Unterwegs in Japan | 2016 | Reisebericht aus der Ferne

Ich bin zum ersten Mal in Japan, seit etwa 12 Tagen nun, und ich muss meine Erinnerungen schon aufschreiben, um sie bloß nicht zu vergessen. Sitze gerade auf einer flachen Matratze auf dem Boden, mit einem dicken, braunen Kissen im Rücken an die Wand gelehnt, und zugedeckt ob der Kälte hier im Gästezimmer. Mit der Decke ist es allerdings sehr warm. So ist es wohl gedacht. Den Namen für diese Art von Bett habe ich vergessen. Ein Austauschprogramm hat mir diese Erinnerungen beschert. Wer sich informieren möchte, siehe: Deutsch-Japanisches Austauschprogramm für junge Berufstätige des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin .

Der Hinflug von Frankfurt hat etwa 11 Stunden gedauert. Mit zwei Filmen ( Midnight in Paris , Toni Erdmann ) und einem tiefen Schlaf verging die Zeit wie im Flug (ha… schwach…). Nur einmal musste ich mich an meinen Sitzpartnern vorbei zur Toilette zwängen. Neben mir saß ein junger Mann, der mir erst im Nachhinein verraten hat, dass dieser Interkontinentalflug sein allererster Flug überhaupt war. Blieb dabei sehr cool und gelassen, der Gute, sah sich einen dänischen Thriller an ( Erlösung , glaube ich). Er bestellte eine Cola, bitte mit Sprite gemischt. Seltsame Marotten, manche Fluggäste, aber so sind die Menschen. Bunt durchgemischt, miteinander und in sich.

Mit derselben Delegation, mit der ich die Reise nach Japan unternommen habe, durfte ich noch im Sommer dieses Jahres die Gedenkstätte des Frauen-KZ Ravensbrück besichtigen. Darüber schreibe ich im Beitrag: Rehe im Schilf

Deutsch-Japanisches Austauschprogramm: Ankunft & Auftakt

Wir landeten im Flughafen Tokio-Haneda und fuhren im Bus zur Unterkunft. Einmal fuhr neben uns ein Bus voller japanischer Teenager-Schüler vorbei, die ganz begeistert winkten. Nach einem langen Tag mit Zeitumstellung, Jetlag, Überfahrt zur Unterkunft, Programmauftakt, Rundgang und erster Reflexion, ging es am nächsten Morgen weiter mit dem offiziellen Tagesplan für das Deutsch-Japanische Austauschprogramm. Bis dahin konnten wir ausschlafen und frühstücken, wobei manch einer – der Schlafrhythmus noch aus dem Takt – früh Tag machte und auswärts die erste Mahlzeit genoss oder schon im Morgengrauen zum Meiji Jingu Schrein nahe unserer Herberge, dem National Olympics Memorial Youth Center (NIYE) , spazierte. Das Wetter war, wie schon am Vortag, überraschend sonnig und warm. Ein Bilderbuch-Herbsttag.

Unser Konferenzraum  im Zentralgebäude bot einen Blick auf die Skyline von Shinjuku – mit Bauwerken wie dem Shinjuku Park Tower (Drehort von Lost in Translation ) und dem Tokyo Metropolitan Government Building. Doch diese Aussicht sollte nicht von unserem Programm ablenken, das pünktlich um 10:30 Uhr begann – da saßen wir allesamt bereits im Dresscode B (etwas schicker) auf unseren Plätzen. In einem knapp anderthalb-stündigen Fachvortrag vermittelten uns zwei Mitarbeiter des NIYE sowie dessen Children’s Dream Fund einen Einblick in die Geschichte und Arbeitsfelder der Organisation.

Die Jugend in einer urbanisierten Gesellschaft

Diese kümmert sich unter verschiedenen Gesichtspunkten um die Jugend, die in einer zunehmend urbanisierten und alternden Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit benötigt. Da es für Jugendliche in Japan heutzutage weniger Möglichkeiten gibt, Erfahrungen sowie Kommunikation in direktem Umgang mit den Mitmenschen zu erleben und im Gegenzug eine Isolation durch die Digitalisierung droht, sieht sich das NIYE als Institution in der Pflicht, diese Jugendlichen im Fokus zu behalten. Mit Angeboten für junge Menschen, schon früh von- und miteinander zu lernen, sowie der Aus- und Weiterbildung von Betreuern, der Durchführung von Studien und der Recherche zum Thema Jugendarbeit leistet das NIYE in diesem Bereich einen wichtigen Beitrag.

