Die Zerstörung der CDU · und die Offene Antwort der CDU

Die Zerstörung der CDU sei ein polemischer Titel auf den ein teils polemischer Ton folgt. So liest es sich in Reaktionen 1 auf das Video, das der YouTuber und Webvideo-Preisträger Rezo am 18. Mai 2019 auf seinem Zweitkanal veröffentlicht hat. Das Wörtchen »polemisch« stammt vom griechischen polemikós = »kriegerisch« . In der Umgangssprache hat sich »polemisch« synonym für »unsachlich angreifend« etabliert. Das passt in Bezug auf besagtes Video nicht ganz. Die Zerstörung der CDU läuft sachlich ab. Rezo spricht über Themen – und über Personen nur im Zusammenhang mit Themen.

Zur Sache, bitte!

Ad-Hominum-Argumente, die sich nun auf Alter, Auftreten oder Ausdrucksweise von Rezo beziehen – also gegen seine Person – die wiederum sind tatsächlich »unsachlich angreifend«. Reden wir doch stattdessen lieber über die Themen, die Rezo zur Diskussion gestellt hat. Dazu macht es, wie so oft, Sinn erst einmal zuzuhören. Hier ist das Video Die Zerstörung der CDU in voller Länge (von satten 55 Minuten):

Die Zerstörung hat Tradition

Das Video Die Zerstörung der CDU steht in junger Tradition zu früheren Aufklärungsvideos , die Rezo (*1992) veröffentlicht hat. Darin ging es einmal um die Propaganda zu Artikel 13 und ein andermal um Reaction-Videos auf YouTube am Beispiel von des YouTubers 2Bough. Diese 40-minütige Dekonstruktion eines schädlichen Verhaltensmusters trägt den Titel Die Zerstörung von 2Boughs Image und wurde erst im Januar 2019 veröffentlicht. Wie hat 2Bough reagiert? Er hat sich mit Rezo aufs Sofa gesetzt und eine Video-Botschaft aufgezeichnet, in der er sich reumütig zeigte, Fehler zugab und sich ausdrücklich dafür entschuldigte. Rezo betonte dann, dass »eine Chance zum Neuanfang« geben, das Anständige und Richtige sei, was wir alle tun sollten. Insgesamt profiliert sich Rezo im Kontext etlicher Videos als vielseitig talentierter, sprachgewandter Mann mit gutem moralischen Kompass – das nur so am Rande.

Auch die CDU wollte zunächst mit einer Video-Botschaft reagieren. Diese wurde bereits gedreht, mit Philipp Amthor als Sprachrohr, dann jedoch nicht veröffentlicht. Amthor im Interview: »…das ist nicht der Stil der CDU.« »Mit anderen Worten: Mein Video war scheiße und wir haben’s weggeschmissen«, so die Auslegung der ZDF heute-show . Aber nein, die CDU versichert: »Wir haben ein klasse Produkt erarbeitet, in dem das steckt, was die Mitarbeiter der CDU wie die Wahlkämpfer im Europawahlkampf, Landtagswahlkampf in Bremen und im Kommunalwahlkampf in zehn Ländern derzeit jeden Tag geben: Herzblut, Einsatz und Kreativität.« 2

Antwort auf Die Zerstörung der CDU

Weshalb wird es dann nicht veröffentlicht? Die Antwort darauf lautet: »Wir haben […] abgewogen, ob eine Antwort auf derselben Ebene – Video gegen Video – für uns als CDU die richtige, die angemessene Antwort ist. Ob es der notwendigen politischen Auseinandersetzung hilft oder Politik zum Spektakel macht.« Das irritiert, da die CDU durchaus auf Social Media aktiv ist und auch einen YouTube-Kanal betreibt, der immerhin als »angemessen« genug empfunden wird, um darauf Wahlkampf zu betreiben. Doch der »notwendigen politischen Auseinandersetzung«, die tagtäglich auch und insbesondere auf YouTube stattfindet, möchte sie dort nicht beiwohnen. Natürlich geht es in den Vlogs und Kommentaren nicht immer ganz versiert und höflich zu. Also quasi so wie in Schützenzelten, auf Straßenfesten, im Bundestag – überall, wo Menschen eben miteinander ins Gespräch kommen. Wobei sich unmöglich ignorieren lässt, wie bemerkenswert respektvoll der Ton in Die Zerstörung der CDU ist – erst recht im Anbetracht von Rezos berechtigter Empörung.

Stattdessen gibt’s eine schriftliche Antwort von der CDU, die am Donnerstag, 23. Mai ihre Offene Antwort an Rezo: Wie wir die Sache sehen als PDF veröffentlichte – wenige Tage vor der Europawahl 2019. Darin gehen sie auf einige Punkte aus Rezos Video Die Zerstörung der CDU ein. Andere klammern sie aus. (Etwa die offenkundige und erschreckende Inkompetenz einiger ranghoher Politiker*innen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich – wichtig, hier geht’s weiterhin um die Sache , nicht um die Personen dahinter.) Also, zur Sache.

Defensiv und geschichtsvergessen

Die Offene Antwort beginnt mit einer Feststellung. »In unserem freien Land darf jeder seine Meinung äußern, Gott sein Dank« – na ja, Grundgesetz sei Dank, aber weiter im Text. Ich mach’s wie die CDU und kommentiere nur Teile ihre Schreibens, weil… keine Zeit? Keine Lust? Keine Ahnung?

