ROSS GELLER, Genie oder Wahnsinniger? | Fantheorie zu FRIENDS

In der Sitcom How I Met Your Mother (2005-2014) rund um eine 6-köpfige Clique in New York, da ließ sich der heimliche Held der Serie leicht bestimmen. Es war natürlich Ted »Schmosby« Mosby, der seinen gelangweilten Kiddies die ganze Story erzählte. In der Sitcom Friends (1994-2004) – ebenfalls 6 Freunde in New York, ohne die es Ted und Co womöglich nie gegeben hätte – ist die Benennung eines herausstechenden Charakters schon schwieriger. Warum es Ross Geller ist und ob es sich bei diesem Helden um einen Ekel Alfred oder einen verkannten Sheldon Cooper handelt, das klären wir jetzt mal. Endgültig.

Ross Geller: Sie bashten und sie buhten ihn

Unlängst haben wir die Sitcom Friends unter die Lupe genommen . Dabei schnitt das Format der 90er und frühen 2000er als nicht mehr ganz zeitgemäß ab. Das ist, 14 Jahre nach dem Serienfinale, vielleicht auch ein arg hoher Anspruch an Situation Comedy . Heute wird es (von erwachsenen und empathischen Menschen, nicht unbedingt der wahlberechtigten Mehrheit) als politisch unkorrekt empfunden, homophobes Verhalten zu normalisieren. Damals, so darf man befürchten, war derartiges Verhalten noch eine gesellschaftstaugliche Norm, womit die Vorwürfe gegen Friends zum Teil nicht ganz fair sind. Die Serienfigur Ross Geller jedenfalls, schneidet am schlechtesten ab, wenn man die Sitcom durch die Brille der salonfähigen Umgangsformen im 21. Jahrhundert betrachtet.

Ross Geller mit einem mutierten Ei, aus dem im Laufe der Serie Friends ein Hahn UND eine Ente schlüpfen. Aber das wissen die Wenigsten. | Bild: NBC

Ross ist der männliche Part der berüchtigten On-Off-Liebesbeziehung, die Friends maßgeblich geprägt hat. Da er in der ersten Episode noch vor Rachel (dem weiblichen Part dieser Beziehung) auftritt und viel länger dem sozialen Gefüge angehört, dass die Friends bilden, kann man (Doktor!) Ross Geller als die Hauptfigur der Serie bezeichnen. Ross ist auch – um die Hauptfigur-These mal final zu festigen – der Charakter mit den meisten Spitznamen. So. Damit sollten alle Zweifel beseitigt sein. Der Ross-a-tron hat gesprochen!

Bo Bo the Sperm Guy und Co

Weitere Spitznamen (im englischen Original): Rossie, Ross – The Divorce Force, The Divorce-o (von Phoebe), Ross the Divorcer, Red Ross, Wet Head, Mental Geller, Wet Pants Geller (in der High School), Mr. Big Shot, Dino-Guy (im Spin-Off Joey ), Bea, The Dinosaur Guy (von Chloe), Cookie Duuude (von NYU-Studenten), Gel Boy (von Rachel), Bo Bo the Sperm Guy (von Susan), Dr. Monkey, Ron (von Mr. Zelner) und natürlich Dr. Geller (an dieser Stelle empfehle ich die Facebook-Gruppe Friends DIE HARDS für solches und ähnliches Friends -Fachwissen)

Im Mai 2018 schwappte nun eine Fantheorie durchs Web, die sich diesen »Serienhelden« Ross Geller vorknüpft. Zur verlinkten Quelle eine kurze Relativierung. Die Artikelüberschrift – This Friends Theory About Ross & Monica Is Breaking The Internet ( Diese Friends Theorie über Ross & Monica zerbricht das Internet ) – ist natürlich eine maßlose Übertreibung in Clickbait-Manier. Wie Bill Maher es prägnant zusammenfasste : Wenn es in Online-News heißt, »das Internet«, »Twitter« oder »Die Leute« (»people«) seien empört oder sonstwas, dann ist es in Wahrheit NIEMAND. Außer den paar Losern, die sowas wie Fantheorien diskutieren, als hätten sie auch nur einen Hauch Relevanz.

