Summer ’03 | Kritik: Coming-of-Age ohne Shaming-of-Sex

Summer ’03 ist eine Coming-of-Age-Komödie, die von Becca Gleason geschrieben und inszeniert wurde – der Autorin und Regisseurin des wunderbaren Musical-Kurzfilms Small Talk (2017). Die Hauptrolle spielt die Schauspielerin Joey King (*1999) und liefert in diesem so vulgären wie wunderbaren Genrefilm eine brillante Performance ab. Seine Premiere feierte Gleasons Spielfilm-Debüt Summer ’03 auf dem South by Southwest Festival, am 10. März 2018. In Deutschland erscheint die DVD am 26. April 2019.

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Letzte Worte und erste Male

Oma liegt auf dem Sterbebett und packt aus – oder teilt aus, vielmehr: Die alte Dotty Winkle (June Squibb) verrät ihrer Familie ungefragt, wen sie von der Bande nicht mag, wem sie eine besonders grauenhafte Mutter war und wen sie für schwul hält. Die 16-jährige Enkelin Jamie (Joey King) erfährt in diesen letzten, offenherzigen Stunden mit Oma, dass sie als Kind von ihr heimlich getauft wurde, ohne das Wissen von Jamies Eltern (Andrea Savage, Paul Scheer). Doch das zweite Geheimnis, dass Dotty ihrer Enkeltochter anvertraut, ist viel heftiger – und es wird sich gehörig auf Jamies Sommer auswirken!

Ist es nicht komisch, dass man sich an vieles aus einem Sommer nicht genau erinnern kann?

Der Film Summer ’03 beginnt mit Joey Kings Stimme aus dem Off, die sich – und uns – grobkörnige Sommermomente ins Gedächtnis ruft: Jugendliche auf Poolpartys, ein verwaister Schulkorridor, ganz typische Teen-Movie-Bilder…

Poesie in Summer ’03

Bis 14 Uhr schlafen. Sich das Auto leihen. Wenn die ganze Zeit nichts Besonderes passiert, verschwimmen die Tage und ziehen an einem vorüber wie ein träger Fluss.

…und doch trifft Summer ’03 schon in den ersten Sekunden und Zeilen einen sonderbar poetischen Ton. Wir sehen Jamie ihre Schullektüre Fahrenheit 451 mit einem Eselsohr als Lesezeichen versehen, ehe sie am Krankenbett ihrer Großmutter Platz nimmt.

Dies war der Sommer, in dem ich alles verkackt habe. [… I fucked up! ]

Abrupt nimmt das selige Schwelgen ein Ende. Nach dem warmherzigen Intro macht Summer ’03 einen Stimmungswechsel, der den Film schlagartig in die Screwball-Ecke hätte kicken können. Wohlgemerkt: die Pointen treffen ins Schwarze, die Comedy gelingt grandios! Wenige Minuten im Film haben wir bereits herzhaft gelacht und erstaunlich viel über Jamies Familie gelernt – und damit einen Großteil des Ensembles dieser stark besetzten Komödie.

Das geschickt verdichtete Storytelling setzt Becca Gleason fort und schafft den scharfen turn im Tonfall ein ums andere Mal. Summer ’03 ist witzig, traurig, einfühlsam. Immer dann, wenn dieser Film rund um die »Schwerpunkte« Sex und Religion es auch sein will. Klingt so einfach, ist aber hohe Kunst. Wie ein Blowjob, würde Oma Dotty wohl sagen.

Serientipp: Ähnlich gelungen ist der Umgang mit Sex im Jugendalter in der Serie Sex Education von Laurie Nunn.

Sex ohne -ismus

Blowjobs sind ein großes Thema in dieser Teenie-Komödie. Das lässt (zu) oft gesehenen American-Pie -Humor vermuten, inklusive dem scheinbar Genre-konstituierenden Sexismus, wie er etwa der Teenie-Komödie The Kissing Booth (2018) vorgeworfen wird – ebenfalls mit Joey King in der Hauptrolle. Doch das Drehbuch von Becca Gleason, gepaart mit ihrer stilsicheren Inszenierung, bricht mit den Erwartungen.

Sex wird hier als dieses unangenehme, seltsame Ding dargestellt, das für Jamie erschreckend und faszinierend zugleich ist. Gleason gelingt es gekonnt, Jamies sexuelles Erwachen nicht als etwas Verlockendes zu inszenieren, oder zum Vergnügen des männlichen Publikums – sondern vielmehr als etwas, das dem Publikum selbst unangenehm sein dürfte.

Kate Gardner (The Mary Sue) · zum ganzen Review (Englisch)

…und zwar auf vertraute Weise unangenehm, wenn die Zuschauer*innen so feinfühlig in jenes Alter zurück versetzt werden, in dem alles neu und kompliziert ist.

Fazit zu Summer ’03

Jamie wird als sexuell aktives (und ambitioniertes) Mädchen nie bloßgestellt, als seien ihre Handlungen und Interessen irgendwie beschämend. Im Gegenteil: Wie Tugenden und Werte in Summer ’03 eben nicht aus besagten Themen (Sex und Religion) abgeleitet werden, sondern aus dem zwischenmenschlichen Miteinander innerhalb von Familie und Freundeskreis – das macht diesen dramaturgisch wundervoll abgerundeten Film wirklich sehenswert.

Und merke: Vertraue keiner Person, die Harry Potter nicht mag.

1 Kommentar zu „Summer ’03 | Kritik: Coming-of-Age ohne Shaming-of-Sex“

  1. Das ist nicht die übliche amerikanische Familie. Omi hinterlässt auf dem Sterbebett ein paar Neuigkeiten die es in sich haben ! Die Familie dreht durch und alle benehmen sich scheinbar daneben. Aber alles liebevoll erzählt, tolle Hauptdarsteller ! Witzig und sehr unterhaltsam…………

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