minütiger, quasi-autobiografischer Spielfilm. Regie führte der philippinische Drehbuchautor, Filmemacher und Schauspieler Kidlat Tahimik (*1942). Uraufgeführt auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, erhielt Perfumed Nightmare dort den FIPRESCI-Preis. Seither gilt der Film als »eines der originellsten und poetischsten Werke des Kinos, das in den 70er Jahren entstanden ist«. So fasste es Werner Herzog, einer früher Förderer von Kidlat Tahimik.

Ich hab gehört, dass dieser Philipino-Typ einfach bettelte, borgte und tat, was immer nötig war, um [diesen Film] zu schaffen. Werner Herzog gab ihm etwas altes Filmmaterial, das er herumliegen hatte.

joe d ( film forno )

Hinweis: Perfumed Nightmare ist via Prime Video zu sehen .

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Taxifahrer auf Traumreise

Der Film erzählt die Geschichte eines philippinischen Taxi-Fahrers aus einem im Dschungel gelegenen 600-Seelen-Dorf, zu dem nur eine einzige Brücke führt. Die Taxis sind ausgemusterte Militärfahrzeuge, neu zusammengesetzt und knallbunt angemalt. Der Fahrer heißt Kidlat und ist nebenbei auch Vorsitzender des Werner-von-Braun-Fanclubs, der stolz darauf ist, neuerdings weibliche Mitglieder aufzunehmen. Bei dem Club handelt es sich augenscheinlich um eine Bande von Straßenkindern, die im Namen Werner von Brauns Eis verkaufen und Schönheitswettbewerbe abhalten. Kidlat ist fasziniert von der Raumfahrt sowie dem Westen im Allgemeinen.

Als er eines Tages nach Paris reist, sieht er dort schon am Flughaften mehrere futuristisch anmutende »Brücken« (Rolltreppen) auf einen Blick – der maximale Kontrast zu seiner Heimat im Dschungel. Doch im Zuge seiner Reise in die Weltstadt, wo er Kaugummi-Automaten befüllt, wird der junge Mann zunehmend desillusioniert. Daran kann auch eine Wallfahrt nach Bayern nichts ändern.

Über den Film Perfumed Nightmare

Um mal die Skurrilität von Perfumed Nightmare exemplarisch zu beschreiben, hier eine Szene etwas detaillierter: Vor seiner Abreise entschuldigt Kidlat sich bei einer Statue der Heiligen Maria, dass er nicht am Selbstgeißelungs-Ritual teilgenommen hat. Die Heilige Maria vergibt ihm und erzählt von den Leute, die sie in dieser Straße, in der sie als Statue steht, regelmäßig sehe. Den Eismann etwa, der täglich vorbeikomme und einmal im Jahr ihren Sohn Jesus spiele. Und sie wisse auch, erzählt diese Statue weiter, so allerlei über Kidlat selbst. Zum Beispiel, dass er sich mal versehentlich in eine Gefrierkammer eingesperrt hätte: »Als sie dich rausholten, warst du so steif wie Judas Schwanz.«

Wie es so ist mit halb-autobiografischem Kunstkino, man kann schlecht erzählen, was man da eigentlich angesehen hat. Flickert halt assoziativ vor sich hin mit mehr oder weniger wirksamen Hooks. Wenn’s gut ist, nimmt’s einen mit auf eine persönliche Reise ins Sonstwohin. Mich hat es mitgenommen.

Tillmann Allmer über Perfumed Nightmare (zum Blogbeitrag)

Die Dialoge wirken amateurhaft nachsynchronisiert, das Englisch gesprochen mit einem starken Akzent. Brutzelnde Eier werden mit knisterndem Papier nachvertont. Der kreative No-Budget-Stil zieht sich bis zum Abspann, der mit Postkarten gestaltet ist. Trotz der geringen Mittel schreckt der Film nicht vor »großen« Ideen wie einer VIP-Party zurück, die kurzerhand mit Archiv-Footage von realen Persönlichkeiten gespickt wird – ganz selbstbewusst.

»Even God needs transportation« , sinniert Kidlat im Film – und es stimmt. Die weit hergeholte Idee von Gott wurde immerhin erfolgreich über zig Generationen in die Gegenwart transportiert.

Fazit zu Perfumed Nightmare

Perfumed Nightmare verwendet virtuos filmische Mittel wie Rückblenden und Traumsequenzen. Es gibt Parallelmontagen, die moderne Bauten und Bambus-Konstruktionen gegenüberstellen (mit der nachgereichten Moral: »You can’t build rocket ships out of bamboo«) und eine kreativ inszenierte Geburt. Die Fortschrittsfreude zu Beginn des Films wandelt sich zu einer handfesten Gesellschaftskritik, doch die Mischung aus Ernst und Komik bleibt bestehen. Ein sehenswertes Werk!

Inszenierte und improvisierte Berichte über Kidlat’s serio-komische Erfahrungen vermischen sich mit Wochenschauen von Politikern, Aufnahmen von Pubertäts-Ritualen und lyrischen Einlagen, die die Schönheit der philippinischen Landschaft veranschaulichen und eine erstaunlich originelle filmische Textur schaffen.

Redcat anlässlich eines Revival-Screenings ( aus dem Englischen übersetzt)

Einblick in den Film:

Gedanke am Rande: Der Umstand, dass die ersten Worte auf dem Mond (hier unsere Filmkritik zu Aufbruch zum Mond ) auch in einem philippinischen Dorf ankommen und dort kreative Geister inspirieren, erinnert auf gewisse Weise an den Weltraum-Film Gravity (2013) und den dazugehörigen Kurzfilm Aningraaq , der die Geschehnisse im Weltraum mit einem grönländischen Fischer in einem vereisten Fjord in Zusammenhang bringt. Die große Verbundenheit der Menschenwesen auf Erden – und selbst über die Erde hinaus.

Über den Filmemacher

Kidlat Tahimik bedeutet »Stiller Blitz« in Tagalog, der am weitesten verbreiteten Sprache auf den Philippinen.

[Stiller Blitz], das ist es, was dieser Film ist. Ein Mann aus dem Nichts kreiert einen Film aus fast nichts und er rockt damit die World Cinema Szene.

Joe D ( Film Forno )

Es handelt sich um den Künstlernamen von Eric de Guia, der am 3. Oktober 1942 in Baguio City geboren wurde. Damals diente Baguio City in den Sommermonaten als Hauptstadt der Philippinen, die noch amerikanischer Besatzung standen. Das Alltagsleben der Menschen dort wurde von Militärstützpunkte der USA geprägt. Die Filme von Kidlat Tahimik zählen einige Filmhistoriker*innen, auch aufgrund der darin thematisierten Kritik am Neokolonialismus, zur Bewegung des sogenannten »Dritten Kinos« (ein Komplex an Filmbewegungen in der Dritten Welt).

Im Jahr 2018 wurde Kidlat Tahimik mit dem Orden »National Artist of the Philippines« geehrt, der höchsten nationalen Auszeichnung für Künstler*innen. Tahimik ist mit der deutschen Autorin und Künstlerin Katrin de Guia verheiratet.

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