Zum Thema Klimaschutz erwidert die CDU im Wesentlichen: »Aber die Anderen…« – ja, die müssen auch mitmachen, stimmt. Mich stört die Argumentationsfolge: »Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, doch alleine …«, so kommen wir nicht weiter. Die globalen Zustände sind katastrophal und die USA und China gehen nicht gerade als tolle Galionsfiguren vorweg, ABER Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen – so herum. Wem nutzt es, wenn wir in x Jahren feststellen, dass Abkommen y nicht eingehalten wurde? Diesbezüglich hätte ich mir in der Offenen Antwort einen Kommentar zur RWE gewünscht.

Die Zerstörung der CDU – und der USA?

Zum Thema Krieg schreibt die CDU in fetten Buchstaben: »Die USA und ihre Verbündeten bekämpfen den Terrorismus aufgrund der Angriffe auf New York und Washington am 11. September 2001«, mit Hinweis auf die Selbstverteidigungsklausel. Was hier fehlt, ist ein Hinweis auf den Selbstverschuldungskontext – denn der Terrorismus kommt ja nicht aus dem Nichts. Die »Bedrohung des Weltfriedens« geht weniger von dem Terrorismus aus, als vom Kriegstreiben der USA. Da wird auf die Tötung Bin Ladens fett hingewiesen, aber empörend geschichtsvergessen über den Irak-Krieg geschrieben und doch tatsächlich Rot-Grün in ihrer Ablehnung militärischer Konsequenzen angeprangert, statt George Bush für die Lügen, die überhaupt zu dem Krieg führten. WTF, CDU?

Zum Thema Afghanistan , das laut CDU kein Rückzugsort für Terroristen mehr sei: Hier mein »Kulturreise-Bericht« über die Situation in Afghanistan .

Ene mene muh, mein Feind bist… lieber du.

Zum Thema US-Atombomben beschwört die CDU zu guter Letzt und einmal mehr das Feindbild Russland, gegen das man eine glaubwürdige Drohkulisse brauche. Wer hat nochmal als einzige Weltmacht Atombomben im Krieg eingesetzt? Und wer hat mit über 1.700 Atomsprengköpfen die meisten Atomwaffen weltweit? Ich weiß wirklich nicht, weshalb ich mich mit einem launigen Lügenbaron wie Trump am längeren Hebel sicherer führen sollte. Die CDU hat wohl leider recht mit der Feststellung, dass die beidseitige atomare Abschreckung zur bis dato längsten Friedensperiode Europas beiträgt – das Schwarzweiß-Zeichnen klassischer Freund-Feind-Bilder tut’s jedoch nicht.

Das Thema Ramstein wird in der Offenen Antwort mit nur einem Satz abgehandelt, plus Link zum Sachstand . Während die CDU auf die begrenzten Möglichkeiten hinweist, Ermittlungen anstellen zu können – Stichwort: Immunität – heißt es im Sachstand ziemlich klar: Aufenthaltsvertrag und Truppenstatut können aufgekündigt werden. Das jedoch, heißt es wenige Sätze später, dürfte »politisch nicht gangbar sein.« …nicht einmal als politische Antwort auf die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA? So sehr es schmerzt, Trump als Vorbild anzuführen, aber er zeigt doch (wenn auch stets zum Schlechteren) recht deutlich, was »politisch gangbar« gemacht werden kann. Dazu müssten wir uns allerdings die USA statt Russland zum Feind machen, und das schreckt nun wirklich ab.

Zum Thema Waffenexporte aus Deutschland hat Tilo Jung ein paar Wochen später ein kleines Video nachgeliefert.

Fazit zu Die Zerstörung der CDU

Schon vor Rezos Die Zerstörung der CDU (doch erst seit Gretas Schulstreiks für das Klima , danke dafür!) kamen mir ernsthafte Zweifel. Bis dato hatte ich guten Gewissens die CDU gewählt, deren Auftreten und Politik ich in weiten Teilen vertretbar, zuweilen vorbildlich fand. Allerdings entspringt meine Zuwendung teils auch aus der lang gehegten Überzeugung, dass es große, starke Parteien braucht, um politische Ideen umsetzen zu können. Diese Überzeugung wankt seit dem Mitverfolgen der US-Wahlen 2016 gewaltig. Was bringen wenige starke Parteien, wenn sich daraus die Wahl zwischen zwei miesen Optionen ergibt?

Negativ-Optionen sind natürlich ätzend. Ich würde gerne für etwas wählen – und nicht gegen etwas. Schon in den vergangenen Jahren galt meine Stimme der CDU jedoch vor allem deshalb, um ein Zeichen gegen die AfD zu setzen. Tatsächlich empfinde ich es dahingehend durchaus als Positiv-Wahl, ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen. Klar, dem Klima ist nicht damit geholfen, wenn in Deutschland viele kleine Parteien irgendwie eine Koalition zusammenschustern müssen – darauf zielt das Zeichen auch nicht ab. Es geht darum, den großen Parteien zu signalisieren, dass sie ihre Prioritäten neu sortieren und deutlicher durchsetzen müssen.

Was das Image ganz bestimmt nicht aufpoliert, sind dumme Kommentare wie Kramp-Karrenbauers erstes Statement 3 zu Rezos Video Die Zerstörung der CDU: »Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.« Mal abgesehen davon, dass die biblische »Faktenlage« in dieser Aussage nicht stimmt (10 Plagen…), ist das eine ganz schön enttäuschende Antwort auf ein 55-minütiges Video mit konkreten Kritikpunkten.

Zu guter Letzt noch andere Antworten auf Rezo, von Teenager-Mutter Jeanette Hagen und…

…dem CDU-Rentner Ruprecht Polenz , der einen besseren Ton trifft, als die PDF der Partei…

…und abschließend eine Runde Reflexion:

Fußnoten

  1. u.a. www.ze.tt am 22.05.19, www.merkur.de am 24.05.19
  2. CDU: Offene Antwort an Rezo , S. 1.
  3. Welt am 23.05.2019

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