Wir, das Internet

Und damit zurück zur Friends -Fantheorie. Auslöser war ein Tweet von Emily Heller, Comedian. Heller schrieb über Ross, der ja bekanntlich ein paar Scheidungen durchgemacht hat, angefangen mit Carol in der ersten Folge der Sitcom:

Just realized they HAD to make Monica & Ross brother and sister otherwise all the F•R•I•E•N•D•S would have stuck with Carol in the divorce

— Emily Heller (@MrEmilyHeller) 12. Mai 2018


Zu Deutsch: »Ich habe gerade realisiert, dass sie [die Serienmacher; Anmerk. d. Bloggers] Monica und Ross zu Bruder und Schwester machen MUSSTEN, andernfalls hätten in der Scheidung alle F•R•I•E•N•D•S zu Carol gehalten.« Während Emily Heller das eher als Kompliment an Carol verstanden wissen wollte, ging »das Internet« (zur Erinnerung: die paar Loser) seinen eigenen Weg. Denn »das Internet« denkt nicht in Komplimenten. »Das Internet« shitposted YouTube-Kommentar-Spalten voll, nachdem es die Videos gehatewatched hat. »Das Internet« masturbiert zu Memes, streut Emoticons wie Konfetti und schreibt Amazon-Rezensionen zu Produkten, deren Verwendungszweck »das Internet« offensichtlich nicht verstanden hat… ich drifte ab.

Ross Geller, der einsame Dino-Typ

»Das Internet« jedenfalls legt Hellers Satz so aus: Wären Monica und Ross Geller keine Geschwister , hätten sich die Friends nach der Trennung zwischen Carol und Ross von dem weinerlichen, verunsicherten Paläontologen distanziert (wie man so eine Trennung gerne mal nutzt, um den Freundeskreis auszumisten… uff, das klingt böse). Ohne Monica wäre Ross nie ein Freund von Monicas Mitbewohnerin Phoebe geworden. Ohne einen alten Schulkumpel Chandler hätte Ross nie dessen Mitbewohner Joey kennengelernt. Mit Phoebe und Joey hat Ross ohnehin so dermaßen wenig gemeinsam, dass sie weniger richtige Friends sind, als zufällig im selben Freundeskreis gelandet. Dass Ross, wenn er nicht mit diesen »Freunden« abhängen würde, auch Rachel nie getroffen hätte, ist selbstredend.

Und diesen Freunden könnte man es nicht übel nehmen, wollten sie mit Ross nichts zu tun haben. Twitter-Vogel Jamie Sykes erklärte es so:

Ross is an emotionally abusive, self obsessed, classist, intellectually superior PoS. Worst character by far (I guess unless he’s supposed to be a satirical take on that type of man).

– James Sykes (@gotdeuces), 14. Mai 2018 (inzwischen offline)

Zu Deutsch: »Ross ist ein emotional missbräuchliches, ich-besessenes, klassistisches, intellektuell überlegendes StüSchei. Bei weitem der schlimmste Charakter [der Serie] (es sei denn, nehme ich an, wenn er als satirische Darstellung dieses Typ Mannes gemeint ist).« Tatsächlich, wenn man Friends mit dieser Prämisse im Hinterkopf nochmal schaut, ist Ross ein schwer erträgliches Individuum. Ein Kauz, ein Psycho, ein gar nicht netter Typ. Und so nimmt das Ross-Bashing im Internet seinen Lauf. Denn »das Internet« schert sich nicht um die Ursachen eine gestörten Persönlichkeit. Es hasst oder feiert lieber die kranke Persönlichkeit, die ihr selbst ja nicht unähnlich ist.

Die andere Seite des Internets: Pro Ross!