Durch das Zweiergespann unserer Referenten blieben am Ende auch keine Fragen offen. Da es in den folgenden Tagen um die Schulbildung und vor allem den Berufseinstieg junger Japaner gehen würde, bot dieser Vortrag einen guten Einstieg – eine Art Prolog – zu unserer Thematik. Am Ende gab es die ersten Geschenke seitens unserer Delegation.

Erst Turnen, dann Sushi

Am Samstagabend war ich mit meiner Gastfamilie in einer Turnhalle, um die Kinder vom Training abzuholen. Darin roch es streng nach dem Schweiß der jungen Athleten. Die Luft war stickig und irgendwie dick, ich konnte schlecht sehen. Links turnten Mädchen in Badeanzug-ähnlichen Turnanzügen an Stangen, machten immer mehr und mehr krasse Rollen daran, und Traineraufsicht. Rechts balancierten Kinder über Balken oder kämpften auf Matten, betreut von einer Trainerin mit langen schwarzen Zöpfen. Aus der Ferne sah sie jung aus, wie sie so mit den Kindern hüpfte, regelrecht neben ihnen her tanzte, doch als sie später zu uns – und den anderen wartenden Eltern – kam, da sah man, dass sie doch etwas älter war, ein »alter Hase« unter den jungen Hüpfern, kann man das denken/schreiben/sagen, ohne das es blöd klingt?

Sie strahlte und hibbelte, sah mich und sagte was von »doits«, sprach wohl über mich, den Deutschen, sprach mich dann an, auf besserem Englisch, als ich erwartet hatte. Zwei junge Herren filmten das Ganze mit Kameras, und siehe da – es war fürs Fernsehen, einem Beitrag über jene Frau, deren Name ich leider nicht kenne:

Anschließend gingen wir mit der Familie in ein Sushi-Restaurant. Saßen an so einer Art Tresen, an der das Fließband vorbeifuhr, mit Angeboten in Schildchen auf Tellern, die an uns vorbeifuhren. Die Bestellungen gaben wir via Tablets auf, die uns vor der Nase hingen. Ein iPad an jedem zweiten oder dritten Platz. Mit Bildern von all den Sushi-Gerichten, die es so gab. Ich aß Tintenfisch und Seeigel, unterschiedlichste Fischsorten. Manche ganz zäh, Thunfisch ganz zart. In einem Aquarium schwammen Fische, die allerdings eher krank und müde aussahen. Es gab direkt am Platz einen Hahn mit heißen Wasser, da konnte man seinen Teebecher drunter halten und drücken, um seinen grünen Tee aufzufüllen.

Kamera in Kinderhand

Ich wohnte vom 25. bis zum 27. November bei meiner Gastfamilie in dem Ort Unzen, nahe Nagasaki. Der Familienvater holte mich mit dem großen Wagen ab. Er konnte ihn mit dem Fingerabdruck öffnen – ebenso öffneten und schlossen sich die Seitentüren auf Knopfdruck, alles ganz automatisch. Innen gab es zwei Kindersitze, aber nur der ältere Sohn saß in einem solchen. Der kleine Sohn (3), saß ganz hinten, neben mir auf der Rückbank und hüpfte und räkelte sich in seinem Anschnallgurt, lag oft quer über der Bank, nahm meinen Arm und legte sein Köpfchen in meine Armbeuge – wie in ein Kissen. Er spielte oft mit einer Digitalkamera, die, schon etwas ramponiert und kaputt, als Spielzeug in Kindergreifweite blieb. Machte sie an und aus und wenn er mit Spielen fertig war (es blitzte oft; er zeigte noch gar kein Interesse an den Bildern/Ergebnissen, die bei der Knipserei herumkamen) dann packte er die Kamera zurück in die Ablage in der Seitentür. Bis zur nächsten Kamera-Spielerei. Schön, wie die Kids so früh den Umgang mit Kameras lernen – fördert sicher die Kreativität.

