THE ACT OF KILLING von Joshua Oppenheimer | Film 2012 | Kritik

In diesem Dokumentarfilm von Joshua Oppenheimer geht es um den Massenmord an etwa einer halbe Millionen Menschen. Allerdings werden die Täter hier nicht mit versteckten Kameras gefilmt – wie in Shoah (1985) von Claude Lanzmann – sondern ganz unverhohlen. Sie sollen gar die grausamen Geschehnisse, die sich in den 1960er Jahren in Indonesien zugetragen haben nachspielen: The Act of Killing .

Die stolzen Mörder

Dieses Bild hat mich neugierig gemacht. Ist es nicht wunderschön? Ich würde es als Poster über mein Bett hängen, hätte ich den Film dazu nicht gesehen. Der Mann in Schwarz, an der Spitze der tanzenden Kolonne, ist Anwar Congo. Die vermeintlich Dame in Rot, die ihm den Arm entgegenstreckt, ist verkleideter Mann. Sein Name ist Herman Koto. Beide sind Massenmörder, die sich 1965/66 aktiv an der Ausrottung der »Kommunisten« in Indonesien beteiligt haben.

In The Act Of Killing führt Joshua Oppenheimer sie vor. Er lässt seine Protagonisten all ihre Gräueltaten schildern, hält die Kamera gnadenlos drauf – und montiert die Aufnahmen zu einem zweieinhalb-stündigen Werk, das sein Publikum sprachlos zurücklässt. Ein Film voller bizarrer Bilder, die – aus dem Kontext gerissen – von unglaublicher Schönheit sind. Oder einfach nur grotesk.

Die große, anhaltende Irritation, die The Act of Killing auslöst, hängt wesentlich damit zusammen, dass den männlichen Hauptdarstellern jeder Sinn dafür zu fehlen scheint, auf welch fundamentale Weise sie sich selbst in ein schlechtes Licht rücken.

Die beiden Männer, Anwar Congo und Herman Koto, stellen den Film durch dieses Bewusstseinsdefizit vor ein moralisches und geschichtspolitisches Problem, das ästhetisch nicht folgenlos bleiben kann: Wie filmt man Massenmörder, die glauben, nichts zu verbergen zu haben?

Simon Rothöhler ( TAZ )

Unter Menschen

Lassen wir den »Film« – dieses Medium, das die lose Verbindung zwischen den indonesischen Massenmördern und mir für ein kurzes Zeitfenster lang hergestellt hat, mal außen vor. Es gibt also diese Mörder, die noch heute, womöglich just in diesem Moment, durch ihre Heimat stolzieren, wie die Nazis es täten, wenn sie den Krieg gewonnen hätten. »Juden«, »Kommunisten«, als müsse man sich nur einen anderen Begriff für den Menschen einfallen lassen, um seine systematische Tötung zu rechtfertigen.

Und dann gibt es mich, der nicht wahrhaben will, dass es solch böse Menschen »heute noch« gibt. In meiner Brust fühlt es sich unter dem frischen Eindruck von The Act of Killing so an, als würde sich eine Faust um mein Herz klammern, es einquetschen und festhalten. Warum denke ich »heute noch«? Solche Unmenschen hat’s immer gegeben, gibt es noch und wird’s wohl immer geben. Man kann nur hoffen, ihnen nicht über den Weg zu laufen – denkt der Egoist. Und dass sie nicht den Weg an die Macht finden. Ach, was rede/schreibe/denke ich hier? In meinem Kopf suchen Gehirnwürmer nach einer Erklärung oder Lösung oder Antworten, aber die Suche sollte ich schnell wieder einstellen.

Und das Gewissen beißt doch?

Dass diese Menschen, die hunderte »Artgenossen« abgeschlachtet haben und mit ihren Taten prahlen, trotzdem von Alpträumen heimgesucht werden – zumindest einige von ihnen – das beruhigt mich auf seltsame Weise. Wie eine Bestätigung meiner Hoffnung, dass es der menschlichen Natur doch widerstreben muss, solche Untaten zu begehen? Genug unzusammenhängende Gedanken gesät. Bitte schau dir diesen Film an. Ich kann den Grund dafür nicht in Worte fassen, finde aber, dass man ihn gesehen haben sollte – vielleicht, weil man sonst dazu neigt, den Menschen zu unterschätzen. Oder zu überschätzen. Zum Heulen ist das.

Kein Oscar für The Act of Killing

Eine Gegenstimme zu dem Film The Act of Killing schreibt:

Ich finde die Szenen, in denen die Mörder ermutigt werden, ihre Heldentaten erneut zu erzählen, oft mit Ausdrücken der Befriedigung, die nicht dadurch erschüttern, dass sie so viel enthüllen, wie viele behaupten, sondern weil sie uns so wenig von Bedeutung sagen. Natürlich werden sich Mörder, die in ihrer Straffreiheit geschmeichelt sind, abscheulich verhalten. […] Wie sehr wollen wir denn von diesen Menschen hören? Wäre es nicht besser, wenn uns etwas über die Menschen erzählt würde, deren Leben sie genommen haben?

Nick Fraser, in: Don’t give an Oscar to this snuff movie (2014)

Nachtrag: The Act of Killing bekam keinen Oscar. Doch Joshua Oppenheimer ließ einen weiteren Film zu dem Thema folgen: In The Look of Silence (2014) widmet er sich dem indonesischen Massenmord aus der Opferperspektive.

Weiterführende Lektüre zu The Act of Killing :

  • Ein interessanter Artikel von Robert Cribb , der die manipulative Herangehensweise Oppenheimer beschreibt (auf Englisch).
  • Ein BBC-Artikel von Tim Masters , der die bizarre Beziehung zwischen Joshua Oppenheimer und Anwar Congo hervorhebt (auf Englisch).
  • Eine Rezension von Simon Rothöhler , die sich ausführlich und kritisch mit dem Film auseinandersetzt.

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