Doch was ist die Ursache dafür, dass Ross als solch schwieriger Fall sein Dasein fristet? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen wir das Licht auf die andere Seite »des Internets« richten. Dorthin, wo der Tiefsinn über Tweetlänge hinausgeht. Der Schriftsteller David Hopkins (aktuell mit der zweiten Überarbeitung seines ersten Romans beschäftigt) hat die Sitcom Friends im Jahr 2016 gemeinsam mit seiner Frau auf Netflix gebinged. Dieses »Erlebnis« hat ihn zu einem wirklich fantastischen Artikel für Medium motiviert, mit dem hochtrabenden Titel (übersetzt aus dem Englischen ):

Wie eine TV-Sitcom den Niedergang der westlichen Zivilisation einleitete

Und damit auch kein Zweifel besteht, um welche Show es geht, lautet der Untertitel: »the one where we retain our sanity in a stupid world«. Zu Deutsch: »Die Folge, in der wir unseren Verstand in einer dummen Welt bewahren«. Mit »The One…« beginnt im englischen Original jeder Episodentitel von Friends . Hopkins fasst die Serie so zusammen:

Die Geschichte eines Familienmenschen, eines Mannes der Wissenschaft, eines Genies, das mit den falschen Leuten zusammengeriet. Langsam versinkt er in Wahnsinn und Verzweiflung, angetrieben von seinem eigenen Geltungsbedürfnis. Mit einem Missgeschick nach dem anderen wird er zum Monster. | David Hopkins

Die Götter und die Shopping-Queen

Es geht natürlich um Ross Geller, den tragischen Helden. Für David Hopkins zeigt die Sitcom Friends – über die er nicht lachen kann! – eine rigorose Umarmung des Anti-Intellektualismus in einem Amerika an, in dem ein begabter und intelligenter Mann von seinen idiotischen Landsleuten verfolgt wird. Hopkins beschreibt den Cast von Friends als wohl »liebenswertestes Ensemble, das jemals von Casting-Agenten zusammengestellt wurde«:

Alle jung, alle Mittelklasse, alle weiß, alle hetero, alle attraktiv (aber erreichbar), alle moralisch und politisch nichtssagend und alle ausgestattet mit leicht bekömmlichen Personas: Joey ist der Doofkopp. Chandler ist der Sarkastische. Monica ist die obsessiv Zwanghafte. Phoebe ist der Hippie. Rachel, ach, keine Ahnung, Rachel shoppt gerne. Und dann ist da Ross. Ross war der Intellektuelle und Romantische.

Wann immer Ross etwas erzählte – über seine Interessen, seine Studien, seine Idee – wurde er mitten im Satz von seinen stöhnenden »Freunden« unterbrochen, weil er so laaangweilig sei. Sie machten immerzu klar, dass es dumm sei, schlau zu sein, und es eh Niemanden interessiere. Der Lacher war jedenfalls beim Publikum – und das hielt sich so, als Running Gag, schlappe zehn Staffeln lang. Kann man es Ross wirklich übel nehmen, fragt Hopkins, dass er verrückt wird?

Und wie in einer griechischen Tragödie ist unser Held in einer Prophezeiung gefangen, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Produzenten der Show – stellvertretend für die allmächtigen Götter – entschieden, dass Ross mit Rachel zusammenkommen solle. Der, die gerne shoppt. | David Hopkins

Idioten auf dem Vormarsch

Die Sitcom Friends wurde bis 2004 produziert. Das Jahr, in dem Facebook an den Start ging und der Kriegsverbrecher George W. Bush wiedergewählt wurde. Hopkins weiter:

Das Jahr, in dem Reality-TV eine dominante Kraft in der Popkultur wurde, und American Idol seine achtjährige Herrschaft des Terrors als Nr.-1-Show der US begann. Das Jahr, in dem Paris Hilton ihre eigene Lifestyle-Marke etablierte und ihre Autobiographie herausbrachte und Joey Tribbiani ein TV-Spin-Off bekam.

2004 war das Jahr, in dem wir komplett aufgaben und Dummheit als einen Wert anerkannten. Fragt Green Day: Die brachten 2004 ihr Album American Idiot heraus und gewannen damit den Emmy für Bestes Rock Album. Das Timing könnte nicht perfekter sein. | David Hopkins

In der Ablehnung von Ross Geller durch seine ihn unterbrechenden Freunde sieht David Hopkins ein Vorzeichen zum Amerika der Gegenwart , das immerzu aufstöhnt und dazwischenquatscht, wenn die Stimme der Vernunft etwas sagen will. Hopkins‘ meisterhafter Beitrag ist im März 2016 veröffentlicht worden. Rund acht Monate später wurde Reality-TV-Star Donald Trump ins höchste Amt der lautesten Nation dieses Planeten gewählt.

Ach, säß dort doch nur Ross Geller.

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