Landei leicht zu begeistern

Im Auto gab es einen Monitor an der Decke, dort lief neben Pokémon und Detektiv Conan auch eine verrückte Anime-Serie mit einem seltsamen Geist und einer Katze (bei dem Abspannlied wurde »joka joka joka« gesungen und dazu getanzt – derselbe Tanz, den uns die Japanische Delegation zuvor vorgeführt hat!) – in der Serie ging es, glaube ich, darum, dass einzelne Geister oder gar Dämonen an den Leuten haften und ein Junge seine Mitmenschen teilweise von bösen Geistern befreien muss? Zuweilen lief auch ganz normal Fernsehen auf dem Monitor. Dann sogar selbst auf dem Monitor vorne am Armaturenbrett, wo sonst das Navi angezeigt wurde. Das Auto hatte also Empfang, empfing das TV-Signal, bloß im Tunnel war es etwas schlechter. Sehr beeindruckend, für mich Landei aus dem Westmünsterland.

Auch in dem Haus, das die Familie vor fünf Jahren gebaut hat, gab es allerlei coolen technischen Schnickschnack. Armaturen und Knöpfe an den Wänden, eine Fernbedienung für das Licht in meinem Gastraum. Im Wohnzimmer saßen wir um einen flachen Tisch herum verteilt – die Jungs rechts und links neben mir – und die Füße hatten wir unter der Tischplatte, die von unten beheizt wurde, war wohl mit einem Kabel ans Stromnetz gekoppelt. Der Fernseher lief immer, fing viel von der Aufmerksamkeit der Kinder ab.

Schreine und Riesenspinnen

Am Samstagmorgen fuhr ich mit dem Vater und den Kindern zehn Minuten in die Pampa, zu einem ganz verlassenen Parkplatz neben einem dicht bewaldeten Berg. Dort gingen wir durch rot bemalte Holz und rostige Stahlbögen hindurch – reihenweise waren sich aufgestellt und zogen sich (unter ihnen eine Treppe) durch den Wald den Berghang hoch. Wir waren die einzigen Menschen. Die Stufen waren bemoost. Es standen allerlei urige Steinbehälter und riesige Felsen herum. Auf den Bögen waren japanische Schriftzeichen angebracht, sogar URL-Adressen. Der Vater sprach sehr gebrochenes Englisch, ich bin nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben. Er erzählte mir vom »god of economy« und »company names«, die auf die Bögen geschrieben waren. Teilweise blätterte die Farbe ab.

Wir gingen unter großen Spinnennetzen her, in deren Zentrum faszinierende, grüne, gelbe Spinnen saßen und warteten und fraßen. Ich hörte viele Vögel, konnte im dichten Wald aber keinen sehen. Hin und wieder tat sich eine Lücke in den Baumkronen auf und ich erkannte, das wir eine immer schönere Aussicht auf eine Art Bucht haben würden.

Highlight meiner Reise

Tatsächlich erreichten wir nach etwa 20 Minuten Aufstieg eine Plattform, umgeben von größeren und kleineren Schreien. Rechts und links vom letzten Treppenabsatz thronten zwei steinerne Hunde, die wohl den Schrein/Gott beschützen. Es gab ein großes Pferd, ebenfalls aus Stein, und viele kleine Keramik- und Steinfiguren. Der größte und wohl wichtigste Schrein war in einer Hütte gelegen. Man konnte ein Geldstück in eine Holzkiste werfen, es klimperten durch die Holzstangen hindurch und verschwand. Dann durfte man zum Gott beten und in die Hände klatschen. Seltsames Ritual.

Oben gab es einen Korb mit Gehstöcken, wohl für alte Menschen (beim Abstieg kam uns tatsächlich eine ältere Dame entgegen). Die Jungs schnappten sich die Gehstöcke und spielten damit, während wir uns noch eine Weile dort aufhielten. Diese paar Tage in Unzen waren, obwohl so viel unspektakulärer als Tokio, mein Highlight in Japan. Fazit: Deutsch-Japanisches Austauschprogramm = in jeder Hinsicht weiterzuempfehlen, es war jede Minute wert!

Deutsch-Japanisches Austauschprogramm geht zu Ende: Auf dem Weihnachtsmarkt in Fukuoka, kurz vor dem Rückflug.

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